Mal kein "Hallihallo, ich bin der (oder die) und der (oder die)", sondern ein Branchenthema

  • Immer euer Ruf nach Sachlichkeit... Ich glaube, ihr seid alle literaturforenverseucht oder vermutlich sozialemedienverseucht. Ich finde, ungeachtet meiner persönlichen Präferenzen, sollte es erlaubt sein auch mal aufrüttelnd zu inszenieren. Dieser Urschleimsatz hat mich zB. durchaus erfreut, weil es schon eine kunstvolle Formulierung ist.


    Zitat

    Ein Fitzek ist eine literarische Maßeinheit, die die größte anzunehmende literarische Peinlichkeit auf kleinstem Raum markiert."

    Aber du, wo driftet dieser Satz ins Persönliche ab? Es wird "nur" sein Werk in die Tonne geklopft.


    Ich glaube, es sollte einstweilen nicht die Sachlichkeit verstärkt Anwendung finden, sondern die Erstarkung der Resilienz sowas auf allen Seiten einfach mal aushalten zu können, ganze ohne Heulei.

  • PS: Es gibt ja dieses schöne Lied „Der Musikkritiker“ von Georg Kreisler.

    Der Text des Kreisler-Songs ist wirklich köstlich. Nicht länger überraschend ist jetzt für mich, dass mein Vater ein großer Kreislerfan war. Sicher kannte er den Musikkritiker. Im Gegensatz zu mir. Mir ist nur das Tauben vergiften im Park in Erinnerung geblieben, das ja vermutlich jeder kennt. Denn trotz der Begeisterung meines Vaters habe ich in meiner Jugend wenig bis nichts mit Kreisler anfangen können. Und danach habe ich ihn einfach vergessen. Shame on me!

    Um zu wissen, wie es ginge, muss ich es nicht können.

    Aber um zu wissen, wie es geht, muss ich es zumindest versucht haben. Und wenn ich mit meinen Versuchen krachend gescheitert bin, umso besser. Erst dann kann ich wirklich wissen, wovon ich rede, wenn ich die Arbeit eines Autors kritisiere. Und wenn ein Kritiker diese Erfahrungen gemacht hat, dann soll er das bitte auch kommunizieren, bevor er sich daranmacht, Autorinnen und Autoren öffentlich vorzuführen. Mir würde das Wissen um die eigenen Erfahrungen des Kritikers dabei helfen, seine Kritiken besser einzuordnen.

    Jeder weiß, dass ein ehemaliger Torschützenkönig nicht auch der beste Moderator oder Trainer sein muss, warum sollte das denn in der Literatur oder Musikszene anders sein?

    Das klingt plausibel. Dennoch hinkt der Vergleich.

    Jürgen Klopp ist ein begnadeter Fußballtrainer, der von sich selbst sagt, als Spieler allenfalls biederes Mittelmaß gewesen zu sein – in der 2. Liga. Aber immerhin war er Spieler. Und als Trainer schafft er es regelmäßig, aus Talenten Stars zu machen, und eher mittelmäßige Spieler bringt er dazu, aus ihren begrenzten Möglichkeiten alles herauszuholen und zu guten Spielern zu werden. Das gelänge ihm sicherlich nicht dadurch, dass er in der Pressekonferenz nach einem Spiel vor einer feixenden Journalistenschar über einen seiner Spieler sagen würde: „Ob ich es wohl noch erleben werde, dass diese Null auch mal den Ball trifft?“


    Nun ist ein Literaturkritiker kein Coach, was er ja auch nicht sein soll. Und Denis Scheck ist sicherlich der Letzte, der das in Erwägung ziehen wollte. Aber Kritik, und die ist ja nach des Kritikers Selbstverständnis sein Metier, sollte schon ein bisschen substanzieller und auch informativer sein, als nach zehn Minuten Kabarett zu dem schlichten Resümee zu gelangen: „Wat für’n Schiet.“ Natürlich formuliert der Kritiker das nicht so platt, wie es ist, sondern kleidet sein Urteil, garniert mit mal mehr, mal weniger zielgenauen Provokationen, in kunstvoll gedrechselte Sätze, die gemessen an seinem intellektuellen Anspruch und vermutlich auch dem seines Publikums dennoch eher wie Schenkelklopfer wirken und von Teilen dieses Publikums wohl auch als solche goutiert werden.

    Und will er sich durch die Inszenierung als gottgleiches Wesen von der Schar der „Literaturpäpste“ absetzen, um sich quasi als letzte Instanz über diese zu erheben? Es fällt mir schwer, das zu glauben. Ist es ernstgemeint, ist es peinlich. Ist es nicht ernstgemeint, verscheißert er sein Publikum. Denn dafür, dass dieses Format als Selbstpersiflage gemeint ist, habe ich nicht den geringsten Anhaltspunkt finden können.


    Dass er sich ein Buch einer Autorin oder eines Autors herausgreift, genüsslich dieses eine Buch seziert, um zuletzt zu konstatieren

    Zitat

    „Sebastian Fitzek markiert den geistigen Ground Zero dessen, was in Deutschland derzeit geschrieben und veröffentlicht wird.“

    „Paulo Coelho, dieser aus dem protoliterarischen Urschleim gekrochene Einzeller der Erbauungsliteratur, steht für alles, was ich in der Literatur hasse.“

    zeigt die Fragwürdigkeit dieses Formats. Denn als Zuschauer kann ich daraus nur den Schluss ziehen, dass in erster Linie der Autor gemeint ist und nicht nur dieses eine Buch. Mit einer solchen Vorgehensweise wäre es ein leichtes, selbst die begnadetste Autorin und den genialsten Autor zu diffamieren. Um das an einem Beispiel deutlich zu machen: Philip Roth ist sicherlich unverdächtig, eines Tages mit den Fitzeks und Coelhos in eine Reihe gestellt zu werden. Aber sein vorletzter Roman Die Demütigung war schlicht und ergreifend Mist. Wäre ich jetzt ein Starkritiker mit der entsprechenden Reichweite, könnte ich mir dieses eine Buch herausgreifen und vermittels eines Verrisses in der Art des Anti-Kanons zumindest bei dem eher uninformierten Teil meines Publikums dafür sorgen, dass sich diese Menschen nie im Leben ein Buch von Philip Roth kaufen werden, unabhängig davon, ob das jetzt meine Absicht gewesen wäre oder nicht.

    Kritik ist eine eigene Disziplin, ist eigene Kunst.

    Nochmal: Literaturkritik ist ein eigenes Genre.

    Genre von was? Literaturgenre?


    Jedem Menschen steht es frei, zu allem und jedem eine Meinung zu haben und diese Meinung auf jede nur erdenkliche Weise auch zu äußern. Im privaten Umfeld.

    In dem Moment, in dem ich diese Meinung öffentlich vertrete, gelten andere Maßstäbe, die unabhängig sind von meinem persönlichen Wertekanon.

    Dass ich, auch aufgrund persönlicher Erfahrungen, ein grundsätzliches Problem damit habe, das öffentliche Kritisieren der Arbeit anderer Menschen als eigenständiges Berufsbild zu akzeptieren, habe ich bereits in meinem Posting #27 dargelegt. Und das gilt umso mehr, wenn die „Kritik“ überwiegend in einer Herabwürdigung der Arbeit eines anderen Menschen und erst recht der seiner Person besteht. Und wenn ich mir vorstelle, dass der Kritiker mit seiner Kritik in manchen Fällen ein höheres Einkommen erzielt als der Kritisierte, dann verstärkt das für mich die Fragwürdigkeit noch weiter. Anyway ...

    Das Mindeste, das ich von einem, sagen wir, Literaturkritiker erwarte, ist, dass er mir über seine persönliche Meinung hinaus nachvollziehbare Argumente und Gründe liefert, die mich neugierig auf die Lektüre eines Buches machen - oder eben nicht. Alles andere ist überflüssig, ist mir zu wenig, ist heiße Luft - oder es ist eben nur eine Show und von Anfang an auch als solche gemeint. Nun denn ...


    Nicht wenig deutet darauf hin, dass im Zuge einer maßlosen Kommerzialisierung von allem und jedem auch das Berufsbild des Kunstkritikers ein grundlegend anderes geworden ist verglichen mit dem, das es meinetwegen noch vor zwanzig Jahren war, mögen Kunstkritiker jetzt also tatsächlich Unterhaltungskünstler sein. Und dass die sich dann auch kritisieren lassen müssen, versteht sich von selbst. Das begründet dann einen neuen Berufsstand, den der Kritikerkritiker, die dann wiederum von den Kritikerkritikerkritikern in die Mangel genommen werden. Das Konzept ist schon recht lustig und erinnert mich an die russischen Babuschkapuppen, die immer kleiner werden.


    Hm. Vielleicht sollte ich mir doch einen Fernseher anschaffen und gleich Dschungelcamp oder DSDS gucken.


    Oder das nicht mehr Erwartete geschieht doch noch und ein Kind ruft: „Der Kaiser ist ja nackt!“


    Herzliche Grüße,


    Jürgen

  • Wo urteilt Scheck über die Person? Er urteilt über Fitzek und Coelho in ihrer Eigenschaft als Schriftsteller, und damit über ihr Können. Ist das schon zu persönlich …?!

    Ich glaube auch, man kann Kritikern zutrauen, einen Fehlgriff nicht überzubewerten.


    Zu verlangen, dass nur Autoren andere Autoren kritisieren dürfen, schlösse alle „Nur“-Leser aus. Restaurantkritiker müssten selbst Köche sein etc. Da gehe ich nicht mit.


    (Am Rande: Heißen die Puppen nicht Matrjoschka?)

  • "Denis Scheck urteilte bei seiner Besprechung des Pädophilie-Krimis Das Joshua-Profil (2015), Fitzek sei ein „talentloser, klischeeverhafteter und – mit Verlaub – dummer Autor“, der „die Nulllinie der deutschen Gegenwartsliteratur“ markiere."


    Und für mich ist Denis Scheck ein dummer Literaturkritiker der die Nulllinie der deutschen Literaturkritik markiert. :)

    Meiner Meinung nach sollte er das tun, was er am besten kann. Keine Kritiken schreiben. :P Also für mich sieht es so aus, als wenn Scheck seine persönlichen Fehden in Literaturkritiken verpackt, sich dabei erhoben darstellt und unfair austeilt. Der Heugabel-Fraktion gefällt sowas, aber ich kann mit dem Stuss nichts anfangen. Aber vermutlich bin ich zu socialmedia-verseucht und darf mich laut Nifl eigentlich gar nicht äußern. Ich machs aber trotzdem. 8)

  • Das ist hier wieder mal so ein Thread, der sich liest wie ein Auffahrunfall in Zeitlupe. Mit Ansage.

    Ich glaube, aus dieser Nummer kommen wir nicht raus. Das bleibt ein unauflösbarer Widerspruch. Literatur und auch Literaturkritik braucht unbedingt die Möglichkeit der Grenzüberschreitung und der Regelverletzung. Das war auch in früheren Zeiten nicht anders, erinnert sich jemand an Harald Schmidt? Und warum war noch mal gleich das literarische Quartett auseinandergegangen?

    Das kann man natürlich mehr oder weniger kunstvoll gestalten, aber Dinge zu sagen, die sich nicht gehören, das ist einfach die ultimative Bestätigung persönlicher Freiheit, persönlicher Autorenschaft. Und das lesen wir gern. Sogar in einem Forum wie diesem sind das immer die Threads mit dem meisten Zulauf.


    Aber das ist natürlich trotzdem nicht gut. Verletzende Scherze sind vielleicht witzig aber auch nunmal - na ja - verletzend. Und jetzt, wie zu erwarten, wieder mal mit Ansage - die neuen Medien. Jeder Verletzte kann sofort zurückverletzen und beleidigt sein und zwar öffentlich. Dabei kommen dann Threads raus wie dieser hier oder ungezählte andere in der Vergangenheit. Und so richtig unterhaltsam finde ich diese Threads inzwischen auch nicht mehr.


    Ich weiß nicht, wie wir da rauskommen (oder die Gesellschaft, oder die Literatur oder Literaturkritik im Allgemeinen). Ich glaube, wir werden einfach lernen müssen, damit umzugehen und mal in der einen Richtung und mal in der anderen Richtung Fehler zu machen.

    “Life presents us with enough fucked up opportunities to be evaluated, graded, and all the rest. Don’t do that in your hobby. Don’t attach your self worth to that shit. Michael Seguin

  • Aha. Und für diese Feststellung - pro Fitzek, entweder aus Überzeugung oder aus Prinzip, contra Scheck, … - bedarf es des Zitates, wie unfähig Fitzek sein soll. Irgendwie kann‘s das auch nicht sein.


    (Bezieht sich auf den vorletzten Beitrag)

  • Hallo Jürgen,


    Zitat

    Jedem Menschen steht es frei, zu allem und jedem eine Meinung zu haben und diese Meinung auf jede nur erdenkliche Weise auch zu äußern. Im privaten Umfeld.


    Zitat

    Oder das nicht mehr Erwartete geschieht doch noch und ein Kind ruft: „Der Kaiser ist ja nackt!“


    das ist ein nicht unlustiger Widerspruch.


    Dein Rangdenken teile ich ganz und gar nicht. Vielleicht facht sowas auch diese Establishment Argumente verschiedener Gruppen an. Ich bin ein absoluter Gegner der derzeit grassierenden Verbotskultur.


    Zitat

    Aber vermutlich bin ich zu socialmedia-verseucht und darf mich laut Nifl eigentlich gar nicht äußern. Ich machs aber trotzdem. 8)

    Übel übel. Das nenne ich mal eine freche Verdrehung meiner Aussage, lernt man das in den Kanälen?


    Mein Abschluss: Ich bin wahrlich kein Freund von der Methode und des Formates des besagten Kritikers und mag es auch unpersönlich und substanziell. Aber ich rebelliere dagegen, dass das nicht erlaubt sein sollte.

  • Eigentlich verdient besonders Jürgens Beitrag eine umfangreichere Antwort - dass die von mir nicht kommt, liegt an anderweitigen Themen, die bei mir momentan anhängig sind. Trotzdem: Ich schätze den Beitrag wohl, auch wenn ich nicht allen Argumenten folge.

    Es bringt mich aber auch zu folgendem Gedanken: Wären die Meinungen auch so dermaßen auseinandergegangen, wenn es um ein anderes Produkt gegangen wäre als Bücher? Meinetwegen ein Shampoo, das einem die Haare ausfallen lässt: Hätte man sich darüber „direkter“ äußern dürfen?

    Ich sehe das, wie ausreichend gesagt, anders: Wenn ein Roman missglückt ist, dann darf man den auch überspitzt kritisieren. Ich schätze das nicht zuletzt als Gegenpol zu - im Falle der genannten Autoren - unzähligen Lobpreisungen, bei denen niemand auf die Idee käme, nach der „Qualifikation“ der Rezensenten zu fragen.

  • das ist ein nicht unlustiger Widerspruch.

    Der worin besteht? Oder hast du vielleicht in dem von dir benutzten Zitat die letzten drei Wörter überlesen: „Im privaten Umfeld.“ Und weiter habe ich geschrieben: „In dem Moment, in dem ich diese Meinung öffentlich vertrete, gelten andere Maßstäbe, die unabhängig sind von meinem persönlichen Wertekanon.“

    Dein Rangdenken teile ich ganz und gar nicht.

    Was meinst du mit „Rangdenken“?

    Nein, nein und nochmals nein. Sie müssen hoffentlich gar nichts (ist das ein Gesetzesvorschlag für die Viktor Orban Regierung? Und alles andere wird gelöscht und verboten?)

    Ich bin ein absoluter Gegner der derzeit grassierenden Verbotskultur.

    Kann es sein, dass wir nicht im selben Land leben?


    Ja, es gibt Gesetze, es gibt Regeln, es gibt Konventionen. Ohne all diese Übereinkünfte kann kein menschliches Gemeinwesen existieren. Über Sinn oder Unsinn dieser Übereinkünfte kann, soll und muss gesprochen und auch gestritten werden. In einem permanenten Prozess. Und immer wieder neu. Was ja auch geschieht. Weshalb sich Gesetze, Regeln und Konventionen im Laufe der Zeit auch verändern.

    Was wäre denn die Alternative? Dass jede und jeder immer und überall tut und lässt, wie es ihr oder ihm beliebt? Oder ist es ein unveräußerliches Menschenrecht, zweimal im Jahr nach Mallorca oder Bali zu fliegen, jeden Tag Fleisch zu essen, jede kleine Besorgung mit dem eigenen Auto zu erledigen und mit alldem die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen zu zerstören? Ist es ein unveräußerliches Menschenrecht, meine Nachbarn, meine Kollegen, die Mitglieder meiner Familie mit Corona zu infizieren, obwohl es eine einfache und für mich in der Regel ungefährliche Möglichkeit gibt, dieses Risiko drastisch zu verringern? Und ist es ein unveräußerliches Menschenrecht, die Arbeit eines Menschen in einer Art und Weise zu verunglimpfen, die diesen Menschen der Lächerlichkeit preisgibt, ihn damit wahrscheinlich zu verletzen und die Tatsache, dass mir das offensichtlich auch noch schnurzpiepegal ist, vor aller Welt zu zelebrieren?

    Wo urteilt Scheck über die Person? Er urteilt über Fitzek und Coelho in ihrer Eigenschaft als Schriftsteller, und damit über ihr Können. Ist das schon zu persönlich …?!

    Du hältst es also für möglich, dass der Autor Fitzek oder der Autor Coelho völlig losgelöst von der Person Fitzek oder der Person Coelho existiert? Es mag ja tatsächlich ein paar supertaffe Autoren geben, die sich angesichts eines Verrisses eins grinsen und denken: „Hauptsache die Kohle stimmt. Warum also soll ich mir einen Kopf nur deswegen machen, weil auch noch ein paar andere meinen Scheiß scheiße finden.“ Aber viele Menschen definieren sich über ihre Arbeit, und für die Mehrzahl der Künstler trifft das sicherlich in besonders starkem Maße zu. Deshalb, ja, ist über die Herabwürdigung der Arbeit eines Künstlers in der Regel auch die Person mitgemeint. Das sollte nicht zuletzt auch dem Kritisierenden bewusst sein und er das bei der Wahl seiner Mittel berücksichtigen.

    Es bringt mich aber auch zu folgendem Gedanken: Wären die Meinungen auch so dermaßen auseinandergegangen, wenn es um ein anderes Produkt gegangen wäre als Bücher? Meinetwegen ein Shampoo, das einem die Haare ausfallen lässt: Hätte man sich darüber „direkter“ äußern dürfen?

    Ich würde mich dazu gar nicht äußern, sondern mir ein anderes Shampoo kaufen. Oder, wenn mir die Himbeermarmelade der Marke Wie bei Muttern nicht schmeckt, zur Marke Großmutters Paradiesgarten wechseln. Natürlich ist auch ein Buch ein Produkt. Auch. Und für mich nur in einem einzigen Moment: an der Ladenkasse. Danach wird es zu einer emotionalen Reise, auf die mich eine Autorin oder ein Autor mitnimmt. Ohne diese starke emotionale Komponente würde ich kein Buch lesen. Bei Shampoo oder Marmelade ist die emotionale Bindung deutlich schwächer ausgeprägt.

    Ich glaube, aus dieser Nummer kommen wir nicht raus. Das bleibt ein unauflösbarer Widerspruch. Literatur und auch Literaturkritik braucht unbedingt die Möglichkeit der Grenzüberschreitung und der Regelverletzung.

    Soweit es die Literatur betrifft, stimme ich dir vorbehaltlos zu. Ein literarisches Werk ist etwas Originäres. Literaturkritik hingegen schafft nichts Neues oder sie tut dies allenfalls in ihrer Form. Ob es dazu aber unbedingt der Möglichkeit der Grenzüberschreitung und der Regelverletzung bedarf, bezweifle ich.

    Ich weiß nicht, wie wir da rauskommen (oder die Gesellschaft, oder die Literatur oder Literaturkritik im Allgemeinen). Ich glaube, wir werden einfach lernen müssen, damit umzugehen und mal in der einen Richtung und mal in der anderen Richtung Fehler zu machen.

    Das klingt sehr nach Resignation. Und falls sie die Realität spiegelt, hieße das, dass wir die Asozialität der Social Media als Maßstab für die gesamte Gesellschaft bereits verinnerlicht haben.


    Herzliche Grüße,:)


    Jürgen

  • Literaturkritik hingegen schafft nichts Neues oder sie tut dies allenfalls in ihrer Form.

    Das sehe ich wirklich anders. Kritiken sind kleine Kunstwerke. Gut - vielleicht gibt es einen Unterschied, aber es ist allenfalls ein gradueller.

    da berauscht sich einer an seiner eigenen Sprachschöpfung.

    So schreibst du das selbst an anderer Stelle. Ja. Genau. Es geht gar nicht um den literarischen Wert von Mein Kampf. Es geht um die Show.

    Das klingt sehr nach Resignation.

    Soll es nicht. Ich glaube lediglich, dass wir dieses Problem, wenn man das mal so nennen will, oder diese Dynamik nicht mit Willensstärke oder einem genialen Einfall lösen können. Oder - Gott bewahre - durch Verbote. Oder Moderation.


    Ich glaube eher, dass dies ein Spannungsfeld ist, in dem wir immer weiter segeln müssen. So gut und so menschlich, wie es eben geht.

    “Life presents us with enough fucked up opportunities to be evaluated, graded, and all the rest. Don’t do that in your hobby. Don’t attach your self worth to that shit. Michael Seguin

  • @ Jürgen: zum Stichwort „mitgemeint“. Ja, das sehe ich tatsächlich anders. Ich halte es für essenziell, über ein Produkt auch eine negative Meinung äußern zu dürfen, ohne dass sich der Schöpfer dieses Produktes automatisch als Person angegriffen fühlen muss. Ich behaupte doch nicht, dass Fitzek kein „netter Mensch“ ist, weil ich seine Bücher nicht mag. Ich glaube darüber hinaus, dass Talent mitunter „ungerecht“ verteilt ist. Dass „Nettigkeit“ und Können nichts miteinander zu tun haben. Dass Fitzek und Coelho jedes Recht der Welt haben, ihre Bücher so zu schreiben, wie sie es für richtig halten und wie zig Leser es ihnen danken, indem sie ihre Bücher kaufen. Ich hielte es für anmaßend, so jemandem zu sagen, das könntest Du besser so machen. Ich bin zudem jemand, der überhaupt keine Berührungsängste hat, wenn es um „Unterhaltungsliteratur“ geht (obwohl ich den Begriff und die Unterscheidung an sich doof finde). Das glaube ich, und deshalb, dass man das Produkt auch scharf kritisieren darf.

  • Wobei mir gerade so durch den Kopf geht: Was würden wohl die Verlage sagen, wenn ein von der Literaturkritik gescholtener, aber sich dennoch (oder gerade deshalb) gut verkaufender Autor auf die Idee käme, von der bewährten Schiene abzuweichen? Wenn schon nach dem Menschen gefragt wird: Wird ein Bestseller-Autor nicht auch in gewissem Sinn zu einer Marke?

  • Dein Rangdenken teile ich ganz und gar nicht. Vielleicht facht sowas auch diese Establishment Argumente verschiedener Gruppen an. Ich bin ein absoluter Gegner der derzeit grassierenden Verbotskultur.

    Bisher bist Du der einzige der von Verboten geredet hat. Von mir aus kann ein Scheck beliebigen Käse schreiben. Ich werde aber nicht das Abnickdackelchen machen und das toll finden, weil ich eben eine eigene Meinung habe, die ich mir nicht von frech unterstellten (sich aber selbst über freche Unterstellungen echauffieren) herbeifabulierten Kanälen gebildet haben soll. Du machst es Dir einfach, wer nicht Deine Meinung teilt, denn donnerst Du irgendwas rein, um ihm/ihr mangelndes oder fehlendes selbstständiges Denken unterzuschieben und somit Mundtot zu machen. Du machst genau das, was Du eigentlich monierst.


    Es ist leicht in einer Demokratie ein Rebell zu sein. Du tust fast so, als würdest Du in China sitzen und der großen Staatsmacht trotzen. Das führt bei mir zu einem Jana-Aus-Kassel-Gefühl und ich muss ungewollt grinsen. Es redet keiner von Verboten und weder ich noch die anderen hier heißen Honecker. Und es gibt auch keinen Grund hier irgendwelche Grundgesetzwerte verteidigen zu müssen, denn die sind nicht in Gefahr. Ich habe lediglich geschrieben, was ich von Scheck halte und das das meine....ja nur meine Meinung ist. Wenn Du mit meiner Meinung nicht klarkommst, dann brauchst Du mir deshalb nichts zu unterstellen. Ich werde mich nicht von Dir assimilieren lassen und bin da rebellisch. Ups...jetzt bin ich der Rebell. Na sowas :)

  • Wobei mir gerade so durch den Kopf geht: Was würden wohl die Verlage sagen, wenn ein von der Literaturkritik gescholtener, aber sich dennoch (oder gerade deshalb) gut verkaufender Autor auf die Idee käme, von der bewährten Schiene abzuweichen? Wenn schon nach dem Menschen gefragt wird: Wird ein Bestseller-Autor nicht auch in gewissem Sinn zu einer Marke?

    Oder noch schlimmer: Ein Autor wäre von einer Literaturkritik so getroffen, dass er sich aus dem Literaturbetrieb zurückzieht. Damit hat dann der Literaturkritiker nicht nur den Autor, sondern auch seinen Fans richtig eine mitgegeben. Ob das Schecks Agenda ist? Weshalb sonst nimmt er ein politisches Schundwerk, dass im 3. Reich ein Bestseller war, um es mit Bestsellern heutiger Zeit zu vergleichen? Da könnte man durchaus reininterpretieren, dass er die Fans und Leser dieser Autoren mangelndes Denken und Fanatismus unterstellt. Kann der gute Scheck durchaus machen. Aber glaubt er wirklich, dass Fans von Unterhaltungsliteratur dann auf die von Scheck empfohlenen Bücher umschwenken? Was liest der eigentlich? Nitsche, Kant und Co?

  • @ Jürgen: zum Stichwort „mitgemeint“. Ja, das sehe ich tatsächlich anders. Ich halte es für essenziell, über ein Produkt auch eine negative Meinung äußern zu dürfen, ohne dass sich der Schöpfer dieses Produktes automatisch als Person angegriffen fühlen muss. Ich behaupte doch nicht, dass Fitzek kein „netter Mensch“ ist, weil ich seine Bücher nicht mag. Ich glaube darüber hinaus, dass Talent mitunter „ungerecht“ verteilt ist. Dass „Nettigkeit“ und Können nichts miteinander zu tun haben. Dass Fitzek und Coelho jedes Recht der Welt haben, ihre Bücher so zu schreiben, wie sie es für richtig halten und wie zig Leser es ihnen danken, indem sie ihre Bücher kaufen. Ich hielte es für anmaßend, so jemandem zu sagen, das könntest Du besser so machen. Ich bin zudem jemand, der überhaupt keine Berührungsängste hat, wenn es um „Unterhaltungsliteratur“ geht (obwohl ich den Begriff und die Unterscheidung an sich doof finde). Das glaube ich, und deshalb, dass man das Produkt auch scharf kritisieren darf.

    Das ist zwar an Jürgen gerichtet, aber ich geb meinen Senf auch mal dazu. Negative Meinungen äußern ist doch kein Problem und das hat Scheck ja auch getan und wird er auch weiterhin dürfen. Er muss sich aber eben im Klaren sein, dass Kritiker eben auch kritisiert werden. Und wenn er sich in den Augen anderer unfair verhalten hat, dann muß er eben auch unfaire Reaktionen auf dem gleichen Level aushalten können. Niemand kann erwarten, dass alle unreflektiert eine Meinung aufsaugen müssen. Wir sind keine Schwämme. Und wer die Fans von Autoren bewusst provoziert, der muß eben auch mit dem Shitstorm leben. Solange er nicht beleidigt, körperlich angegriffen oder bedroht wird, ist alles im Rahmen der Meinungsfreiheit. Ein Literaturkritiker ist kein Gott, der nicht kritisiert werden darf.

  • Und wenn er sich in den Augen anderer unfair verhalten hat, dann muß er eben auch unfaire Reaktionen auf dem gleichen Level aushalten können.

    Das ist dann Gleiches mit Gleichem vergelten, richtig? Scheck hat Romane, oder auch das Gesamtwerk von Autoren kritisiert. Das literaturcafé zielt aufs angebliche Spesenrittertum und darauf, dass man als beleibter Mensch auf einem Pferd lächerlich aussieht. Jawohl, auch das darf man gerne finden - es tut bloß gar nichts zur Sache! Und dasselbe ist es für meine Begriffe auch nicht.


    Ich habe den Satz nicht von ungefähr zitiert, denn das, was da steht, halte ich für sehr heikel. Nein, man muss nicht etwas aushalten müssen, weil andere etwas meinen. Er „muss“ es höchstens aushalten, weil er keine andere Wahl hat.

    Vielleicht amüsiert er sich aber auch über den ganzen Zirkus - auch nicht unmöglich.

    Oder der nächste überlegt sich zweimal, ob er auf die Art Kritik übt.


    PS: Vielleicht sollten wir alle hier „zur Strafe“ je einen Coelho und einen fitzek rezensieren 😈

  • Oder noch schlimmer: Ein Autor wäre von einer Literaturkritik so getroffen, dass er sich aus dem Literaturbetrieb zurückzieht.

    Siehe: Judith Hermann. (Ist ja nicht so, als würde ich aus Prinzip widersprechen 🙂) Ja, hat‘s alles schon gegeben. Erst hochgejubelt, dann niedergemacht. In Hermanns Fall freue ich mich sehr, dass sie gerade mit einem Roman zurück ist, der noch dazu sehr gelobt wird. Erinnert sich noch jemand an ihre damaligen harschsten Kritiker? Wie sie sich im Ton vergriffen haben? Ob es nur um den Roman ging? Zu recht oder nicht? Ich nicht, heißt aber auch nichts.

  • Mit Verlaub, ich fand, dass Judith Hermanns "Daheim" völlig banane ist, pseudokluge, empathie- und emotionsfreie Reißbrettliteratur - ein Text, den sie wahrscheinlich nicht einmal selbst verstanden hat. Ja, das ist schon bitter, wenn man sich so viel Mühe macht und ein Buch schreibt oder schreiben lässt (was ist eigentlich mit den ganzen Katzenbüchern, Ratgebern und Kinderbüchern aus C-Promi-Feder?), und dann finden Leute das so belanglos, uninteressant, schlecht, die Erwartungen verfehlend oder sonstwie so missraten, dass sie das auch noch sagen wollen, und nicht in Wuschelpuschelpieppieppiepwirhabenunsalleliebtenor, sondern klar und direkt und unmissverständlich, weil es möglicherweise Leute gibt, die auf ihre Meinung etwas geben und deren Lebenszeit zu kurz für schlechte Bücher, schlechte Musik, schlechte Filme usw. ist. Wir könnten natürlich auch alle grundsätzlich zur Kunst schweigen - und jeder bildet sich sein eigenes Urteil, und wir generieren dann am besten auch keine Verkaufslisten oder ähnliches mehr, und wir lassen nicht mehr zu, dass Bücher beworben oder undemokratisch in Buchhandlungen aufgestellt werden, oder dass es dort überhaupt Auswahl gibt usw. usf. Vernichtende Kritik besteht nicht nur aus Worten. Viel vernichtender kann sein, wenn nicht wahrgenommen wird, wenn übergangen wird, was wir raustun. Wer schützt diese Autoren, die die Mehrheit stellen? Und wie? Zählt jemand die Traumata, die in der Midlist wohnen?


    Nein, es ist nicht schlimm, wenn Autoren mit dem Schreiben aufhören, weil sie schlechte Kritiken bekommen*. Das ist gut, weil dadurch möglicherweise Bücher in den Vordergrund drängen, deren Erfolg von Feuilletonreflexen wie eben bei Judith Hermann oder auch bei Christian Krachts eitlem, banalem und nicht an Lesern interessiertem Gefasel verhindert wird. Was natürlich eine Milchjungepersonenrechnung ist. Aber schon am Beginn der literarischen Nahrungskette stehen die Berge aus Manuskripten von Leuten, die ihre Freizeit besser nicht mit dem Schreiben verbringen sollten. Wie ist es damit? Sollten die Verlage nicht verpflichtet werden, diese vernichtende Ablehnungspraxis zu Gunsten einer Wir-veröffentlichen-alles-Politik umgehend einzustellen? Sollten wir nicht unsere Besprechungsecke umgehend schließen und uns rückwirkend bei alle entschuldigen, denen dort attestiert wurde, eher mäßig gelungene Prosa präsentiert zu haben?


    Wer von denen, die hier fordern, Literaturkritik solle sanfter, weniger substantiell und freundlicher ausfallen, hat eigentlich selbst schon so etwas abbekommen, also überhaupt eigene Erfahrungen aufzuweisen? Das ähnelt hier allmählich dem in den soziologischen Fakultäten ausgedachten Ismus- und Beleidigungsschutz, der die Republik seit einigen Jahren überzieht, und der ohne ein Mandat der eigentlich Betroffenen unterwegs ist. Doch die Generation der Omnibeleidigten quecksilbert in alle Kapilaren der Gesellschaft.


    (*Was natürlich faktisch niemand tatsächlich tut.)

  • Hallo Jürgen,


    noch kurz zwei Erläuterungen,


    Zitat

    Der worin besteht?

    naja, dass das Kind im privaten Umfeld den entlarvenden Ruf gar nicht wirkungsvoll hätte platzieren können.


    Zitat

    Was meinst du mit „Rangdenken“?

    Damit meine ich die Denke, dass nur Kongruente berechtigt sind. Also in diesem Beispiel, Bestsellerautoren nur Bestsellerautoren kritisieren dürfen und nicht das Kind außerhalb des Privaten.


    Zitat

    Kann es sein, dass wir nicht im selben Land leben?

    Ich weiß nicht wo du herkommst, hier wurde zB. das Nachtangelverbot (nicht Nackt- :-) ) ausgerufen oder ernsthafte Gedanken das Fleischessen am Donnerstag in Kantinen zu verbieten (ich angele nicht und esse selten Fleisch... am Rande bemerkt)... nur zwei klitze kleine Beispiele von etlichen...


    Grüße

  • Hallo Tom und alle,


    ich lese das alles hier erst jetzt. Beziehungsweise: Ich lese es eher nicht, denn hier ist schon so viel geschrieben worden, dass ich gar nicht mehr hinterherkomme.

    Nur noch eine Anmerkung zu den Literaturkritikern: Wer sich in der Kritikerszene ein bisschen auskennt, der weiß doch eigentlich, vom wem was zu erwarten ist. Das heißt: Auch die Leser sind nicht doof. Wenn sie also einen Komplettverriss von ... sagen wir mal Denis Scheck lesen, dann sollten sie den mit der Zeit einordnen können. Ohnehin sehe ich es so, dass, wer es erst mal bis in die Literaturkritik geschafft hat, als Autor schon ziemlich weit oben angekommen ist. Man scheitert dann also auf hohem Niveau, und ich bin mir deshalb auch gar nicht sicher, ob man da überhaupt noch von einem "Scheitern" sprechen kann.


    Ich bezweifel auch, dass es einem Kritiker wirklich gelingen kann, einen Autor schreibtot zu machen oder dessen Karriere zu beenden. Bei manchen Kritikerin steckt eine gehörige Portion Hybris in ihren Texten, ein Ex-Cathedra-Verkünden von Urteilen, auf die vermutlich ein Teil der Leserschaft wirklich wartet, ein noch größerer Teil (der Nicht-Leser) allerdings nicht.


    Ich war selber lange Kritikerin, und ich fand es immer eigenartig, wenn andere tatsächlich auf mein Urteil zu einem Theaterstück gewartet haben. Ich habe dort eine mit meinem Namen gezeichnete Meinung geschrieben, mehr nicht. Jeder mündige Zuschauer und Leser kann und sollte sich eine eigene Meinung bilden. Ich würde dem Kritiker, der da zu einem gewissen Grad einfach nur seinen Job macht, keine so große Macht zusprechen. Auch wenn einige aus der Zunft sie vermutlich wirklich gerne hätten.