Thees Uhlmann: Sophia, der Tod und ich

  • Thees Uhlmann ist eigentlich ein deutscher Indie-Rocker, Frontmann von Tomte, einer Art Endmoräne der Hamburger Schule und nach deren Auflösung unter eigenem Namen mit etwas weniger Indie und etwas mehr Rock aber immer noch mit tollen, deutschen Texten auf den Bühnen unterwegs. Ich habe in Putlitz schon einigen erzählt, dass ich da gerade auf einem Konzert war, auf dem ich nach langer Zeit endlich mal wieder richtig Spaß hatte, und weil Thees Uhlmann in den Fußstapfen von so Leuten wie Sven Regener auch Bücher schreibt, habe ich mir „Sophia, der Tod und ich“ als Hörbuch besorgt.


    Der Ich-Erzähler, ein einsamer, norddeutscher Altenpfleger nach zwei gescheiterten Beziehungen und mit einem Sohn, der in Süddeutschland bei seiner Mutter wohnt, motzt und knurrt am Anfang über die Schlechtigkeit der Welt, als ein Mann an der Tür klingelt, der ihm ähnlich sieht und sich als der Tod herausstellt und der ihn abholen soll, was aber irgendwie erst einmal schiefgeht. Dann packen sie noch Sophia ein, die nicht die Mutter seines Sohnes ist, sondern die andere Ex und außerdem seine Mutter und fahren nach Süddeutschland, um den Sohn, die Welt und die Leser irgendwie zu retten.


    Das ist an klassischen Maßstäben gemessen eigentlich kein gutes Buch. Ganz besonders auf den ersten Seiten gibt es ziemlich viele manierierte Abschweifungen, die etwas an Blumfeld-Texte erinnern und die ich verstehe wie – seht her, das macht man eigentlich nicht, aber ich mache das jetzt einfach, ist das nicht witzig?

    Und ja - das ist tatsächlich witzig, schließlich schreibt da ein Mann, der seinen Lebensunterhalt mit gleichzeitig treffenden und vieldeutigen Songtexten verdient und das merkt man. Irgendwann kommt dann auch die Handlung in Fahrt (das kann man in Anbetracht des Road-Movie-Themas auch wörtlich verstehen).

    Die manchmal ganz schön verschrobenen Gedanken eines Mannes, der weiß, dass er jetzt stirbt und vorher noch ein paar Sachen erledigen muss, sind witzig und anrührend zugleich und die Figur des Todes, der unerwartet ein paar Tage Leben mitmachen darf und sich über Alltäglichkeiten unendlich freut, das hat mich trotz seiner offensichtlichen Metaphorik doch berührt.


    Ich würde sagen – Rock’n’Roll.


    ASIN/ISBN: 3462050613

    “Life presents us with enough fucked up opportunities to be evaluated, graded, and all the rest. Don’t do that in your hobby. Don’t attach your self worth to that shit. Michael Seguin

  • Und meinst Du, dass das auch für nicht so uhlmannempathische Nicht-Tomte-Liebhaber funktioniert? Ich habe damals, als das Buch erschien (2016 oder 2017), einen Blick in die Leseprobe geworfen, und bekam dezente Zweifel.


    Wobei ich bei solchen Büchern nicht mehr zuerst an Regener denke, der m.E. tatsächlich zum Romancier taugt(e), sondern an Jochen Distelmeyer (Blumfeld erwähntest Du) und sein vergurktes, totalgeflopptes Debüt "Otis", bei dem vor allem die spekaktulären Vorschussverhandlungen zu den Nachnulljahrebuchbranchenlegenden gehören.

  • Und meinst Du, dass das auch für nicht so uhlmannempathische Nicht-Tomte-Liebhaber funktioniert?

    Ich habe ehrlich keine Ahnung. Die sogenannte Hamburger Schule ist an mir ja eigentlich auch vorbeigegangen, ich habe Uhlmann nur gerade eben erst entdeckt, als Erwachsener sozusagen.

    Und mir selbst hat das natürlich auch deswegen gefallen, weil er das selbst einliest und ich die ganze Zeit die Musik im Ohr hatte.


    Aber das Buch hat sich ziemlich ordentlich verkauft, von daher - ich schätze, die Antwort ist ja.

    “Life presents us with enough fucked up opportunities to be evaluated, graded, and all the rest. Don’t do that in your hobby. Don’t attach your self worth to that shit. Michael Seguin

  • Ich habe den Roman vor zwei Jahren ebenfalls gelesen. Die meiste Zeit war es meiner Meinung nach eher Comedy als ein Roman. Was bedeutet: Jede Menge absurde Szenarien und manchmal witzige, aber komplett sinnfreie Dialoge. Ernst wird es erst kurz vor dem dramatischen Showdown. Trotz der überwiegend flapsigen Art entwickelt „Sophia, der Tod und ich“ im Laufe der Handlung eine gewisse Liebenswürdigkeit und Wärme. Die Erzählweise selbst erinnert an manchen Stellen an die Anekdoten von Olli Schulz.

  • Ich hab's gerade ausgelesen; Rezension folgt. Aber dem hier:


    Jede Menge absurde Szenarien und manchmal witzige, aber komplett sinnfreie Dialoge.

    möchte ich sofort widersprechen, und zwar recht energisch. "Komplett sinnfrei" sind die zu einem Gutteil wirklich beeindruckenden Dialoge nie.

  • Schönschönschön


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    Ich bin ja skeptisch, was Romane aus den Federn von Leuten anbetrifft, die mit was anderem berühmt geworden sind. Es ist für diese Menschen sehr viel leichter, an Buchverträge zu kommen, und in den Verlagen drückt man gerne drei bis sieben Augen zu, wenn die Qualität nicht hundertprozentig stimmt, weil die Fans ja trotzdem kaufen werden, weil die Medien anspringen, weil eine Vermarktungsmaschine mitgenutzt werden kann, die bereits gut geölt läuft. Das funktioniert zwar nicht immer – das für hohe Vorschüsse eingekaufte literarische Debüt „Otis“ des etwas selbstherrlichen „Blumfeld“-Frontmanns Jochen Distelmeyer, im selben Jahr wie Uhlmanns erster Roman erschienen, hat vermutlich nicht einmal seine Papierkosten eingespielt. Aber meistens läuft das. Für die Bewunderer ist es ein tolles Erlebnis, auch noch einen Roman aus der Feder der Musiker lesen zu dürfen, deren Musik einem so viel bedeutet, aber für Leute, für die Literatur mehr als nur ein bekannter Name auf dem Cover ist, sieht es ein wenig anders aus. Deshalb mache ich um solche Bücher normalerweise einen Riesenbogen. Um dieses hier geschlagene sechs Jahre lang. Aber nun ist es mir auf so hinreißende Weise empfohlen worden, dass ich doch mal einen Blick hineinwerfen musste. Ein Blick, der sich gelohnt hat.


    Uhlmann erzählt in einem bewundernswert lockeren Ton die Geschichte eines Mannes Anfang vierzig, in dessen Leben nicht viel klappt. Sein Job als Altenpfleger stagniert, die kurze Ehe endete mit dem Umzug der Ex in den fernen deutschen Süden, weshalb der Mann, der als Ich-Erzähler auftritt und dessen Name, meine ich, zweimal erwähnt wird (ich habe ihn aber leider vergessen, irgendwas mit K), seinen inzwischen neun Jahre alten Sohn seit acht Jahren nicht mehr gesehen hat, aber er schreibt ihm täglich eine Postkarte, die er auch noch hinreißend illustriert – einige dieser Karten sind im Buch abgebildet. Seine bessere Beziehung war die mit der knurrigen, unfassbar schönen, trinkfesten Sophia, aber auch das ist leider in die Brüche gegangen. Sein Leben besteht inzwischen aus der samstäglichen Fußballkonferenz im Radio, der Kneipe, dem Job und den Postkarten an den Sohn. Und auf einmal steht da dieser Typ vor der Tür, der ihm ähnlich sieht, und der behauptet, der Tod zu sein – und leider kann er das auch noch beweisen. Unser Held hätte jetzt noch drei Minuten, etwa für den letzten Wunsch, dann wäre es vorbei. Aber bevor die Frist abläuft, klingelt es abermals, und Sophia poltert herein. Plötzlich geht alles durcheinander, und dann beginnt eine sehr skurrile Odyssee, die diese drei Figuren erst zur Mutter des Helden führt, und später dann zu dem Kind, für das unser Held, der am Ende wirklich eine Heldentat vollbringt, nur der „Postkartenmann“ ist.


    Thees Uhlmann hält sich an nicht viele Schreibregeln, und der Plot rund um einen fußballbegeisterten und etwas unaufgeräumten Typen, dessen Leben nicht vorangehen will, kommt einem, von der Idee mit dem alles verbindenden Tod abgesehen, nicht so schrecklich originell vor, aber Uhlmann erzählt so fluffig, weise und liebenswürdig, dass jeder Satz eine pure Freude ist, und er weiß ganz genau, welche Saiten er anschlagen muss, um die Leser zu gewinnen. Das gilt vor allem für die Dialoge, die nur manchmal ein ganz klein wenig artifiziell wirken, überwiegend aber schlicht zum Niederknien sind. „Sophia, der Tod und ich“ ist ein buntes, schillerndes, kluges, ungeheuer witziges, rasantes, unterhaltsames und sehr, sehr emotionales Buch, das auch ohne die „Tomte“-Vergangenheit von Uhlmann eine gute Chance gehabt hätte, eine große Fangemeinde zu begeistern.