(Sehr frei nach) „Herren“ von Warwick Collins

  • Vor einigen Wochen lief im Ersten, nach Ausstrahlungen bei Arte und auf 3Sat, der prämierte Fernsehfilm „Herren“ (Regie: Dirk Kummer):


    In Berlin kündigt der aus Brasilien stammender Capoeira-Meister Ezequiel seine Stelle in der Kampfkunstschule, nachdem ihm der Sohn des Besitzers vor die Nase gesetzt worden ist. In der Erwartung, irgendwas mit Denkmalschutz tun zu sollen, stößt der Arbeitssuchende daraufhin zu einem Team, bestehend aus Reynaldo, dem Chef mit Wurzeln in Kuba, und Jason, geboren und aufgewachsen in Deutschland, auch wenn er vom Erscheinungsbild oftmals andere Assoziationen weckt. Die Denkmäler entpuppen sich zu Ez‘ Ungemach als Pissoires aus der Kaiserzeit, die von der „schwarzen Nacht-Brigade“, der er nun auch angehören soll, gereinigt werden. Nachdem er den Job am liebsten gleich wieder hinschmeißen möchte, kommt es dann - Überraschung - doch anders: Er bleibt, überwindet ein paar Ekelschwellen, lernt seine Kollegen kennen, steht Seite an Seite mit ihnen UND den beiden Schwulen, die sich gerade noch in einem der Pissoirs Sex hatten, gegen rechte Schläger. Nebenbei kämpft er noch mit seinem Stolz, dem Älterwerden und dem Umstand, dass sein Sohn, für den er sich „etwas Besseres“ erhofft hatte, Friseur werden will. Sehr „normale“ Lebensläufe sind das; man könnte als „Biodeutscher“ mit nicht ausgeprägt multikulturellem Bekanntenkreis glatt denken: Schau an, auch nicht anders als „bei uns“. „Herren“ als Film nimmt Identitätssuche und Alltagsrassismus in Form einer Komödie aufs Korn, nebenbei ist es auch eine Vater-Sohn- und eine Beziehungsgeschichte, und wahrscheinlich der erste deutsche Film, in dem alle Hauptrollen mit schwarzen Schauspielern besetzt sind.


    Neugierig geworden, habe ich mir daraufhin den Roman von Warwick Collins zugelegt, auf dem der Film beruht. Irgendwie. Entfernt. Sehr entfernt.


    Im Buch betreiben die Jamaikaner Ezekiel, Jason und Mr. Reynolds eine öffentliche Bedürfnisanstalt für Männer in London. Die Klos sind nicht historisch, sondern - Verzeihung, Kalauer - stinknormale Aborte, unter Straßenniveau, nur in Mr. Reynolds‘ winziges Büro dringt durch einen Lichtschacht etwas natürliches Licht. Wenn die drei ein Problem haben, dann mit den Geschäftsmännern, die ihre Toiletten nicht zur Verrichtung ihrer Notdurft aufsuchen, sondern, um in der Mittagspause eine Nummer zu schieben. „Reptilien“ nennt Jason diese Männer, und hat wirkungsvolle Strategien dagegen entwickelt. Dabei geht er wenig zimperlich vor; Ez, der seinen neuen Kollegen auf der einen Seite bewundert, entgeht auf der anderen Seite nicht, wie brutal und radikal Jason dabei vorgeht.


    Hätte man den Roman von 1996 (2001 in der deutschen Übersetzung erschienen) auch anders verfilmen können, so, wie er geschrieben wurde? Natürlich hätte man, hat man aber nicht.

    Was der Autor zu den Abweichungen gemeint hätte, konnte/musste man übrigens nicht mehr fragen, da der, ein in Johannesburg geborener Brite, bereits 2013 verstorben ist.

    Wie wäre so ein Film, der sich näher am Buch orientiert, wohl 2019 angekommen? Drei schwarze Klomänner, die Jagd auf privilegierte weiße schwule Männer machen? - Im Film ist der Mikrokosmos des Romans, das öffentliche WC/die Klappe aufgebrochen. Gut möglich, dass der Roman mit seinen gut 130 Seiten zu kurz für einen Spielfilm war; wahrscheinlich auch, dass er auf deutsche Verhältnisse nicht 1 : 1 zu übertragen gewesen wäre. Im Film steht man solidarisch zusammen, wenn es darauf ankommt. Underdogs - Arbeiter, Schwarze, Schwule - behaupten sich erfolgreich gegen Rechte. Das zweite große Thema des Romans, neben dem der Toleranz, nämlich Jasons „umgekehrter“ Rassismus, der hinter seinem offener zur Schau getragenen Sexismus steht, kommt schlichtweg nicht vor.

    „Herren“ als Film kommt mir nicht nur deutschen Verhältnissen angepasst vor, nicht nur um Stoff ergänzt, um die nötige Laufzeit zu füllen, sondern auch vereinfacht, geglättet. Es gibt unter den Männern zwar noch („nachsichtiges“) Unbehagen gegenüber den Homosexuellen, sie sind den Dreien nicht geheuer, abgesehen davon, dass sie ihre Arbeit stören, aber die unverhohlene Verachtung, wie der Roman-Jason sie empfindet, passt zu dem Film-Jason nicht mehr. Dessen Charakter hat im Film am meisten Veränderungen erfahren. Alle drei fühlen sich wohl gestört, aber die nackte Gewalt gibt es nur noch von rechts.

    Warum? Passt der Stoff so besser „in die Zeit“? Oder war der Roman womöglich ein gut umzuschreibendes Vehikel?

    So oder so: Aus dem kontroversen, gelobten Stück Literatur von 1996 ist 2019 ein gelobter, gefälliger, politisch korrekter Film geworden. Sehr geradeaus erzählt. Misszuverstehen gibt es da wenig.


    PS: Hätte mir der Film nicht gefallen, wäre ich wahrscheinlich gar nicht neugierig auf den Roman geworden. Dem Rezensenten der Frankfurter Rundschau, der den Roman seinerzeit offenbar als Zumutung empfand, weil er über „drei zu schwulenhassenden Heiligen stilisierte Jamaikaner“ (zu finden bei Perlentaucher) dann doch nicht lesen wollte, hätte der Film wahrscheinlich auch gut gefallen. Ob er den Roman zu Ende gelesen hat, müsste man ihn selber fragen.


    ASIN/ISBN:

    ASIN/ISBN: 3888972590