Lektorat

  • Ich habe diese Woche mein Manuskript im Lektorat eingereicht und sehe mich jetzt mit einer hoffentlich unbegründeten Panik konfrontiert.


    Wie viel darf/wird ein Lektor am Manuskript ändern? Ich bekomme gerade Panik, dass es grundlegende Änderungswünsche oder Probleme geben wird, besonders bei den häufigen Anspielungen auf Dinge sexueller Art.


    Dies ist das erste Mal, dass der Verlag die Geschichte in ihrer Gänze zu sehen bekommt, und all diese Details konnte ich ja unmöglich auf einer einzelnen Exposé-Seite auslegen. Jetzt frage ich mich, ob es zu viel ist, oder gewisse Dinge zu explizit oder zu divers ... und überhaupt, ich sorge mich natürlich auch wegen all der anderen Szenen. Wie gesagt, der Verlag kannte nur die groben Züge und die Eröffnung, und gerade die zu Beginn geschilderte Idylle wird ja radikal über den Haufen geworfen.


    Aber ich habe mir ja was dabei gedacht und frage mich nun, ob am Ende in gedruckter Form etwas völlig Anderes herauskommt? Was sind eure Erfahrungen?

  • Hallo, Silke.


    Grundsätzlich darf ein Lektor überhaupt nichts eigenmächtig ändern. Zumindest Verlagslektoren agieren auch so. Sie unterbreiten Vorschläge und setzen Korrektur- und Änderungshinweise in erkennbarer Weise ins Manuskript, das sie aber nicht ändern, denn die Person, die die Hoheit und die Urheberrechte hat, also der einzige Mensch ist, der das Werk auch in dieser Weise bearbeiten darf, bist Du. Es obliegt Dir, die Vorschläge zu prüfen und anzunehmen oder abzulehnen - oder zu diskutieren, wenn Du zwar die Stoßrichtung teilst, aber die konkreten Änderungsvorschläge nur mittelhalboptimal findest. Lektorat ist ein Prozess, keine Schwelle oder Prüfung. Im Lektorat arbeiten Autoren und Lektoren gemeinsam daran, aus einem guten Manuskript ein sehr gutes Manuskript zu machen. So ist es, wie gesagt, zumindest in der Lektoratssituation mit Publikumsverlagen.


    Ich habe zu meinem letzten Roman "Die Wahrheit über Metting" ein sehr hartes Lektorat hinter mir. Der Lektor war energisch ans Werk gegangen, und wir haben uns ganz schön gekabbelt, aber unterm Strich waren die meisten seiner Vorschläge und Anmerkungen sinnvoll und zielführend. Es ist sehr wichtig, die Vorschläge nicht als Angriff zu werten, als Attacke auf die Schreibe oder die Geschichte. Es ist eine sehr professionelle Bearbeitung eines Textes, der in nur sehr seltenen Fällen in diesem Stadium druckreif ist. Viele Autoren haben Probleme damit, sich von Formulierungen, Sätzen, Abschnitten, gar Kapiteln trennen zu können, aber der damit einhergehende Trennungsschmerz ist heilsam. Man muss das als Teil des produktiv-kreativen Vorgangs akzeptieren. Aber es gibt auch Autoren, die Lektorat vollständig verweigern. Man darf das - zumindest theoretisch. Ob man das als Debütant oder Debütantin auch tun sollte, ist eine andere Frage.


    Nimm's entspannt. Dein schönes Kind geht zur Kosmetik. Das ist alles.


    Bei beauftragten Lektoraten mag das anders sein; damit habe ich keine Erfahrungen.

  • Hallo Tom,


    danke für deine Erklärungen, die mir tatsächlich sehr weiterhelfen!


    Ja, es handelt sich um ein Verlagslektorat. Ich meinte auch nicht, dass der Lektor das Manuskript ändern wird (da habe ich mich am Handy tippernd unglücklich ausgedrückt), sondern, dass er dies verlangt vom Autor - deiner Erfahrung nach also nur in Absprache. Das ist beruhigend.


    Meine Frage rührt auch ein wenig daher, dass eine Lektorin eines großen Publikumsverlags einer befreundeten Autorin (ebenfalls Debütantin) ganze Erzählperspektiven nahelegt zu ändern (mehr weiblich, weil weibliches Publikum). Das ist schon ein ziemlich kräftiger Eingriff. Ich hadere generell mit der Annahme, dass weibliche Leser nur weibliche Perspektiven lesen. Ich verstehe schon, dass die Verlage Bücher produzieren wollen, die auch gelesen werden, aber am Ende kommt nur Einheitsbrei heraus. Aber nun gut, das gehört nicht hierher.


    Ich glaube, ich würde mich sicherer fühlen, wenn ich den Verlagsvertrag mit Einreichung von mehr als nur Expose und Leseprobe erhalten hätte. Jetzt befürchte ich, dass dem Verlag aufgehen könnte, dass ich doch nicht so ganz ins Verlagsprogramm passe. Ich habe zwei kürzlich erschienene Romane aus dem Verlag gelesen und die waren im Vergleich zu meinem künstlerischen Erguss, nun ja, sagen wir mal, harmlos. Erschwerend kommt hinzu, dass der Lektor, der mich an Bord geholt hat, aus persönlichen Gründen zurücktreten muss und ich nun mit einer Lektorin arbeiten werde, die vielleicht an dieser Entscheidung, mich zu nehmen, völlig unbeteiligt war.


    Ach, die Freuden des stillen Kämmerleins, wo man vor lauter (Selbst-)Zweifeln aufgefressen wird! Versteh mich nicht falsch. Ich liebe mein Manuskript. Ich weiß, es ist noch nicht 100% perfekt und freue mich auf die Textarbeit mit dem Experten. Ich erhoffe mir ja auch, dadurch eine Menge zu lernen. Ich bin auch eine große Freundin des Streichens, das ist gar nicht das Problem. Ich habe halt nur Angst, dass der grundsätzliche Ton, die Machohaltung meiner Figuren, die derbe Sprache und Schimpfwörter, die homoerotischen Anklänge, die Gewaltdarstellungen, usw. ein Problem sein könnten.


    "Die Wahrheit über Metting" habe ich vor einigen Wochen gelesen. Wäre interessant zu sehen, wie der Text sich im Lektoratsprozess entwickelt hat. Ich fand es sehr schön, so wie es am Ende herausgekommen ist. Der schmerzhafte Prozess hat sich also, meiner Meinung nach, gelohnt.

  • Hallo, Silke.


    Eigentlich ist es auch nicht üblich, dass man erst mit dem fertigen (belletristischen) Werk ins Lektorat geht, jedenfalls, wenn man nicht Andreas Eschbach heißt (der das aber vermutlich auch nicht macht - ich muss ihn mal fragen). Lektorat funktioniert, wie ich finde, dann am besten, wenn es begleitend erfolgt, wenn man den Lektor oder die Lektorin schon relativ früh einbezieht, also auch ins gestalterische Feedback geht, bevor es für grundlegende Entscheidungen - etwa die Perspektive - zu spät ist. Und das ist es, wie ich finde, auf jeden Fall, wenn ein Manuskript das Wörtchen "Ende" an prominenter Stelle enthält.


    Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn mein Lektor nach Lektüre der vorgelegten 350 Seiten sagen würde: Schon fein, aber das mit der Ich-Perspektive funktioniert überhaupt nicht, da werden wir jetzt mal hübsch auktorial. Oder wenigstens personal. Das ähnelt ja einer Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Baustoff bei der Herstellung eines Eigenheims, den man auch nicht mal eben ändern kann, bevor es an den Innenausbau geht. Jo, hübsches Holzhaus, aber Beton wäre mir lieber gewesen. ;)


    Möglicherweise machst Du Dir aber auch zu viele vorauseilende Sorgen. Warte doch einfach mal ab, was kommt. Die Situation ist schon eigentümlich, aber Du hast einen Vertrag und Du hast geliefert. Der Ball ist momentan nicht auf Deiner Spielfeldseite. Und die Daumen sind gedrückt.


    (Und danke für die Blümchen zu "Metting"! :) )

  • Ein begleitendes Lektorat wäre ein Traum, doch wie es so ist, wenn man nicht etabliert ist ... erstmal vorlegen, dann schauen, ob jemand überzeugt genug ist, sich der Sache anzunehmen. Ich muss sagen, es hat momentan auch erheblichen Einfluss auf meine Motivation an Stoff Nr. 3 zu arbeiten, weil ich befürchte, dass ich wieder einmal eine grundlegende Entscheidung falsch getroffen haben könnte. Man tappt so schrecklich im Dunkeln!


    Zu Stoff Nr. 2: Ich gehe ja per Agentur derzeit mit meinem BT-Runden-Text hausieren. Die Agentin hat sofort gesagt, es wird schwierig werden wegen der Perspektive - eine Liebesgeschichte aus Sicht des Mannes, na, wer soll sowas schon kaufen wollen? Also habe ich ihr im MS angemerkt, wo ich die Szenen auch aus weiblicher Sicht erzählen kann, kein Problem. Doch persönlich fände ich es schade. Ja, es ist eine Liebesgeschichte, aber der Kerl bleibt immer noch mein Protagonist, er macht die größte Entwicklung durch. Es ist eben kein Herzschmerzschnulz, der massenweise auf den Wühltischen liegt Marke Rückenansicht Frau im historisch anmutenden Kostüm (ohne jemandem zu nahe treten zu wollen). Aber nun ja, es gehört eigentlich nicht hierher.


    Danke jedenfalls fürs Daumendrücken, lieber Tom!

  • Wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ist es denn, dass ein Verlag oder eine Agentur sagt "Es muss das und das gemacht werden, aber damit kann man arbeiten"? Ich meine, klar ist, dass man keinen absoluten Käse abliefern kann. Aber würden die Agenturen oder Verlage nicht aus aufwandsgründen relativ schnell sagen "Da ist was zu ändern/Da passt die Perspektive nicht, das nehmen wir erst gar nicht an"?

    Ich bin momentan total verunsichert, was mein Schreiben angeht, weil ich für mich null Anhaltspunkte zu haben, um zu sagen, das und das ist gut oder schlecht, weil ich zwar Tipps und Tricks umsetzen kann, aber dann ja nicht weiß, ob mir das gelungen ist. Und auch wenn ich mich da noch nicht weiter schlau gemacht habe, bezweifle ich, dass ich das nötige Kleingeld habe, um für so eine textgebundene Arbeit ein Lektorat zu bezahlen...

  • Hallo Silke,

    zum Thema aus männlicher Sicht geschrieben: Keeping Faith von Rebekka Wedekind ist solch ein Liebesroman und kommt sehr gut an.

    Ich wünsche dir mindestens ebensoviel Erfolg!

    "Man muss immer noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können." Nietzsche