#allesdichtmachen

  • Macht sie doch gar nicht, Tom. Guckst du hier:

    Wie soll ich zufrieden sein mit einer Entwicklung, in der es bei den meisten Diskussionen, die ich lese oder mitgestalte, nur noch darum geht, entweder andere per Hassmails niederzumachen oder seine/ihre Argumente um jeden Preis zu widerlegen, nur um Recht zu behalten? Und nicht darum, eine geäußerte Meinung als solche zu respektieren?

  • Ich hasse Hassmails, und ich beobachte den Weg, den wir im gesellschaftlichen Diskurs allzu oft einschlagen, mit Sorge. Das ist ein fettes Problem, für das ich nicht den Ansatz einer Lösung habe, außer immer wieder bei Meinungsverschiedenheiten wenigstens selbst zu versuchen, mich in die andere Seite einzudenken und zu -fühlen. Auch meine ich sehr wohl zu verstehen, worauf du hinauswillst. Aber du hast eingangs wörtlich gefragt: "Wie seht ihr diese Aktion? Und vor allem die Reaktionen darauf?" Also habe ich geschrieben, wie ich es sehe. Ich finde es interessant, darüber zu reden. Aber ich (oder irgendwer hier) schreibe das doch nicht hin, damit du (oder irgendwer) mir nachweist, dass ich mit meiner Meinung unrecht habe. Was soll das denn?

  • Und nein, damit rede ich nicht das mit Sicherheit existierende Problem klein, dass es unserer Gesellschaft zunehmend schwerfällt, Satire auszuhalten und als solche zuzulassen. Und natürlich hat es damit zu tun. Aber genau das ist Meinungsfreiheit auch: Austeilen dürfen und Widerspruch einstecken können. Hass- und Drohmails sind fürchterliche Auswüchse dieser Kultur, aber wenn ich es richtig beobachtet habe, bezog sich das Erschrecken der Schauspieler über die Reaktionen auf ihre Aktion nicht primär auf die Hassmails. Die mittlerweile leider immer dabei sind, und die ein ganz eigenes Problem sind. Sondern es bezog sich schon auf das, was sie da an Verletzungen angerichtet haben.

  • Hallo, Kristin.


    Leute haben etwas gemacht, haben sich an einer Aktion beteiligt, um ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen. Man mag über die Klugheit und Wirkung dieser Aktion geteilter Meinung sein, aber sie haben ohne jeden Zweifel jedes gute Recht zu dieser Aktion gehabt. Sie haben keine Personen beleidigt und keine volksverhetzenden Inhalte verbreitet.


    Als Reaktion auf die Aktion würde ein Aufschrei ausgelöst, die Leute wurden als AfD-nahe diskreditiert, man unterstellte ihnen Dummheit und die Absicht, Menschen zu beleidigen, zu diskreditieren, zu verletzen. Man sprach ihnen ab, ihre Meinung überhaupt sagen zu dürfen, weil sie ja "privilegiert" sind, was inzwischen ein anderes Wort dafür ist, grundsätzlich unrecht zu haben. Man löste Kampagnen aus, forderte vorzeitige Vertragsbeendigungen, Rauswürfe, man sonnte sich in Shitstorms, Hassmails, Drohungen. Sogar Todesdrohungen. Auch an die Familien.


    Im Ergebnis haben einige dieser Leute ihre Teilnahme als Fehler "eingestanden" und sich dafür entschuldigt. Sie haben sich selbst als dumm und naiv und kurzsichtig bezeichnet, sie haben sich kleingemacht, um als diejenigen dazustehen, denen man die Fehler (noch) nachsieht, weil ihnen die Kompetenz dafür fehlte, diese Fehler rechtzeitig zu erkennen.

    Dabei haben sie nur ihre Haut retten wollen.


    Niemand sagt heutzutage einfach nur noch: Ich bin anderer Meinung als Du, weil. Sondern man sagt: Deine Meinung ist falsch, sie ist ein Fehler, und wenn Du Dich nicht sofort entschuldigst und flugshurtig unter Deinen Stein zurückkehrst, werde ich Dich vernichten.


    Und Du sagst, mit Verlaub: Das ist leider so, aber ich finde das Ergebnis in Ordnung. Die Aktion war ein Fehler, sie haben sich entschuldigt (noch einmal die Frage: Bei wem eigentlich?), sie halten jetzt die Fresse.

  • Ich möchte noch einmal zurückkommen auf den Unterschied von Wort und Stimmung in der Diskussion. Und auf Kollektivierung.


    Es endet alles damit, dass man über Nebulöses schreibt. Daher verlinke ich jetzt die Seite allesdichtmachen.de . Da steht eine Einleitung (die auch nicht für alle Teilnehmer steht), und da sind Videos.


    Möge mir bitte jemand zeigen, was etwa an Hans Zischlers Video "verhöhnend" oder "verletzend" ist? Das ist das Video ganz unten über "

    Übrigens: #FCKNZS".


    Bitte werden wir doch konkret. Was ist genau das Problem? Ich habe die Videos auf der Seite längst nicht alle gesehen, aber vielleicht kann mich jemand aufklären?

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Aber genau das ist Meinungsfreiheit auch: Austeilen dürfen ...

    Hier würde ich widersprechen. Für mich hat Meinungsfreiheit nichts mit Austeilen zu tun, sondern damit, überall und jederzeit ruhig und in vernünftigem Ton seine Meinung sagen zu können, ohne Repressalien gleich welcher Art befürchten zu müssen. Entsprechend muss der andere auch nicht einstecken können, sondern lediglich damit klarkommen, dass nicht alle seiner Meinung sind.

  • Leute haben etwas gemacht, haben sich an einer Aktion beteiligt, um ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen. Man mag über die Klugheit und Wirkung dieser Aktion geteilter Meinung sein, aber sie haben ohne jeden Zweifel jedes gute Recht zu dieser Aktion gehabt. Sie haben keine Personen beleidigt und keine volksverhetzenden Inhalte verbreitet.

    Genau. Das Recht haben sie. In dem Sinn, dass sie nicht befürchten müssen, deswegen strafrechtlich verfolgt zu werden. Und das ist gut so und muss so bleiben. Über das Problem, dass Künstler, indem sie ihre Meinung äußern, inzwischen manchmal eben doch berufliche Repressalien fürchten müssen, lässt sich sehr wohl diskutieren. Aber hier geht es darum, dass Schauspieler oder andere Menschen, die ihre Meinung äußern, sei es satirisch-ironisch oder ernsthaft, eben auch mit Widerspruch rechnen müssen. Again and again: Meinungsfreiheit heißt auch so herum nicht Widerspruchsfreiheit.


    Als Reaktion auf die Aktion würde ein Aufschrei ausgelöst, die Leute wurden als AfD-nahe diskreditiert, man unterstellte ihnen Dummheit und die Absicht, Menschen zu beleidigen, zu diskreditieren, zu verletzen. Man sprach ihnen ab, ihre Meinung überhaupt sagen zu dürfen, weil sie ja "privilegiert" sind, was inzwischen ein anderes Wort dafür ist, grundsätzlich unrecht zu haben. Man löste Kampagnen aus, forderte vorzeitige Vertragsbeendigungen, Rauswürfe, man sonnte sich in Shitstorms, Hassmails, Drohungen. Sogar Todesdrohungen. Auch an die Familien.

    Es gab all das, und das ist schlimm genug. Das Schlimmste ist, dass es inzwischen die Norm darstellt. Aber es gab auch differenzierte Kritik zu der Aktion, und die gilt es ernst zu nehmen.

    Im Ergebnis haben einige dieser Leute ihre Teilnahme als Fehler "eingestanden" und sich dafür entschuldigt. Sie haben sich selbst als dumm und naiv und kurzsichtig bezeichnet, sie haben sich kleingemacht, um als diejenigen dazustehen, denen man die Fehler (noch) nachsieht, weil ihnen die Kompetenz dafür fehlte, diese Fehler rechtzeitig zu erkennen.

    Dabei haben sie nur ihre Haut retten wollen.

    Ich habe gestern Ulrike Folkerts in einer Talkshow gesehen. Sie hat sich selbst nicht als dumm, naiv oder kurzsichtig bezeichnet (so, wie ich das auch von niemand anderem gelesen habe), und sie hat sich auch nicht kleingemacht. Im Gegenteil, sie hat die Größe gehabt zu sagen: Ich und andere haben uns komplett verschätzt, was die Wirkung dieser Aktion angeht, und das Letzte, was ich wollte, war, irgendjemandes Leid zu relativieren oder mich sogar darüber lustig zu machen. Die Aktion ist fulminant in die Hose gegangen, und ich entschuldige mich bei allen, die sich davon verletzt gefühlt haben.


    Die eigene Haut retten? Natürlich. Verständlich. Aber es kam auch ehrlich rüber, und ich finde, sie hat absolut ihr Gesicht gewahrt.

    Niemand sagt heutzutage einfach nur noch: Ich bin anderer Meinung als Du, weil. Sondern man sagt: Deine Meinung ist falsch, sie ist ein Fehler, und wenn Du Dich nicht sofort entschuldigst und flugshurtig unter Deinen Stein zurückkehrst, werde ich Dich vernichten.

    Das stimmt nicht. Es gibt Menschen, die einfach sagen: ich bin anderer Meinung als du. Aber sie werden weniger. Und die anderen werden dafür immer lauter.

    Und Du sagst, mit Verlaub: Das ist leider so, aber ich finde das Ergebnis in Ordnung. Die Aktion war ein Fehler, sie haben sich entschuldigt (noch einmal die Frage: Bei wem eigentlich?), sie halten jetzt die Fresse.

    Wie bitte? ich sage: Frau Folkerts, Ulrich Tukur, Martin Brambach u.v.a. halten jetzt die Fresse, und deswegen finde ich das Ergebnis in Ordnung? Ähm ... - nein! 8)

  • Hier würde ich widersprechen. Für mich hat Meinungsfreiheit nichts mit Austeilen zu tun, sondern damit, überall und jederzeit ruhig und in vernünftigem Ton seine Meinung sagen zu können, ohne Repressalien gleich welcher Art befürchten zu müssen. Entsprechend muss der andere auch nicht einstecken können, sondern lediglich damit klarkommen, dass nicht alle seiner Meinung sind.

    So ist es allerdings etwas zivilisierter ausgedrückt! :) Allerdings teilt Satire wirklich oft aus, das ist wohl ihre Natur.

  • Meinung + Widerspruch = Diskurs.

    Diskurs: Gut.

    Meinung + Bedrohung + Rückzug = Diktat.

    Diktat: Nicht so gut.


    Wie ich eingangs schrieb, Kristin - die Aktion selbst interessiert mich kaum. Sie steht für ein aktuelles Geschehen von vielen. Sie steht für etwas, das ich selbst in kleinerem Maßstab schon erleben musste. Sie steht aber nicht für irgendwas Verwerfliches, Hetzendes, Vernichtungswürdiges.


    Und die Wirkung, die Frau Folkerts falsch eingeschätzt hat, worin bestand die? Darin, dass viele gesagt haben: Nein, ihr habt unrecht, ihr stellt das falsch dar, das ist überzogen, zynisch, unzutreffend. Lasst uns da mal bitte drüber sprechen, gemeinsam, wir alle.

    Oder darin, dass das geschehen ist, was tatsächlich geschehen ist?

  • Und die Wirkung, die Frau Folkerts falsch eingeschätzt hat, worin bestand die? Darin, dass viele gesagt haben: Nein, ihr habt unrecht, ihr stellt das falsch dar, das ist überzogen, zynisch, unzutreffend. Lasst uns da mal bitte drüber sprechen, gemeinsam, wir alle.

    Oder darin, dass das geschehen ist, was tatsächlich geschehen ist?

    Das, was tatsächlich geschehen ist an Shitstorm usw. und die Reaktion der Betroffenen, die sich diskreditiert fühlten und das auch sagen dürfen.


    Wollen wir es an der Stelle gut sein lassen? ich denke, wir haben doch nun beide unseren Standpunkt hinreichend klar gemacht und würden uns ab jetzt mehr oder weniger wiederholen.

  • Es endet alles damit, dass man über Nebulöses schreibt. Daher verlinke ich jetzt die Seite allesdichtmachen.de . Da steht eine Einleitung (die auch nicht für alle Teilnehmer steht), und da sind Videos.


    Bitte werden wir doch konkret. Was ist genau das Problem? Ich habe die Videos auf der Seite längst nicht alle gesehen, aber vielleicht kann mich jemand aufklären?

    Ich persönlich finde das Ganze nur insofern "problematisch", als ich der Meinung bin, dass es einfach ist, einer schwierigen Sachlage mit Ironie zu begegnen. Ich denke auch, dass sehr vieles am Coronamanagement falsch gelaufen ist und nach wie vor falsch läuft. Im Grunde ist es sogar so, dass sich für jede Entscheidung, die aktuell getroffen wird, zehn Gegenargumente finden lassen. Da ist es nicht schwer, ironische Stellungnahmen zu veröffentlichen, sie bieten sich geradezu an.


    Ich habe einige der Videos gesehen und kann ihnen inhaltlich zum Teil sogar zustimmen. Aber ich denke fast, Ironie ist hier nicht die passende Antwort, weil man es sich mit Ironie immer auch ein bisschen leicht macht. Im Sinne von "lästern kann jeder".


    Dazu kommt, dass es nicht wenige Menschen gibt, die sich an dem, was Prominente sagen, orientieren. Und da frage ich mich tatsächlich, ob es in dieser emotional explosiven Situation so schlau ist, auf die Coronapolitik mit Süffisanz zu reagieren. Die Bevölkerung ist gespalten: Die einen wollen einen ganz rigorosen Lockdown, um das alles endlich in den Griff zu bekommen, den anderen hängt jede noch so simple Maßnahme nur noch zum Hals raus. Sachlich diskutieren kann man kaum noch, schon deshalb nicht, weil viel zu viele in ihrer materiellen Existenz gefährdet sind.


    Und nun werden, was zu befürchten war, all diese Schauspieler von den Falschen vereinnahmt. Und eventuell in ihrer Ironie von ihnen auch noch als richtungsweisend verstanden: "Wenn sogar Herr Liefers, wenn auch Frau Folkerts das sagt, dann ..." Dabei haben sie oft sogar etwas ganz anderes gesagt, als nun daraus gemacht wird. Weil aktuell jede Fraktion (Maßnahmenbefürworter und Maßnahmengegner) nach prominenten Fürsprechern für ihren Standpunkt sucht und gerade die Gegner der Maßnahmen ihre Fürsprecher hier idiotischweise zu finden glauben.


    Ich stehe der Aktion kritisch gegenüber, weil von Anfang an die Gefahr bestand, dass sich die Falschen durch die Beiträge in ihrer Position bestätigt sehen. Und da geht es gar nicht mehr um die einzelnen Inhalte einzelner Videos, sondern um die Richtung dieser Aktion im Ganzen.


    Schwer zu erklären, ich merke es.


    Die Aktion hat die breite Masse angesprochen, und die breite Masse hat ganz anders reagiert, als sich die Künstler das vermutlich vorgestellt hatten. Weil im Moment eine sachliche Diskussion (die einzelne Beiträge durchaus anstoßen wollten, etwa der von Herrn Liefers) gar nicht mehr möglich ist.


    Aber Berufsverbot ...? Und Hassmails ...? Und Drohungen ...? In was für einer Gesellschaft leben wir denn? Oder haben wir schon immer in so einer Gesellschaft gelebt, nur haben mit der Verbreitung der sozialen Medien all diese Schwachköpfe endlich die Chance, ihre Parolen unters Volk zu bringen, wann und sooft sie wollen?!

  • Mit der GroVo neben mir kann ich mich zwar auch über Schallwellen unterhalten, aber vielleicht spitze ich noch ein wenig zu, und zwar in 2 Punkten:


    1. "#ichbereue" - dieses Distanzieren und bereuen und entschuldigen (u. a. von Frau Makatsch) erinnert mich an die Chinesische Kulturrevolution, als Intellektuelle, "kapitalistische Hunde" und "Feinde des Systems" von den Roten Garden mit Eselsmützen durch die Straßen getrieben wurden. Übertreibe ich? Ja, natürlich. aber ich kann nichts für meine Assoziationen.


    2. Es ist unberechenbar, ob man "Beifall von der falschen Seite" erhält. Ein Adressant formuliert eine Botschaft. Ihm aufzubürden, was Teile der Adressaten daraus machen, würde im Extrem dazu führen, dass niemand mehr etwas sagt. Vor Kurzem sperrte Facebook das folgende Zitat mit Verweis auf Hassrede: "Der Deutsche gleicht dem Sklaven, der seinem Herrn gehorcht ohne Fessel, ohne Peitsche, durch das bloße Wort, ja durch einen Blick. Die Knechtschaft ist in ihm selbst, in seiner Seele; schlimmer als die materielle Sklaverei ist die spiritualisierte. Man muß die Deutschen von innen befreien, von außen hilft nichts." Das Zitat stammt von Heinrich Heine. Der Facebook-Nutzer wurde eine Weile gesperrt.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Eben las ich im Deutschlandfunk eine Nachricht, die ein anderes Licht auf die Frage wirft: "Liefert 'allesdichtmachen' den Querdenkern und Rechtsradikalen eine Vorlage?" In diesem Fall ist es nämlich die überzogene Reaktion auf die Videos, die die AfD geradezu zu einem Abstauber einlädt.


    Der ehemalige NRW-Wirtschaftsminister Duin (SPD) hat einen Tweet verfasst. Er ist auch Mitglied des WDR-Rundfunkrats. DLF: "Duin hatte den Künstlern undifferenzierte Kritik an Medien, Parlament und Regierung vorgeworfen und namentlich die Tatort-Schauspieler Jan Josef Liefers und Ulrich Tukur genannt, die „sehr viel Geld bei der ARD“ verdienten und deren „Aushängeschilder“ seien. „Die zuständigen Gremien müssen die Zusammenarbeit – auch aus Solidarität mit denen, die wirklich unter Corona und den Folgen leiden – schnellstens beenden“.


    Das schreibt kein anonymer Spinner aus asozialen Netzwerken, sondern ein Ex-Landesminister. Die AfD hat leichtes Spiel: "Unter dem Titel „Die Meinungsfreiheit darf kein Corona-Opfer werden“ hat die AfD das Thema für Freitag auf die Tagesordnung gesetzt. Meinungsfreiheit müsse auch für unpopuläre Äußerungen gelten, unterstreicht die AfD in ihrem Antrag. Eine Meinungsfreiheit, die nur populäre oder „Main-stream“-Meinungen schützen würde, sei nichts wert. Dafür müssten alle Demokraten im Landtag gemeinsam ein Zeichen setzen."


    Sind Liefers und Tukur jetzt auch für Duins Tweet verantwortlich? Der dürfte weit mehr eine Vorlage für die AfD sein als die Videos der Schauspieler.


    https://www.deutschlandfunk.de….html?drn:news_id=1252660

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Und dann ist da noch: der Regierungschef, dem man ein angebliches Zitat über die Corona-Toten zuspricht, das man getrost menschenverachtend finden dürfte, und der - das darf man voraussetzen - politische Gegner, der dessen Rücktritt fordert. Nun sagt dieser Regierungschef: hat er nie gesagt. Aber wenn doch? Wäre das dann Meinungsfreiheit oder in dem Fall nicht, weil er ja an einem Platz ist, wo aus einer Meinung u. U. schnell Realität werden kann.


    Die AfD wiederum will die Sache in den Landtag bringen, weil: Meinungsfreiheit. Und die Initiative setzt schnell einen disclaimer auf die Seite, damit ja klargestellt ist: von Euch wollen wir grade keinen Applaus! Ihr versteht uns falsch. Oder auch absichtlich falsch. Oder wir kommen zwar in manchen Fällen vielleicht zum selben Schluss, wollen aber trotzdem nicht vor Euren Karren gespannt werden. - Kann man machen. Wird’s was nützen? Oder anders: Wem wird’s nützen?


    Ich bin nicht dafür, dass sich jeder selbst kasteit und nur noch in vorgefertigten Schablonen agiert, nach sorgfältiger Prüfung, was grade ohne Schaden durchgeht. Wohl aber empfinde ich zunehmend die Gefahr der Vereinnahmung. Und wenn so was erstmal ans Laufen kommt und „Wohlmeinende“ noch mehr Öl ins Feuer gießen: wem hilft’s?


    Der Wunsch, nicht zum Ziel für einen shitstorm zu werden und nicht vereinnahmt zu werden, darf nicht darauf hinauslaufen, sich Satire oder Aktionen wie diese zu verbieten. Aber es wird immer heikler, und leider auch gefährlicher - nicht nur, weil man sich mit so einer Aktion zum Ziel von Angriffen macht, sondern, weil man tatsächlich etwas Vorschub leisten könnte, das man im Leben nicht unterstützen wollte.


    Am Rande: Ich finde nicht, dass einer, der selbst schwer erkrankt war oder Angehörige verloren hat, mehr Recht hat, etwas gegen solche Aktionen zu haben, wohl aber verstehe ich, dass bei denjenigen welchen manche Aussagen mehr polarisieren. Ich hätte es mir schlicht nicht angesehen, wenn’s hier nicht Thema gewesen wäre.

  • Hallo, Kristin.


    Wollen wir es an der Stelle gut sein lassen?

    Können wir, ja, obwohl Du meine Fragen nicht beantwortet hast (Wofür entschuldigen und bei wem* - und mit welchem Recht wird eine Entschuldigung gefordert und was qualifiziert die Fordernden dafür?). Das sind die entscheidenden Fragen, deren Fundament der - meiner Überzeugung nach - äh, etwas selbstgerechte und anmaßende Umgang ist, der sich bei missliebigen, vermeintlich unkorrekten oder schlicht diametralen Meinungsäußerungen etabliert hat.


    *Ja, Du hast die, die "sich diskreditiert fühlen" genannt. Das ist eine schwierige Gruppe in einem Diskurs, ganz grundsätzlich. Sie stammt direkt von jenen ab, die mit ihren religiösen Gefühlen so große Probleme bekommen, wenn jemand Religionskritik übt, aber eigentlich ist der Stammbaum vielschichtiger. Allen ist gemein, dass sie etwas unbedingt persönlich nehmen wollen, das nicht persönlich gemeint ist.

  • Tom, ich weiß jetzt gar nicht so richtig, warum ich immer weiter Fragen beantworten soll - zumal ich zu jedem einzelnen Punkt doch schon mehrmals etwas geschrieben habe. Oder was an meiner Meinung so haarsträubend unerträglich ist, dass sie unbedingt widerlegt gehört. Vielleicht ist der Kernpunkt der, dass ich finde, die öffentliche Entschuldigung und vor allem Distanzierung war angebracht, und du findest das nicht. Und da können wir lange hier stehen und Ja! -Nein! - Ja! - Nein! sagen. Aber bringt es das?


    Hexenjagd ist kacke. Und ich gebe dir insofern Recht, als dass hier das gesellschaftliche Diktat eine Rolle spielt, über die man diskutieren kann und sollte.

    Zur Sache selbst und inhaltlich habe ich mir dann noch gedacht, dass gute Satire doch immer irgendwie vom David-Goliath-Prinzip lebt. Und wer gibt sich hier als David? Die regelmäßig durchgetesteten Schauspieler, die (zum Glück für alle) im vergangenen Jahr größtenteils ihre Drehtage bestreiten durften, und die immerhin so unverzichtbar für die Sender sind, dass (zum Glück für alle) senderseitige Rufe nach Rollenentzug schnell verstummen?


    Diese Satire war Satire, aber sie war nicht gut. Sie war unsensibel und spaltend, und kaum jemand außer der AfD fand sie witzig. Immerhin hat sie aber eins der angestrebten Ziele erreicht, nämlich, dass darüber geredet wird, so wie wir hier das tun. Und dann kann jede/r schauen, wie das weiterwirkt, ob sich da was bewegt im eigenen Kopf (der ja, so sagt das Sprichwort, rund ist, damit das Denken die Richtung ändern kann). Wie, wenn die nächste satirische Kampagne von Künstlern mit Einfluss zum Thema hätte: Unsere ärmeren Kollegen werden finanziell hängen gelassen? Das wäre doch eine Schraube, an der sich drehen lässt, nicht die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie.


    Und dies hier:

    dass sie etwas unbedingt persönlich nehmen wollen, das nicht persönlich gemeint ist.

    darf man getrost auch jedem Menschen selbst überlassen.

  • darf man getrost auch jedem Menschen selbst überlassen.

    Nicht, wenn es als Totschlagargument verwendet wird. Und das ist es in beinahe jedweder Diskussion. Ich führe seit Jahren und Jahrzehnten religionskritische Auseinandersetzungen, bei denen das Persönlichnehmen - die ominöse "Verletzung religiöser Gefühle" - quasi zum Standardrepertoire gehört. Wenn Dir ein Gegenüber erklärt, Du würdest ihn mit Deiner Sachargumentation beleidigen und verletzen, endet das Gespräch, das damit nämlich auf der rein emotionalen Ebene ankommt, sich also der Argumentation aktiv entzogen hat. Wenn ich dem Gegenüber zubillige, diese Keule jederzeit herausholen zu können, was faktisch eine Verkehrung der Konnotationsebene darstellt (Nicht ich entscheide, ob ich jemanden beleidigen oder verletzen will, sondern jeder beliebige Empfänger darf mir diese Absicht unterstellen), endet der Diskurs, bevor er angefangen hat. Also, nein.


    Natürlich ist es so, dass jede Art der Auseinandersetzung Verletzungspotential hat, weil fast jede Thematik Opfer und Leidende kennt, mindestens negativ betroffene. Es mag sogar Leute geben, denen (wie sie glauben) deutsche Schlager das Leben gerettet haben, weshalb es sich verbieten würde, sich über diese grausigste Form der Gesangeskultur lustig zu machen, weil man sonst indirekt diesen Leuten den Tod wünschen würde (weniger absurde Beispiele gibt es zuhauf). Aber diese Dekonstruktion des Abstrakten in einer Debatte führt zu nichts weiter als einer komplett bescheuerten Befindlichkeitskultur, in der nichts mehr Thema ist, von Befindlichkeiten abgesehen.


    150 Jahre alt und so aktuell wie nie:

    "Wir schätzen die Menschen, die frisch und offen ihre Meinung sagen - vorausgesetzt, sie meinen dasselbe wie wir." (Mark Twain)