Anzahl von Erzählperspektiven

  • Ich habe festgestellt, dass ich eine Tendenz dazu habe, eine Geschichte aus der Sicht von nur einer Person (mit leichten auktorialen Einschüben, wo nicht anders möglich) zu erzählen.


    Das ist irgendwie so ganz anders als die Geschichten, die ich selbst so lese. Zum Beispiel habe ich heute nach 30 Jahren wieder mal Stephen Kings "Es" in die Hand genommen, und bin nun schon beim gefühlt 10. Erzähler. Das macht dort auch alles Sinn, zieht die Erzählung allerdings auch ziemlich in die Länge, weil von so vielen Figuren der Hintergrund erklärt wird, usw. Bei "Das Geheimnis der Hebamme" (gruselig!) springt es fröhlich zwischen den Figuren hin und her, auch innerhalb der Szene.


    Natürlich wähle ich meine Lektüre nicht danach aus, aus wie vielen Richtungen ein Thema beleuchtet wird, aber ich frage mich nun schon, warum die Autoren, die ich lese, alle mehrere personale Erzähler wählen, um eine Geschichte zu erzählen. Gibt es entscheidende Vor- und Nachteile? Würde man mir das anlasten , wenn ich mich auf eine einzige Person konzentriere, die die Geschichte erzählt, wenn es doch so machbar wäre? Empfindet der Leser das als faul oder langweilig? Ich sehe eigentlich genau darin den Reiz, dass man den Leser nicht viel weiter in den Konflikt oder die Motivationen der Figuren lässt, als es auch der Protagonist erfährt. Das lässt viele Fragen bis zum Ende offen.


    Meine Frage ist akut, denn ich entwickle gerade eine neue Geschichte, und hierbei handelt es sich um ein Mystery (sagt man das so? Mystery-Roman, Mystery-Thriller?). Meine natürliche Eingebung ist es, alles, bis auf die erste Szene aus Sicht der Protagonistin zu erzählen, die erste Szene (weil das die Tat selbst einige Jahre zuvor ist) entweder auktorial oder aus Sicht einer der Szene anwesenden Figuren (Täter, Mittäter, oder eventuell Opfer). Ich könnte die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählen und die Figuren damit vielleicht mehr zum Schillern bringen, oder ich könnte das Mystery möglichst groß lassen, indem ich nicht in die anderen hineingucke.


    Ich bin mir da grad echt ein wenig unschlüssig und würde gern mal euer Meinungen dazu hören.

  • Nein, so ist es nicht gemeint. Ich brauche konkret Hilfe bei der Entscheidungsfindung eine Erzählperspektive für mein nächstes Projekt. Meine Intuition sagt mir pers. Erzähler, und zwar nur einer (bis auf das 1. Kapitel), meine Zweifel werfen ein, dass ich in letzter Zeit nur Geschichten gelesen habe, wo es anders gemacht wurde. Frage: Steht meinem Plan etwas im Weg?

  • Ich kenne mich mit dem Markt nicht so aus, aber zu viele Erzähler und Erzählebenen bergen für mich immer so eine Beliebigkeitsgefahr. Sie scheinen mir auch mehr dem Autor als dem Leser zu dienen, weil naja, es ist viel schwerer Informationen über wenige Erzähler zu vermitteln. Ich denke, wenn du für deine Geschichte nur eine Person erzählen lassen willst, solltest du das durchziehen, so würde ich es machen.


    Von Kings Es habe ich aber so zwei oder drei Seiten gelesen, das Ding dann weg gelegt. Keine Ahnung, was daran gut, schaurig oder raffiniert sein soll. Auch der neue Film (Teil 1 gesehen) ist eine Enttäuschung, Jump-Scares und sonst keine Ideen. Vielleicht kann ich das also nicht so beurteilen, denn Film und Buch kamen ja gut an beim Publikum :)

  • Ich habe mich bei meinen letzten Manuskripten gegen den Ich-Erzähler entschieden, weil mir das für meine Geschichten zu wenig Abwechslung geboten hätte (andererseits lese ich gerade einen Fantasyroman, in dem es drei Ich-Erzähler gibt, das kannte ich so vorher noch nicht).


    Allerdings sind es dann bei mir keine zehn Perspektiven, sondern eher 2-3. Das ermöglicht mir aber, auch Situationen aufzunehmen, bei denen der Protagonist nicht anwesend ist und das finde ich für meine Krimis besser, um die Spannung zu erhöhen.

    Richtig oder falsch gibt es da aber nicht, es kommt halt immer auf die Geschichte an, was besser passt.


    Deswegen kann die Ich-Erzählperspektive in deinem Manuskript durchaus ein Vorteil sein. An "faul" hätte ich da nie gedacht, ob es so zu langweilig ist, kann man nur beurteilen, wenn man das Manuskript liest. ;)

  • Eines vorneweg: Ich LIEBE Stephen Kings "Es". Sowohl den Roman, als auch die zwei (bzw. drei) Verfilmungen.


    Wäre das einer von Kings ersten Romanen gewesen, hätte das wahrscheinlich kein Verleger verlegt. Aber als "Es" Mitte der Achtziger rauskam, war King bereits der "King of Horror" und hätte unter seinem Namen auch ein Telefonbuch veröffentlichen können. Solche Freiheiten würde ich heute nicht mehr bei jedem Verlag erwarten (außer man ist tatsächlich bereits Bestseller-Autor).


    Kings umfasst in der ungekürzten deutschen Fassung 1.200 Seiten. So was kommt nicht ungefähr. Es ist die Geschichte einer Kleinstadt und sämtliche sieben Mitglieder des "Clubs der Verlierer" sind Protagonisten. Dazu gibt es noch zig Nebenfiguren, aus deren Sicht ebenfalls geschildert wird. Je mehr Charaktere du in einem solchen Buch hast, desto größer ist die Gefahr, dass es den Leser verwirrt. Bei Kings "Es" (oder seinem "Needful Things", wo es ebenfalls sehr viele agierende Figuren gibt) hat mich das nicht verwirrt. Aber bei Joanne K. Rowlings Ein plötzlicher Todesfall war es irgendwann anstrengend. Liegt vielleicht auch daran, dass ich diesen Roman nicht ganz so gelungen finde.


    Was deine ursprüngliche Frage betrifft, Silke: Versuche dich auf zwei, drei Protagonisten festzulegen und schildere ausschließlich aus deren Sicht. Auch auf dem Weg kannst du etliche Nebenfiguren einführen und agieren lassen.

  • Was die Ich-Perspektive betrifft: Es gibt viele tolle Bücher aus der Ich-Perspektive, ebenso wie es viele Bücher gibt, in denen die Autoren bewusst darauf verzichtet haben. In meinen Augen ist das einfach ein Stilmittel, für das man sich entscheidet.


    Interessant in dem Zusammenhang der Autor Lee Child und seine Jack-Reacher-Reihe. Eine Handvoll der bislang zwei Dutzend Bände der Reihe sind in der Ich-Perspektive geschrieben. Der Rest sind Bücher, in denen die Geschichte in personaler Form erzählt werden. Und in beiden Varianten gibt es Kapitel, die aus der Sicht der Antagonisten geschrieben sind. Bei Child funktioniert das alles wunderbar.

  • Ich glaube, liebe Silke, eine solche Entscheidung hängt (in meinen Augen ausschließlich!) von der zu erzählenden Geschichte ab. Braucht diese Geschichte, die Du erzählen willst, mehrere Blickwinkel, mehrere Erlebnis-/Zeit-Ebenen? Ist es eine Bereicherung für die Leser, wenn Sie die Geschehnisse und Entwicklungen aus unterschiedlichen Perspektiven miterleben dürfen. Bei Kriminalromanen kann dies z.B. so sein und erhöht die Dramaturgie und die Spannung.

    Handelt es sich bei der Geschichte eher um eine Entwicklung, einen Plot, eine Spannung rund um eine Figur, dann wirst Du möglicherweise auf jeden weiteren Er-Erzähler verzichten können.

    Ebenso kommt es darauf an, wieweit Du die Leser miteinbeziehen möchtest. Sollen sie immer nur das wissen, was Dein personanaler Erzähler auch gerade weiß? Oder möchtest Du, dass die Leser mehr wissen, als die Figur, aus deren Perspektive gerade erzählt wird? Um z.B. eine Bedrohung/ein Konflikt der Figur bereits vor dieser zu wissen, was - gut gemacht - ebenfalls die Spannung erhöhen kann.

    Es gibt eine Reihe von Geschichten, bei denen zunächst scheinbar unabhängige Figuren sich auf sich zubewegen. Ihre Wege kreuzen sich. Und möglicherweise möchtest Du, dass in diesem Moment der Begegnung die Leser bereits die Figuren mit ihren Charakteren und ihren gewohnten Verhaltensweise kennen, um vielleicht nur so das aktuelle Geschehen im Plot ausreichend beurteilen zu können. Wenn ich z.B. einen Choleriker als Figur habe und dieser trifft auf eine Person, die ihn reizt, er hält sich aber zunächst - aus welchen Gründen auch immer - zurück. Dann ist das für die Leser nicht allzu interessant, da sie die Zurückhaltung und die drohende Eskalation nicht kennen können.

    Solche Beispiele kann man endlos weiter spinnen. Es kommt einfach darauf an, was genau Du erzählen möchtest. Die reine Angabe eines Genre ist nicht ausreichend, um hier einen Tipp geben zu können.

  • An den Ich-Erzähler habe ich gar nicht gedacht, nur an den Personalen Erzähler aus einer, max. 2, Perspektiven. Ich stimme zu, Ich-Erzähler kann funktionieren, muss aber nicht. Dazu fallen mir die Tudor-Romane von Philippa Gregory ein, wo jede der sechs Frauen von Heinrich VIII in einem eigenen Band zu Wort kommt. Da diese nicht wissen, was um sie herum passiert (vor allem die Intrigen, deren Informationen die Protagonistinnen nur häppchenweise erreichen), ist der Effekt sehr gut und spannend. Bei anderen Geschichten, vor allem im Fantasy-Bereich, ist es meiner Meinung nach manchmal weniger gelungen.

  • Eines vorneweg: Ich LIEBE Stephen Kings "Es". Sowohl den Roman, als auch die zwei (bzw. drei) Verfilmungen.


    Wäre das einer von Kings ersten Romanen gewesen, hätte das wahrscheinlich kein Verleger verlegt. Aber als "Es" Mitte der Achtziger rauskam, war King bereits der "King of Horror" und hätte unter seinem Namen auch ein Telefonbuch veröffentlichen können. Solche Freiheiten würde ich heute nicht mehr bei jedem Verlag erwarten (außer man ist tatsächlich bereits Bestseller-Autor).


    Kings umfasst in der ungekürzten deutschen Fassung 1.200 Seiten. So was kommt nicht ungefähr. Es ist die Geschichte einer Kleinstadt und sämtliche sieben Mitglieder des "Clubs der Verlierer" sind Protagonisten. Dazu gibt es noch zig Nebenfiguren, aus deren Sicht ebenfalls geschildert wird. Je mehr Charaktere du in einem solchen Buch hast, desto größer ist die Gefahr, dass es den Leser verwirrt. Bei Kings "Es" (oder seinem "Needful Things", wo es ebenfalls sehr viele agierende Figuren gibt) hat mich das nicht verwirrt. Aber bei Joanne K. Rowlings Ein plötzlicher Todesfall war es irgendwann anstrengend. Liegt vielleicht auch daran, dass ich diesen Roman nicht ganz so gelungen finde.

    Ich wollte das eigentlich auch nur total wertfrei anführen, weil ich gerade dabei bin, die Geschichte nach 30 Jahren noch einmal zu lesen. Ich kann die Kritik jetzt auch gar nicht so nachvollziehen bisher. Ich finde, King zeichnet ganz wunderbare Charaktere mit der Methode, auch wenn er sich wirklich Zeit lässt. Ich glaube, heutzutage sind wir das allein schon wegen unseres Medienkonsums nicht mehr gewohnt. Ich befürchte allerdings, dass mich - wie üblich bei King - das Ende enttäuschen wird, aber mal sehen.


    Danke für deinen Hinweis zu den Erzählperspektiven!

  • Ich glaube, liebe Silke, eine solche Entscheidung hängt (in meinen Augen ausschließlich!) von der zu erzählenden Geschichte ab. Braucht diese Geschichte, die Du erzählen willst, mehrere Blickwinkel, mehrere Erlebnis-/Zeit-Ebenen? Ist es eine Bereicherung für die Leser, wenn Sie die Geschehnisse und Entwicklungen aus unterschiedlichen Perspektiven miterleben dürfen. Bei Kriminalromanen kann dies z.B. so sein und erhöht die Dramaturgie und die Spannung.

    Handelt es sich bei der Geschichte eher um eine Entwicklung, einen Plot, eine Spannung rund um eine Figur, dann wirst Du möglicherweise auf jeden weiteren Er-Erzähler verzichten können.

    Ebenso kommt es darauf an, wieweit Du die Leser miteinbeziehen möchtest. Sollen sie immer nur das wissen, was Dein personanaler Erzähler auch gerade weiß? Oder möchtest Du, dass die Leser mehr wissen, als die Figur, aus deren Perspektive gerade erzählt wird? Um z.B. eine Bedrohung/ein Konflikt der Figur bereits vor dieser zu wissen, was - gut gemacht - ebenfalls die Spannung erhöhen kann.

    Es gibt eine Reihe von Geschichten, bei denen zunächst scheinbar unabhängige Figuren sich auf sich zubewegen. Ihre Wege kreuzen sich. Und möglicherweise möchtest Du, dass in diesem Moment der Begegnung die Leser bereits die Figuren mit ihren Charakteren und ihren gewohnten Verhaltensweise kennen, um vielleicht nur so das aktuelle Geschehen im Plot ausreichend beurteilen zu können. Wenn ich z.B. einen Choleriker als Figur habe und dieser trifft auf eine Person, die ihn reizt, er hält sich aber zunächst - aus welchen Gründen auch immer - zurück. Dann ist das für die Leser nicht allzu interessant, da sie die Zurückhaltung und die drohende Eskalation nicht kennen können.

    Solche Beispiele kann man endlos weiter spinnen. Es kommt einfach darauf an, was genau Du erzählen möchtest. Die reine Angabe eines Genre ist nicht ausreichend, um hier einen Tipp geben zu können.

    Danke für deinen äußerst hilfreichen Kommentar, liebe Cordula! Ja, genau das war es, worauf ich mit der Frage abzielen wollte: Zweck und Nutzen für diesen oder jenen Ansatz.


    In meiner Geschichte soll es um ein Ereignis gehen, das sich fünf Jahre vor Eintreffen meiner Protagonistin ereignet hat. Sie wird im Laufe der Zeit immer wieder neue Geschichten, Lügen und Hinweise von verschiedenen Personen zu dem Ereignis erhalten. Deshalb dachte ich, es wäre wenig sinnvoll, in die Köpfe der anderen Figuren hineinzuschauen, denn ansonsten müsste ich ja vielleicht als Autorin sie offenbaren lassen, wann sie lügen, wichtige Dinge verschweigen oder die Wahrheit erzählen. Wenn ich die Perspektive bei der Protagonistin lasse, bleibt der Leser zu jedem Zeitpunkt so schlau wie sie. Irgendwie erscheint mir das aber zu schlicht gestrickt, deshalb meine Verwirrung und meine Zweifel. Deshalb auch meine Frage, ob es zu "faul" von meiner Seite aus ist, so vorzugehen. Ich will halt was Cleveres zu Papier bringen .... ?!?


    Aber vielleicht mache ich mir zu vielen einen Kopf und sollte einfach loslegen.


    Ich schätze, was momentan auch ein wenig mitschwingt, ist Testleserfeedback, das ich erhalte habe für eine Geschichte, die ich gerade abschließe. Einige Leser kannten eine frühere, komplett andere Version, wo aus zwei Perspektiven erzählt wurde. Ich habe eine davon gestrichen und sowieso den gesamten Fokus verschoben - von einer Liebesgeschichte zu einer Entwicklungsgeschichte. Jetzt wird beklagt, dass ihnen die zweite Person fehlt und die Liebe zu kurz kommt. Ich bin ziemlich frustriert deswegen, denn Leser, die nur die Neufassung kennen, sind begeistert. Ich weiß, das ist jetzt schwer für jemand Außenstehenden zu kommentieren, aber ich wollte es nur noch kurz mit einwerfen, warum ich so verwirrende Gedanken im Forum teile und warum ich sichergehen will, dass ich gerade beim prinzipiellen Aufbau nicht gleich zu Beginn einen Fehler mache.