Chani ist neunzehn Jahre alt, ihr Bräutigam Baruch Levy kaum älter. Bisher haben sie sich erst drei Mal gesehen, sich noch nie berührt. Denn in der orthodoxen jüdischen Gemeinschaft, der beide angehören, herrschen strikte Regeln.
Dieser Roman aus dem Jahr 2015 ist der erste und, wenn ich mich bei meiner Suche nicht hoffnungslos dumm angestellt habe, auch der bisher einzige von Eve Harris. Leider. Denn am Ende wünscht man sich, die Geschichte möge weitererzählt werden.
Die Geschichte spielt im London unserer Gegenwart, als Rahmen dient die Hochzeitszeremonie und in Rückblenden erzählt die Autorin aus dem Leben der unterschiedlichsten Figuren: Man lernt Chani als eine selbstbewusste junge Frau kennen, die sich in den Riten und oft strengen Regeln ihrer Religionsgemeinschaft wohl und aufgehoben fühlt, die aber doch einiges in Frage stellt. Darin gleicht sie ihrem zukünftigen Mann. Die beiden werden sich, so hofft man am Ende, zusammenfinden, vielleicht werden sie einander im Laufe der Zeit wirklich lieben, vielleicht werden sie einfach nur eine Ehe führen, die von denselben Wertvorstellungen zusammengehalten wird. Vermutlich aber wird mehr aus diesem Paar als eine reine Ehegemeinschaft auf der Basis religiöser Gesetze.
Chani und Baruch sind aber nur eines der Paare, von denen Eve Harris erzählt. Die beiden werden in eine unbekannte Zukunft entlassen. Zugleich schildert die Autorin aber auch andere Lebenswege innerhalb dieser orthodoxen und damit stark in sich geschlossenen Gruppe. Da ist zum einen Rebecca, die sich vor Jahren aus Liebe zu ihrem Mann dem orthodoxen Zweig angeschlossen hatte und die nun an ihrer Ehe und dem gesamten Lebenkonzept zu zweifeln beginnt. Als Rebbetzin, als Frau eines Rabbis, begleitet sie Chani durch die Ehevorbereitungen. Da ist Rebeccas Sohn, der sich in eine nicht-jüdische Mitstudentin verliebt.
Harris gewährt in diesem Roman Einblick in eine Welt, die den meisten Menschen völlig fremd ist. Sie tut das mit viel Respekt, erzählt eine mal traurige, mal humorvolle Geschichte. Und sie erschafft Figuren, deren Schicksal mich noch lange nach der Lektüre beschäftigt haben.
Übrigens: Erst in diesem Jahr ist ein weiterer Roman erschienen, der eine „Innenansicht“ der jüdisch-orthodoxen Gemeinde schildert. „Eine ganze Welt“ von Goldie Goldbloom spielt im New Yorker Stadtteil Williamsburg. Auch hier leben die chassidischen Juden in einer eigenen, in sich geschlossenen Welt. Surie, die Hauptfigur dieses Romans, erfährt mit 57 Jahren, dass sie noch einmal schwanger geworden ist, gleichzeitig kommt demnächst ihr erstes Urenkelkind zur Welt. Surie muss ihre Schwangerschaft verstecken, zu spät erwartet sie dieses Kind, eine Frau nach den Wechseljahren hat in ihrer Gemeinschaft schlicht keinen Sex mehr. Die Schwangerschaft würde sie und ihre Familie um ihr Ansehen bringen. Nicht einmal ihrem Mann erzählt sie davon.
Beide Bücher zusammen ergeben eine schöne Kombination. Auch diesen Roman habe ich gerne gelesen, mir persönlich hat allerdings „Die Hochzeit der Chani Kaufman“ besser gefallen.