Prämisse?

  • Ein vielzitierter Begriff unter Schreibenden ist die Prämisse eines Textes. Manche meinen, sie auf ein, zwei Sätze einzudicken und auf den Bildschirm zu kleben, hülfe dem Autor, das Ziel seiner Geschichte nicht aus den Augen zu verlieren. Andere wiederum wissen gar nicht, was genau darunter zu verstehen ist, wofür man solches braucht.

    Ich habe ein wenig herumrecherchiert und bin auf folgende Seite gestoßen, die m.A.n. gut erklärt, was Sache ist. Wenigstens für jene, die diesbezüglich noch im Dunkeln tappen.

    Philipp Bobrowsky - Im Auge des Autors

    „Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen, das wird wiederkommen, glaubt mir.“ (Bärbel Bohley,1991)

  • Die "Prämisse" kann aus jeder guten Geschichte extrahiert werden. Mann muss sie nicht vorher haben, wie ein gewisser Herr Frey überlaut postuliert. Eine gute Geschichte, Fähigkeiten, diese erzählen zu können und die nötige Ausdauer, sie auch zu Ende zu schreiben - mehr braucht es nicht. Am Ende kann man dann schauen, welcher Prämisse die Geschichte folgt. Es ist immer eine da, wenn die Geschichte gut ist. Es wird aber keine Geschichte gut, indem man sich vorher eine Prämisse ausdenkt.


    Die "Prämisse" wird meiner Meinung nach überschätzt.

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    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Ich kenne auch keine nennenswerten Autoren, die dieser siebzig Jahre alten Idee von Lajos Egri folgen, jedenfalls als Prozessbestandteil. Ich meine, gute Autoren tun das unbewusst, wenn sie sich die Frage stellen (was zuweilen einen langen Zeitraum in Anspruch nimmt), was sie erzählen möchten. Schon in den Urzeiten der 42er haben wir heftige Auseinandersetzungen darüber geführt, was eine Prämisse sein soll und ob man sie "benötigt", und seit Internetzeitaltergedenken ist das ein Thema in vielen Foren. Ich betrachte die Prämisse eher unter Aspekten der Logik, also als eine Annahme, für die mein Text ein Beleg sein soll. Etwas wie "Das Gute setzt sich durch" oder "Geld macht glücklich" oder so.


    Das ist übrigens das Buch, in dem dieser erzähltheoretische Ansatz erstmals formuliert wurde (und Egris Definition der Prämisse ist in der Leseprobe zumindest teilweise nachzulesen - sie stimmt mit Freys Ansicht nicht ganz überein; Egri sieht darin eher den "Zweck" der Erzählung):


    ASIN/ISBN: 3866710135

  • Lajos Egri war, ebenso wie Frey, Journalist und "Schreiblehrer". Er hat m.W. nach selbst keine belletristischen Texte und dramatischen Werke geschrieben, sondern alles aus Werken anderer erfolgreicher Autoren extrahiert. Kann man machen, ist auch nicht uninteressant, führt aber auch auf Irrwege, wie m.E. die Fixierung auf die Prämisse zeigt. Hemingway hat sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Gedanken über eine Prämisse gemacht, als er "Der alte Mann und das Meer" schrieb.

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  • Zumindest James N. Frey, der Egris Theorie in die Schreibschulen und Autorenforen verklappt hat, hat selbst mehrere Romane geschrieben, aber er wird häufig mit James Christopher Frey verwechselt, der u.a. "Tausend kleine Scherben" und "Strahlend schöner Morgen" geschrieben hat, die international mittelhalberfolgreich waren. Die Romane von James N. Frey demgegenüber sind nicht in deutscher Sprache erhältlich und selbst in Amerika kaum wahrgenommen worden. Aber man muss kein guter Schüler gewesen sein, um ein guter Lehrer werden zu können, und die meisten Menschen, die wissenschaftliche Theorien entwickeln, sind von ihnen nicht selbst betroffen. Doch ich will nicht dagegen argumentieren, dass vor allem Frey (über Egri ist weniger zu erfahren) zu den typischen Beratern zu gehören scheint, die Erfolgskonzepte zu verkaufen versuchen, und die Sache mit der Prämisse ebenso wie viele andere konzeptionelle Ideen sind eher Hypothesen als Theorien. Jedenfalls hat James N. Frey die Frage, warum er selbst nie einen verdammt guten Roman geschrieben hat, wo er doch weiß, wie das geht, meines Wissens nie direkt beantwortet - aber er ist wohl ein sehr erfolgreicher "Creative Writing"-Lehrer an der UC in Berkeley, und das seit Jahren.


    Dennoch ist natürlich nicht ganz unrichtig, was Egri da erklärt, wenn er davon spricht, dass eine Reise ein Ziel haben sollte, eine Tätigkeit ein Ergebnis, ein Gegenstand einen Zweck - und dass man sich über derlei im Klaren sei sollte, bevor man abreist oder losbaut. Aber die Herleitung dieses Aspekts zumindest bei belletristischen Werken scheint mir nicht immer zu funktionieren, oder höchstens mit einem fragwürdigen Ergebnis (ich kann zu "Ghostbusters" eine Prämisse formulieren, aber die ist uninteressant und belanglos und hat mit dem Erfolg des Films nichts zu tun). Wie gesagt, ich kenne niemanden, der so arbeitet, und würde mich auch der Behauptung anschließen, dass hier ein Konzept verkauft wird, das entweder zu den Automatismen gehört, die gute Autoren sowieso beherrschen, aber eben nicht bewusst und/oder explizit, oder das technisch, dramaturgisch und dann auch marketingseitig nicht die Bedeutung hat, die ihm von jenen zugemessen wird, die es zu verkaufen versuchen. Es scheint mir eher etwas wie ein Schüßlersalz oder eine Bachblüte zu sein. Leute behaupten, dass es funktioniert, aber bewiesen hat das noch niemand.

  • Man muss auch kein Mörder oder Kriminalkommissar sein, um einen Krimi schreiben zu können. Auf diese Ebene will ich mich gar nicht begeben. Was ich meine, ist, dass manche Theorien - z.B. die um die Prämisse - nicht aus der konkreten Schreibpraxis kommen, sondern aus der Analyse bereits geschriebener Werke, also "nach dem Schreiben". So gehe ich übrigens selbst vor. Ist die Geschichte fertig, schaue ich noch einmal drauf und frage mich, was ich da erzählt habe. Das hat schon dazu geführt, dass ich manches umgeschrieben habe (bevorzugt das Ende). Andersherum hätte das - zumindest bei mir - nicht funktioniert.

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    Emanuel von Bodmann


  • Texte auf eine vergleichsweise einfache Grund Aussage zu reduzieren scheint mir immer eine gute Übung zu sein. Eine extreme Vereinfachung ist es dennoch. Und beim Schreiben fiktionale Texte funktioniert das so sowieso nicht.


    Sind Text du nicht gerade dann gut, wenn sie ambivalent sind und widersprüchlich. Trotzdem finde ich die Frage gut, wie die bedeutungsgebende in den Text kommt. Es gibt von mir durch aus den ein oder anderen Text, der keine, oder nur eine extrem simpler, Bedeutungsebene hat. Das sind dann eher die schlechteren Texte. Vermutlich ist es so ein bisschen wie Horst Dieter sagt. Das Schreiben und dass sich selbst aus deuten gehen Hand in Hand. Die Frage „ sollte der Text so oder so weitergehen?„ ist gleichzeitig die Frage „ was bedeutet das jetzt?“


    PS. Diese Antwort wurde mit der Spracherkennung angefertigt. Moderne Technik ist doch eigentlich enttäuschend.X(

    “Life presents us with enough fucked up opportunities to be evaluated, graded, and all the rest. Don’t do that in your hobby. Don’t attach your self worth to that shit. Michael Seguin

  • Nach meinem Verständnis - man möge mich korrigieren - ist eine Prämisse eine Art Behauptung, die dann durch den Text in irgendeiner Form bewiesen wird. Ob eine Prämisse Teil der kreativen Phase ist - keine Ahnung. Ob eine Prämisse am Ende aus dem fertigen Text herausgezogen werden kann - keine Ahnung. Ob eine Prämisse überhaupt sein muss - keine Ahnung.


    Prämisse kann eigentlich alles sein - solange es eine irgendwie geartete Behauptung ist: Unglückliche Liebe führt zum Untergang (kann man sicherlich in 100 oder 200 oder 300 Seiten beweisen); der Kampf gegen die Natur bringt tiefe Selbsterkenntnis (mag sein - oder auch nicht; hängt von der Ausführung des Textes ab); erfolgreiche Rache erfüllt einen Menschen mit großem Seelenfrieden (wenn's denn sein muss).


    Geht natürlich auch umgekehrt: Ich lese ein Buch und frage mich, was mir Autor/Autorin damit sagen will. Ob die von mir ermittelte vermeintliche Prämisse mit der übereinstimmt, die der Autor/die Autorin im Kopf hatte, bleibt natürlich völlig offen (ich habe da ohnehin meine Probleme, wenn Texte interpretiert werden: "Das karierte Oberhemd der tragischen Hauptfigur ist immanenter Ausdruck seiner Zerrissenheit im Verhältnis zur Gesellschaft." - ääähhh, ja ...).


    Mir erscheint vor allem wichtig, dass man weiß, über was und wie man schreibt. Nicht dass der Kommissar zu Beginn über eine Leiche am Rheinufer grübelt, in Köln einen Mörder sucht und am Ende mit der Hauptverdächtigen Pferde in Argentinien züchtet - ohne dass der Mord je aufgeklärt wurde. Diesem "Einfach-mal-drauflos-schreiben-Abenteuer" traue ich persönlich nicht über den Weg - das geht mir zu sehr in Richtung therapeutisches Schreiben.


    Just my 2 Euro-Cents

  • Siegfried_der_Alte - wie lange ist das eigentlich her, dass wir genau diese Diskussion unter, äh, energischen Bedingungen in der 42er-Mailingliste geführt haben? Meine Mailarchive reichen leider nicht weit genug zurück dafür. Es muss in den Neunzigern gewesen sein.

  • Ob die von mir ermittelte vermeintliche Prämisse mit der übereinstimmt, die der Autor/die Autorin im Kopf hatte, bleibt natürlich völlig offen (ich habe da ohnehin meine Probleme, wenn Texte interpretiert werden: "Das karierte Oberhemd der tragischen Hauptfigur ist immanenter Ausdruck seiner Zerrissenheit im Verhältnis zur Gesellschaft." - ääähhh, ja ...).

    Ich bezweifle, dass jeder Autor eine fixe Prämisse im Kopf hat, wenn er eine Geschichte schreibt bzw. entwirft. Nach meiner Erfahrung wird vieles erst nach erfolgter Lektüre in die Geschichte hineininterpretiert. Oftmals Dinge, an die der Autor in keiner Sekunde seines Schreibens gedacht hat.

    „Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen, das wird wiederkommen, glaubt mir.“ (Bärbel Bohley,1991)

  • Ich bezweifle, dass jeder Autor eine fixe Prämisse im Kopf hat, wenn er eine Geschichte schreibt bzw. entwirft. Nach meiner Erfahrung wird vieles erst nach erfolgter Lektüre in die Geschichte hineininterpretiert. Oftmals Dinge, an die der Autor in keiner Sekunde seines Schreibens gedacht hat.

    Jeder Autor? Ist das irgendwo behauptet worden?


    Nach Lektüre hineininterpretiert? Durch den Autor/die Autorin?


    Ich weiß nicht, wie du Geschichten schreibst bzw. konzipierst. Es gibt Leute, die eine einzige, winzige Szene vor Augen haben und damit loslegen. Der gesamte Schreibprozess bis hin zum fertigen Ergebnis wird als Abenteuer betrachtet - und gelegentlich machen die Figuren in der Geschichte mit dem Autor/der Autorin, was sie wollen. Hier gibt es mit Sicherheit keine Prämisse.


    Andere machen es anders. Sie überlegen: "Wie wäre es, über jemanden zu schreiben, der einen Bio-Bauernhof betreibt und eine Vielzahl an Problemen hat, seine Produkte herzustellen und zu verkaufen?" Die Geschichte folgt den Regeln der Dramaturgie ("Konflikt! Konflikt! Konflikt!"), sie hat den Aufbau eines Drei- oder Fünf-Akters und sie hat ein bestimmtes Ende (Erfolg oder Untergang des Bio-Bauern). Wenn der Autor/die Autorin sich an dieses Konstrukt hält, dann existiert doch bereits eine Prämisse. Etwas, was Autor/Autorin durch die Geschichte beweisen will: "Landwirtschaft jenseits der Norm bringt Erfolg/den Untergang".

  • Jeder Autor? Ist das irgendwo behauptet worden?

    Ja. Anderswo. Wenn auch im Konjunktiv: ... jeder Autor sollte eine Prämisse ... Allerdings habe ich geschrieben: Ich bezweifle, dass jeder Autor eine ...

    Nach Lektüre hineininterpretiert? Durch den Autor/die Autorin?

    Wohl kaum. Eher durch Rezensenten.

    Ich weiß nicht, wie du Geschichten schreibst bzw. konzipierst. Es gibt Leute, die eine einzige, winzige Szene vor Augen haben und damit loslegen.

    Ich habe kürzlich eine 25seitige Geschichte mit vier handlungstragenden Figuren geschrieben, die ich aus einem einzigen Eröffnungsbild heraus entwickelte.

    Aber ich habe auch Geschichten geschrieben, die ich vorab durchkonzipierte, bis ich wusste, wer wann und wo zu husten hatte. Meine besten waren immer die spontanen, ohne große Vorbereitung.
    Und ja, ich versuche in meinen Geschichten durchaus einer Prämisse zu folgen.

    „Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen, das wird wiederkommen, glaubt mir.“ (Bärbel Bohley,1991)

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  • Siegfried_der_Alte - wie lange ist das eigentlich her, dass wir genau diese Diskussion unter, äh, energischen Bedingungen in der 42er-Mailingliste geführt haben? Meine Mailarchive reichen leider nicht weit genug zurück dafür. Es muss in den Neunzigern gewesen sein.

    Ja, da war mal was. Und ich meine mich zu erinnern, dass es damals noch so etwas gab wie Compuserve ... Lang, lang ist's her. Und damals hat man auch noch gestrotzt vor Streitenergie ... :D Und heute? Ach je ... Isch hab' Rücken! :D