Thomas Willmann: Das finstere Tal

  • Es wird viel geritten in diesem Roman, und der Fremde, der da im 19. Jahrhundert auf dem Rücken eines Maultiers auf eine einsam und versteckt gelegene Hochebene kommt, wo ein alter Mann, Brenner, nach Art eines Feudalherrn regiert, an der Macht gehalten von seinen sechs Söhnen, dem örtlichen Pfarrer und einer Art obrigkeitshörigen Gleichmut der Dorfbewohner, trägt einen langen Mantel und einen breitkrempigen Hut - und mit sich, versteckt in einer Leinwand, ein Gewehr. Er stellt sich als Greider vor, Landschaftsmaler sei er, und bereit, dafür zu zahlen, wenn man seine Anwesenheit im Ort dulde. So wird ihm, der so harmlos und ohne Arg erscheint, gestattet zu bleiben.

    Dies stellt sich, man ahnt es, als Fehler heraus. Es dauert nicht lange, und es gibt einen Toten im Tal. Damit nicht genug, läutet die Totenglocke bald darauf erneut. Dann feiert die Tochter der Witwe, bei der Greider Quartier genommen hat, Hochzeit, und der Maler verspürt nach der Zeremonie den drängenden Wunsch, zu beichten - wenn auch nicht, um seine Seele zu erleichtern.


    „Das finstere Tal“ von 2010 ist Thomas Willmanns Debüt. Im Gewand eines Heimatstücks kommt der Roman ganz wie der Fremde auf dem Maultier sehr gemächlich daher. Da ist viel Landschaft zu Beginn, der Maler malt die Berge und das Tal und macht sich vertraut mit den Gepflogenheiten im Ort. Was hinter seiner Stirn vorgeht, erfährt der Leser nicht. Das ist aus dramaturgischen Gründen anders nicht machbar, strapaziert aber - so ging es jedenfalls mir - auch die Langmut des Lesers. Wer sich mit der sehr gemächlichen Erzählweise, bei der der Protagonist einem fremd bleibt, abgefunden hat, wird abrupt daraus aufgestört. Es gibt Formulierungen/Beschreibungen, die ich als sehr gelungen empfunden habe, genauso wie man „... traf ihn das Schuhwerk“ umständlich finden kann, „... Wolken, die dunkel und fett am Schnee schwanger trugen“ so pathetisch wie schräg, „... ein Hunger in ihren Kosungen ... so verzehrend küssen, einatmen, dass ihrer beider Leiber eins wurden ...“ umständlich und schwülstig dazu - allgemein altertümelt es oft gewaltig. Im krassen Gegensatz zu den Schnörkeln in der Sprache und dem behäbigen Anfang, folgen, wenn sich der Wilde Westen erst eindeutig des Alpendorfs bemächtigt hat, Passagen allzu detailverliebter Brutalität, wird Folter minutiös beschrieben. Im klassischen Western sind die Rollen strikt in Gut und Böse, Recht und Unrecht getrennt, wenn es natürlich auch Umstände gibt, die den eigentlich Guten korrumpieren können. „Das finstere Tal“ ist mehr ein in die Alpen versetzter Italo-Western: Greider, gekommen, um Vergeltung zu üben, wandelt nicht in den Schuhen - oder in dem Fall Stiefeln - eines letztendlich aufrechten John Wayne- oder Gary Cooper-Charakters, sondern gleicht mehr dem, wie ihn ein Franco Nero oder Charles Bronson in zahlreichen Filmen verkörpert hat.


    Ein Alpenwestern also sozusagen: Die Idee zu so einer Fusion der Orte und Genres muss man auch erst einmal haben! Originell ist das Setting zweifelsfrei. Trotzdem nur eine eingeschränkte Empfehlung von mir. Als düstere Legende oder besser als Saga über Blutsbande und Selbstjustiz einer gegen alle gelesen, Freiheit und Knechtschaft, halte ich den Roman, mit Abstrichen, sehr wohl für gelungen. Mir war die Sprache zu gewunden, die Einleitung zu zäh und der Übergang zum - teils vorhersehbaren, aber durchaus spannenden, teils gar furiosen - Showdown zu blutig. Letztendlich ist es freilich auch Geschmackssache, ob man mitgeht bei opulenten Action-Szenen. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt einen klassischen Western im Fernsehen gesehen habe, aber es muss lange her sein. Nicht auszuschließen, dass ich gerade bei langen Action-Sequenzen nur mit halbem Auge hingeschaut habe ... „Kommt zu Potte“, habe ich womöglich dann gedacht, da wie hier: dahin, worum es wirklich geht. Ich weiß: Man darf das durchaus als grobe Unsitte empfinden.

    Ganghofer und Leone - oder doch schon Tarantino? „Das finstere Tal“ hat mich nicht in Gänze überzeugt: 3 Sterne von 5.


    PS: Der Roman bringt einiges an Bildstärke mit sich, so verwundert es nicht, dass es zu einer Verfilmung gekommen ist: In diesem Film schlüpft der britische Schauspieler Sam Riley in Greiders Rolle, während Tobias Moretti den Brenner gibt.


    ASIN/ISBN: 3548283683

  • Den Film habe ich gesehen, schon damals - 2014 - als er in den Kinos lief (weiß noch jemand, was Kinos sind?). Sehr beeindruckend. Aus dem Landschaftsmaler haben sie einen Fotografen gemacht, aber das ist sowieso nur Beiwerk. Das man einen Western auch in den Alpen ansiedeln kann, wurde mit dem Film eindrucksvoll vorgeführt. Das keine Indianer vorkamen, hat überhaupt nicht gestört. ;)

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    ASIN/ISBN: 3831335559


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    Emanuel von Bodmann