Mal kein "Hallihallo, ich bin der (oder die) und der (oder die)", sondern ein Branchenthema

  • Juhu.


    Weil das Forum derzeit nur aus (um nicht missverstanden zu werden: schönen und erfreulichen) Vorstellungsthreads zu bestehen scheint, erlaube ich mir, mal ein weitgehend literarisches Thema in den Ring zu werfen, nämlich die kleine Kampagne, die der Fernseh-Literaturkritiker Denis Scheck gerade gegen sich erleben muss, vermutlich aber nicht zur eigenen Überraschung, denn die zu erwartenden Reaktionen werden zum Konzept gehört haben, das da in die (zuweilen sehr persönliche) Kritik geraten ist. Wolfgang Tischer, den ich eigentlich <hüstel> sehr, sehr schätze, hat sich in die Reihe der Vorwerfenden gestellt:


    https://www.literaturcafe.de/h…rengeld-fuer-denis-scheck


    Kommentar #32 ist übrigens von mir. ;)


    Was meint Ihr dazu? Geht der Mann zu weit, wenn er Christa Wolf und Hitler quasi in einem Atemzug nennt, wobei ich persönlich aus Christa Wolfs Sicht verärgerter über den Fitzek wäre? Sind Spektakel und Reaktion darauf nur inszeniert? Muss man über Schecks Körperform, seine Ohren, seine Brille und seine Reisekosten reden? Oder darüber, dass wir sowas mit "unseren Gebühren" finanzieren? Oder ist das alles nicht der Rede wert? Und wenn ja: Worüber dann reden, wenn nicht über Hallihallos?

  • Hitlers "Werk" gehört meines Erachtens nicht in einen literarischen Kanon und muss weder positiv noch negativ herausgestellt werden. Auch eine Bewertung erscheint mir überflüssig. Ich vermute, dass Dennis Scheck damit provozieren wollte. Kann man machen, man sollte dann aber nicht überrascht sein, wenn das manchen aufstößt. Und wer provoziert muss auch damit rechnen, dass man ihm an die Wäsche geht. Das ist nicht schönt, lohnt aber m.E. nicht die Diskussion. Und nein, geschohnt werden muss der Kritiker (jetzt nicht auf Dennis Scheck bezogen sondern jedweden Kritiker, der so etwas macht) nicht.


    Das Scheck den Fitzek nicht mag, ist bekannt. Fitzek-Leser wird das nicht von weiterer Lektüre dieses Autors abhalten und den Autor selbst vermutlich nicht jucken. Etwas überrascht war ich über die negativen Äußerungen zu Christa Wolf. Das ist aber auch okay und er ist auch nicht der einzige mit seiner Einschätzung.


    Ich lese die Kommentare zu solchen Artikeln (Tischer) seltenst und wenn, komme ich garantiert nie bis zu Posting 32, kann dazu also nichts sagen.

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  • Ich hatte von Denis Scheck vorher nie gehört. Klingt für mich nach einem Mensch, der andere runtermachen muss, um sich selber aufzuwerten. Oder es ist natürlich bloß mal wieder missverstandene Satire, wie man dann so gerne sagt. Die Leute sind bloß zu dumm, seine Witze zu verstehen, der ist eigentlich gar kein fieser Mensch.

    Mich interessiert vielmehr die Meinung der echten Zielgruppe, aber wenn Herr Scheck Autoren schadet, weil er sich (ironisch?) überkritisch an einem Buch austobt, dann hört der Spaß auch auf. Denn es lassen sich eben doch viele Menschen davon beeinflussen und daher wäre mir ein konstruktiver Umgang mit Literatur jeglicher Art von einem (angeblichen) Profi einfach lieber.


    *Vielleicht tue ich ihm aber auch Unrecht mit seinen Kritiken – ich kann nur von dem ausgehen, was in dem Artikel steht, da ich ihn – wie erwähnt – zuvor nicht kannte.

  • Es gibt da diese gesellschaftliche Forderung, nichts zu sagen, solange man nichts Nettes zu sagen hat. Das ist in gewissen Konstellationen durchaus förderlich für das menschliche Miteinander. In der Literaturkritik muss auch verrissen werden dürfen. Es mutete für mich auch reichlich seltsam an, wenn eine Interessenvereinigung, die vom Verkauf von Büchern lebt, vorschreiben wollte, wie man diese Bücher bespricht. Oder wessen Konzept (nicht gut oder schlecht, aber) ok ist oder nicht. Wenn jemand wie Scheck Kritik an Literatur so verpackt, dass dazu auch „böse“ - bissige, gallige - überspitzte und damit ganz sicher abwertende Urteile zählen, dann „darf“ der das selbstverständlich. Wenn ich Scheck nicht jede Urteilsfähigkeit bez. Literatur abspreche, dann muss ich anerkennen, dass er weiß, wovon er spricht, auch, wenn ich selbst vielleicht anderer Meinung bin. Seine Meinung muss/soll ein Literaturkritiker auch nicht „sachlich“ vortragen. Was in jedem Seminar/jeder Selbsthilfegruppe etc. richtig ist, sollte nicht für Literaturkritik gelten, vor allem nicht, wenn man davon ausgeht, dass man einem solches Format, wo Provokation und Ironie Bestandteile des Konzeptes sind, schlichtweg Lebendigkeit nähme. Literaturkritik soll sich nicht an der „Tagesschau“ und auch nicht am „Wort zum Sonntag“ orientieren. Umgekehrt verbietet ja auch niemand glühenden Verehrern der Bücher eines Autors (oder des Autors selbst, auch das mag es geben), jedes seiner Werke über den grünen Klee zu loben. Die Einen hören mehr auf den Kritiker, die anderen mehr auf die Fan-Base, deren Teil sie selbst sind, und überschneidend glauben sie womöglich auch Jubelbewertungen, die sich jemand (mehr oder weniger schmerzfrei) abringt, der das Buch nicht einmal aufgeschlagen hat, aber dazu beitragen will, dass es sich verkauft.


    Dass der Literaturcafé-Artikel selbst überspitzt – als „Antwort“ ist das dann ok, oder wie? Es hat zumindest ein Geschmäckle, nicht nur die Aussage selbst zu kritisieren, sondern erstmal auf das äußere Erscheinungsbild desjenigen einzugehen, der die Aussage gemacht hat, selbst, wenn man gleichzeitig damit das Konzept der Sendung kritisiert. Warum macht man das? Weil ein erhobener Zeigefinger alleine zu „nackt“, „zu sachlich“ wäre? Hätte Christine Westermann denn auf dem Rücken eines Pferdes an Juli Zehs Seite in brandenburgischen Wäldern eine bessere Figur gemacht?


    Apropos „Bücherverbrennung“: Wer vor solchen Vergleichen nicht zurückschreckt (nicht das Literaturcafé, das zitiert nur), disqualifiziert sich im Grunde selbst als Diskussionspartner.


    Was das Stichwort Misogynie angeht, könnte sich auch das eine oder andere des gescholtenen/verteidigten Coelho anbieten – nein?!


    Überhaupt: Wenn man nicht bei sich selbst abschreiben darf, bei wem dann.


    Nein, ich würde diesen Anti-Bücherkanon, wäre er denn geschrieben, wahrscheinlich nicht lesen und anschauen muss ich mir die Clips nun auch nicht unbedingt – obwohl ich nicht ausschließen würde, dass dort wahrscheinlich mehr Geistreiches über einen Roman gesagt werden könnte als in manch einem Roman selbst zu finden sein mag.


    Wer die von Scheck kritisierten Romane mag, soll sie lesen. Ich darf Coelho lesen, ich darf Fitzek lesen, ich darf das eine wie das andere toll finden. Und ich stehe darüber, dass andere – wie ein Herr Scheck – sich darüber mokieren. Die Möglichkeit besteht, dass er recht hat. Verkaufen werden sich die Coelhos und die Fitzeks trotzdem.

  • Seine Meinung muss/soll ein Literaturkritiker auch nicht „sachlich“ vortragen. Was in jedem Seminar/jeder Selbsthilfegruppe etc. richtig ist, sollte nicht für Literaturkritik gelten, vor allem nicht, wenn man davon ausgeht, dass man einem solches Format, wo Provokation und Ironie Bestandteile des Konzeptes sind, schlichtweg Lebendigkeit nähme.

    Warum eigentlich nicht? Warum - ganz allgemein gefragt, nicht auf Scheck bezogen - sollte ein Literaturkritiker ätzen, höhnen, verspotten dürfen? Es ist nichts weiter als seine Meinung. Subjektiv. Seine Seinung, mit Gernhardt gesprochen. Was soll die Selbstüberhebung, die mit jeder hämisch geäußerten Kritik einhergeht, als ob man es besser wüsste, ja besser könnte? Warum muss man die Werke anderer mit Spott und Sarkasmus runtermachen? Ich habe mich schon immer gewundert, dass dieses selbstgerechte Mokieren über Leistungen, die man oft selbst nicht erbringen könnte, ein anerkannter Beruf ist.

    Von einer Kritik erwarte ich eine fundierte Besprechung, die nichts mit dem persönlichen Geschmack des Kritikers zu tun hat, sondern sich an Maßstäben orientiert, die nachvollziehbar sind: Stil, Wortwitz, Umsetzung des Themas usw.

    Häme ist m.E. eine Lebenseinstellung, die man nicht einfach an der Garderobe abgibt. Sie lebt davon, dass man sich überlegen fühlt, es generell besser weiß - aber niemals den Beweis erbringen muss. Das ist kleinlich. Wenn ich manche sogenannte Kritik im Feuilleton lese, könnte ich kotzen.

  • Warum - ganz allgemein gefragt, nicht auf Scheck bezogen - sollte ein Literaturkritiker ätzen, höhnen, verspotten dürfen?

    Weil oft genug - und manche sagen sogar: meistens - Spott und Hohn verdient, was im Kultur- und Unterhaltungsbetrieb auf den Markt geworfen wird. Diese ehrfürchtige und zur Sachlichkeit zwingende Anerkennung, die Kunst in früheren Jahrhunderten vorauseilte, die hatte etwas damit zu tun, wer seinerzeit Künstler sein durfte und von wem diese Leute gefördert wurden. Heute ist Kultur eine demokratische, jedem zugängliche Industrie und wir (und genug Laien) liefern Konsumprodukte. Wir stellen sie gleichzeitig der freien Meinungsäußerung. Und wie die ausfällt, das ist gefälligst jenen überlassen, die sie äußern. Zudem ist Kritik an der Kritik natürlich gestattet; genau das tun wir hier.


    Ich wüsste auch nicht, wie man beispielsweise Gesangskünstlern wie den "Amigos" oder "Piedro Lombardi" anders begegnen sollte. 8)

  • Für mich gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen Ehrfurcht und Sachlichkeit. Ich finde Ehrfurcht genauso unangebracht wie Häme. Ehrfurcht und Häme sind für mich zwei Seiten derselben Medaille: Man blickt zu jemandem auf oder auf jemanden hinunter.
    Sachlichkeit lässt diese Ebene außen vor, sie erhebt sich weder noch macht sie sich klein. Mir ist nicht verständlich, warum im Kunstbetrieb (was auch immer man darunter versteht) erlaubt sein sollte, was sonst überall als schlechter Stil gilt. Wir beklagen uns doch allerorten, dass der vernünftige Umgang miteinander rasant schwindet. Und dann finden wir es auf einmal okay?
    Klar kann man die Art und Weise der Meinungsäußerung „gefälligst“ jenen überlassen, die sie tätigen, aber dann bitte überall - in der Politik, im Elternrat ... gegenüber all den Deppen, die wir aus irgendeinem Grund nicht leiden können und/oder deren Tun wir doof finden.


    Tut mir leid, dass ich das so hart sage, du weißt, dass ich dich schätze, Tom. Aber diese Einstellung, dass erlaubt sei, was gefällt, finde ich daneben - auch wenn es im Kulturbetrieb so gehandhabt wird. Und oben genannten Gesangskünstlern könnte man begegnen, indem man ihnen nicht begegnet. Lass sie doch machen. Warum sollten alle Leute meinen Geschmack teilen müssen, ansonsten höhne ich? Nochmals sorry, aber das scheint mir eine sehr überhebliche Einstellung.

  • Kunstkritik ist kein Umgang miteinander, sondern mit etwas. Dass immer persönlich genommen oder vollständig auf die Person bezogen wird, wie mit auf den Markt geworfener Literatur, Musik, Performance umgegangen wird, ist kein Problem der Kritiker. Wenn ich ein Buch scheiße finde, dann kann und darf ich das auch bildlich zeigen, indem ich im Zweifelsfall sogar darauf defäkatieren lasse. Und wie "sachliche" Kunstkritik aussehen soll, das würde ich gerne mal sehen. Habe ich nämlich noch nie. Das geht auch gar nicht. Und, nicht falsch verstehen: Kunstkritik ist nicht dafür da, den Künstlern zu helfen, um besser zu werden oder bessere Lebensentscheidungen zu treffen, sondern sie ist als extrem subjektive Orientierung für die Konsumenten gedacht. Und zur Unterhaltung.

  • Zitat

    Und wie "sachliche" Kunstkritik aussehen soll, das würde ich gerne mal sehen. Habe ich nämlich noch nie. Das geht auch gar nicht. Und, nicht falsch verstehen: Kunstkritik ist nicht dafür da, den Künstlern zu helfen, um besser zu werden oder bessere Lebensentscheidungen zu treffen, sondern sie ist als extrem subjektive Orientierung für die Konsumenten gedacht. Und zur Unterhaltung.

    Sehr schön auf den Punkt gebracht, danke dafür, ausdrucken und einrahmen.

  • Naja.

    Dann scheinen manche Kritiker ihren Beruf misszuverstehen, denn oft genug wird der Autor mit angegriffen.

    Aber auch wenn nicht: Ernsthaft, auf ein Buch scheißen? Würde ich nicht mal tun, wenn ich ein Buch scheiße fände, denn - mal ehrlich - wo ist da der Unterschied zum Verbrennen?

    Dass Kunstkritik als Orientierung für Konsumenten gedacht sein soll, lass ich gelten, auch wenn sie oft genug zur Selbstdarstellung des Kritikers gerät. Und muss sie wirklich hämisch, beleidigend, verspottend ... passieren? Subjektiv ist Kunstkritik natürlich, aber wie gesagt, man kann seine Meinung so oder so kundtun, da gibt es durchaus Abstufungen.

    Bleibt der Aspekt der Unterhaltung. Den würde ich gelten lassen, sobald der Kritiker über einen boshaften, infantilen oder gehässigen Verriss seiner Kritik genauso lachen könnte wie über die Kunstwerke, die er auf diese Weise verrissen hat. Leider scheiden sich an dieser Stelle die Geister meist recht schnell, denn das Einsteckenkönnen ist bei vielen Menschen oft umgekehrt proportional zu ihrem Austeilungsvermögen angelegt. Ist aber auch logisch, denn wenn ein Kritiker so dermaßen auf Außenwirkung bedacht ist, dass er zu obigen Mitteln greift, hat das Ego im entgegengesetzten Fall natürlich zu schlucken.
    Dabei gibt es auch intelligente Unterhaltung, die nicht unter ein bestimmtes Niveau geht; feine, wirklich geistreiche Ironie würde ich dazu zählen.
    Lange Rede, kurzer Sinn: Ich glaub, das Kunstkritik und Fairness keine Antagonisten sind.


    PS: Die Sachlichkeit hattest du ins Spiel gebracht ... 8) Kann es sein, dass du „sachlich“ mit „objektiv“ verwechselst? (Ohne Bosheit gefragt). Ich finde nämlich, dass Kunstkritik durchaus sachlich sein kann. Objektiv aber nicht.

  • Huhu, Kerstin.


    Wo der Unterschied zwischen dem Bescheißen und dem Verbrennen eines Buchs besteht? Äh. Mir fällt zuerst der Geruch ein, aber vor allem habe ich so meine Schwierigkeiten damit, dass diese Linie "etwas Symbolisch-physisches-Vernichtendes mit einem Buch" und "Nazi-Bücherverbrennung" reflexartig gezogen wird (übrigens haben auch die Nazis das Bücherverbrennen nicht erfunden, und sie waren auch nicht die letzten, die das getan haben). Scheck lässt in dieser vom SWR produzierten Clipshow, die übrigens nicht im Fernsehen läuft, die fraglichen Bücher so verschwinden, wie das Zauberer mit Gegenständen tun (die diese aber keineswegs verbrennen und das auch nicht andeuten), und der Gedanke, er würde sie irgendwie verbrennen oder das anregen oder sich halbheimlich als Nazi outen wollen, ist da schon etwas schräg. Davon abgesehen werden Bücher Tag für Tag in Massen verbrannt und physisch vernichtet, weil sie zu Altpapier werden, wenn sie keiner (mehr) lesen will. Klar, das ist dann eher aus praktischen Gründen, aber ich finde es absolut okay, dass man, wenn einem Bücher extrem missfallen, das auch irgendwie physisch zeigt (was jeder Mensch macht, der ein missliebiges Buch zum Altpapier gibt). Wie gesagt, wer da sofort den Gedanken zu den Nazis spinnt, hat möglicherweise eher mit sich selbst ein Problem - oder sucht nach einer Möglichkeit, die Diskussion siegreich zu beenden, bevor sie begonnen hat, denn wenn die Nazikeule kommt, ist sowieso alles vorbei.


    Ansonsten geht es ja genau um diese Unterscheidung zwischen dem Umgang miteinander (Stichwort: ad hominem) und dem Umgang mit der Sache. Die ganzen Scheck-Kritiker - darunter auch Wolfgang Tischer, den ich sehr schätze (hat jemand den Dialog zwischen ihm und mir im Rahmen der Beitragskommentare gelesen?), attackieren Scheck auch und in der Hauptsache als Person; Tischer betreibt sogar Bodyshaming, vermischt mit diffusen Unterstellungen vom Spesenritter bis zum misogynen alten Herren. Das ist nicht unsachlich, sondern unangebracht - es greift die Person an, nicht ihre Arbeit und ihr öffentliches Werk. Scheck hat sich Sebastian Fitzek aus der Riege der Alltagsbestsellerautoren als "Gegner" herausgegriffen, aber Scheck käme nie auf die Idee, sich über Fitzeks Ohren, Bauch, Schuhgröße oder Lebensführung zu echauffieren. Scheck kritisiert die Arbeit des Autors, und genau das ist es auch, was man als Autor ohne Wenn und Aber von sich der Öffentlichkeit zur kritischen Verfügung stellt. Scheck ist nie unsachlich den Personen gegenüber; er ist ein Literaturkritiker, und genau das macht er auch. Wissensreich, fundiert und klug, wie ich finde, wenn ich auch mit diesem Format, um das es hier geht, nichts anfangen kann. Ich wäre bei keinem Titel aus dem "Anti-Kanon" selbst in der größten Not auf die Idee gekommen, ihn zu lesen. Das gilt auch für das knochentrocken-moralistische Geschwurbel von Christa Wolf.


    Häme? Beleidigung? Wo? Bitte zeigen! Spott: Ja. Davon kann es nie genug geben. Kultur ist keine andere Seinsebene. Das ist nur etwas, das Leute machen, und das keinem direkten Überlebenszweck dient. Bücher sind Marmelade, Schuhe, Flugzeuge. Ich kann keine Marmelade, Schuhe oder Flugzeuge, ich kann nur Bücher. Und jeder Mensch kann über meine Bücher gerne alles sagen, was ihm dazu einfällt. Auch spöttisch, und meine Bücher dürfen gerne beleidigt werden, wenn man das hinkriegt.

    Nur nicht über mich, insofern es nicht um meine Arbeit als Autor geht. Da werde ich zickig.

  • Ernsthaft, auf ein Buch scheißen? Würde ich nicht mal tun, wenn ich ein Buch scheiße fände, denn - mal ehrlich - wo ist da der Unterschied zum Verbrennen?

    Mit der Bücherverbrennung hat man unliebsamen Schriftstellern gezeigt, was nicht nur ihren Büchern, sondern in der Folge davon manchen von ihnen am eigenen Leibe drohte: Vernichtung der physischen Existenz. Wer nicht schrieb, was der Regierung passte, wurde mit Berufsverbot belegt, man nahm diesen Schriftstellern die Möglichkeit, mit Schreiben ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ihre Meinung frei zu äußern, sie wurden buchstäblich mundtot gemacht. Außerdem war es ein klares Signal an das Volk, wie der Hase zukünftig zu laufen hatte, ein Aufhetzen, eine Stimmungsmache gegen Andersdenkende oder sonstwie Verfemte, die es sich nicht einmal aussuchen konnten, ob sie sich nicht doch lieber unterordnen wollten.

    Wenn ein Kritiker heute ein Buch verreißt, dann können sich – so verletzend es für den Verfasser auch sein kann, das Produkt eines mitunter mühsamen kreativen Prozesses niedergemacht und verhöhnt zu sehen – die Verfasser in vielen Fällen doch entspannt zurücklehnen, können sie sich doch einigermaßen sicher sein, dass sich das Buch so oder so verkauft. Was ficht denn einen eingefleischten Fitzek-Fan die Meinung eines Denis Scheck an?! Und ob sich so ein gescholtener Autor wirklich über Gebühr grämt, wenn er weiß, dass er mit einem literarisch gelobten Text ein Nischenprodukt für ein paar tausend Leser schaffen würde, während ihm seine sonstigen Bücher ein sehr angenehmes finanzielles Auskommen bescheren …?

    Zudem: Auch ein grandioser Verriss sorgt für Gesprächsstoff. Ein Format wie das, das Scheck bedient, ist, ja, Unterhaltung. Ich glaube nicht, dass Fitzek und Coelho nach den Clips einen Einbruch ihrer Verkaufszahlen erleben, nicht auszuschließen, dass eher ein umgekehrter Effekt eintritt und sich neue Leser für die gescholtenen Bücher finden.

  • Hallo Tom,

    jetzt mal ernsthaft: Da fährst du grade ziemliche Geschütze auf. In meinem ersten Post hier in diesem Thread habe ich ausdrücklich betont, dass ich mich nicht auf Scheck, sondern auf Kritiker insgesamt beziehe. Zweitens: Wer hier den reflexartigen Vergleich zu den Nazis zieht, das bist du; ich habe lediglich gesagt, dass für mich zwischen dem Vollscheißen eines Buchs und dem Verbrennen kein großer Unterschied besteht, beides zeugt von absoluter Missachtung sowohl des geistigen Produktes als auch desjenigen, der es geschaffen hat. Und es sagt etwas über die Geistesverfassung desjenigen, der zu solchen Mitteln greift. Es werden ja auch Bibeln, Korane, Karikaturen und andere Druckerzeugnisse in schöner Regelmäßigkeit verbrannt. Wenn du da sofort die Nazikeule gezogen siehst, sorry, dann ist das dein Mindset, desgleichen deine Vermutung, hier wolle jemand eine Diskussion „gewinnen“. Erneut: nein! Ich teile hier lediglich meine Meinung mit, und damit kannst du machen, was du willst, aber es wird dir nicht gelingen, mich in eine Ecke zu schieben. Höchstens in deinem Kopf.
    Und dass wiederum ich Scheck in irgendeine Ecke stellen wolle, ist - siehe oben - völlig absurd. Ich finde im Gegenteil seine Zauberstabaktion ziemlich witzig, intelligent gedacht sogar, im Gegensatz zum Bescheißen oder Verbrennen von Büchern, das ich ihm nicht im mindesten vorgeworfen habe, sondern ich bezog mich damit auf dein etwas schräges „defakatieren“. Das erstmal zur Klärung.

    Ansonsten fand ich Tischers Artikel in den von dir hier genannten Aspekten ebenfalls kritisch bis daneben. Deinen Wortwechsel mit Tischer habe ich nicht gelesen, ich gehe aber davon aus, dass er nicht unter die Gürtellinie ging. Was mich allerdings wundert, ist die Härte und die Unterstellungen mir gegenüber in deinem letzten Post hier. Da hätte ich - mit Verlaub - mehr Differenzierungsvermögen erwartet.

    Schönen Gruß

    Kerstin

  • Huhu, Kerstin.


    "Bücherverbrennung" ist als Akt und Bezeichnung eines Vorgangs geschichtlich belastet, und wer diesen Vergleich wählt, wählt ihn in aller Regel im Hinblick auf den fraglichen Vorgang. Wenn Du sagst, dass es da für Dich keinen (großen) Unterschied gibt, wenn man, wie ich - selbstverständlich überzogen (rhetorisches Mittel) - das Bekacken eines Buches als Ausdrucksmittel goutieren würde, dann solltest Du Verständnis dafür haben, wenn man diese Verbindung sieht. Übrigens ist die symbolische oder faktische Defäkation als Stilmittel in der Kunst nicht eben ungebräuchlich. Kot ist gerade bei Performancekunst sehr beliebt, und nicht selten, um Kritik auszudrücken.

    beides zeugt von absoluter Missachtung sowohl des geistigen Produktes als auch desjenigen, der es geschaffen hat.

    Und eben das sehe ich anders. Wenn ich all das, was ich mir während der vergangenen nunmehr zwei Jahrzehnte des mehr oder weniger literarischen Schaffens schon über meine Arbeit anhören musste, persönlich, also als Aussage über mich als Person und Existenz angenommen hätte, hätte ich schon eine Jahresproduktion der Firma Gilette an meinen Handgelenken verbraucht - und ich bin nur ein kleiner Midlistautor. Da diese Leute nicht mehr über mich wissen als das, was sie da in den Händen gehalten und gelesen haben, können sie nicht über mich urteilen, und sie tun es auch nicht. Ich habe mir schon drastische Dinge anhören müssen. "Das Buch ist die größte Scheiße, die je gedruckt wurde" ist für mich in Ordnung. "Sie sind ein Arschloch" ist es nicht. Und das schreibt oder sagt auch kein Literaturkritiker, höchstens bei Pirinçci, aber aus anderen Gründen.


    Gut möglich aber auch, dass wir ein wenig aneinander vorbeireden. :)

  • Zur Klärung: Ich hatte den Artikel von Tischer am Tag seines Erscheinens gelesen, und was mir davon in Erinnerung geblieben war, waren vor allem der "dicke Mann auf dem Pferd" und die Rassismusdebatte.


    Dass man bei der Kritik an Scheck - wie Tischer beschreibt - die Verpuffung der Bücher tatsächlich mit der Bücherverbrennung durch die Nazis gleichgesetzt hatte, hatte ich nicht mehr auf dem Schirm. Insofern kann ich aber nachvollziehen, dass du, Tom, der du dich ausgiebiger mit dem Tischer-Text beschäftigt hast, diese Assoziation sofort hattest, als ich das Wort Verbrennung erwähnte. Ich selbst hatte diese Assoziation nicht, ich meinte lediglich, dass ein Defäkieren auf Bücher und das Verbrennen von Büchern den gleichen groben Gewaltakt gegen ein Buch darstellen. Ich kann jetzt aber nachvollziehen, dass du diese Verbindung sofort gesehen hast.


    Ich kann auch Petras Argumentation, dass man bei der Bücherverbrennung eigentlich die Autoren meinte, nachvollziehen. Wenn dem aber so ist, dann würde das für mich bei einem öffentlichen Besch... des Buches genauso gelten, auch hier wäre der Autor mitgemeint. Denn beides sind öffentlich ausgeführte spektakuläre Akte. Der Unterschied ist lediglich der, dass im zweiten Fall dem Autor kein Schaden an Leib und Leben angedroht ist (von diesem Standpunkt aus, Petra, gebe ich dir recht: Beide Akte sind nicht dasselbe, man sollte sie nicht gleichsetzen).


    Du, Tom, findest nun, dass ein Vernichten oder Besudeln des Buches nicht gleichzeitig dem Autor gilt. Aber das, was man sich über sein Buch vielleicht anhören muss, gleichzusetzen mit einem vor Publikum durchgeführten solchen Akt sind m.E. zwei grundverschiedene Dinge. Genauso wie man das heimliche Wegschmeißen eines Buches, das man nicht mag, nicht mit einer Vernichtung des Buches vor Publikum gleichsetzen kann. Der Unterschied ist eben die Öffentlichkeit, in der das eine geschieht und das andere nicht.


    Okay, es gab also hier ein teilweises aneinander Vorbeireden. Sämtliche meiner Äußerungen bezogen sich auf die Kritikergilde insgesamt, und da bin ich nach wie vor der Meinung, dass ein Mindestmaß an gegenseitiger Höflichkeit und Wertschätzung unserem gesellschaftlichen Zusammenleben förderlich wäre. Es ist doch klar ersichtlich, dass Spott keine angenehmen Gefühle beim Verspotteten erzeugt. Warum aber darf man auf das geistige Werk eines Menschen scheißen, aber nicht sagen, dass einer dick ist und offensichtlich nicht reiten kann? Beides fühlt sich schlecht an. Da geht uns doch ziemlich was durcheinander im Wertekanon. Performances wie Defäkationen als Stilmittel der Kunst zu sehen, wird mir jedenfalls in diesem Leben nicht mehr gelingen; für mich ist es ein darwinistischer Rückschritt: Der Mensch hätte ein hochentwickeltes Gehirn zu benutzen, um künstlerisch und/oder kritisch tätig zu werden, greift aber auf Reflexe im Rückenmark zurück und krümmt den Rücken.