Ingeborg Bachmann: Der Fall Franza

  • 4 von 5 Sternen

    Wieder etwas aus der Mottenkiste, was man in diesem Fall auch so verstehen kann, dass der Roman nur noch antiquarisch zu erwerben ist.

    1. Kapitel: Heimkehr nach Galicien

    Alarmiert von einem Telegramm seiner Schwester Franza (eigentlich Franziska) fährt Martin in das Haus des berühmten Psychologen/Arztes Jordan in Wien. Franza ist mit dem – wesentlichen älteren – Jordan verheiratet. Dort jedoch findet Martin seine Schwester nicht vor. Er fährt in das Dorf Galicien und findet Franza im großelterlichen Haus. Sie ist offensichtlich psychisch schwer erkrankt (Depressionen und Angststörungen). Die Gründe für ihre Erkrankung sieht Franza in ihrer Ehe mit Jordan.

    Galicien hingegen ist das Synonym für Heimat und Kindheit, quasi für das Paradies, aus dem Franza als junges Mädchen durch die Nazizeit vertrieben wird. Doch als der Krieg vorbei ist und englische Soldaten auftauchen, stellt sich für sie heraus, dass das Paradies eine Illusion ist und es keine Rückkehr gibt. Die Welt fängt nicht von vorne an, sondern im Wesentlichen geht alles so weit wie immer.

    2. Kapitel: Jordanische Zeit

    Franza unterstellt ihrem Mann, dass er sie heimlich als Fall betrachtet und ihre Persönlichkeit demontiert habe. Hat er sie zu einer Abtreibung gezwungen? Kam es in der Ehe zu einer Vergewaltigung? Völlig klar sind die Dinge nicht, weil das Geschehen streng perspektivisch erzählt wird (aus der Sicht Franzas oder ihres Bruders). Auf jeden Fall repräsentiert Jordan für Franza den Typus des „Weißen“, also des weißen Mannes, dem die Geschwister Faschismus als personale Eigenschaft zuweisen.

    3. Kapitel: Die ägyptische Finsternis

    Obwohl Martin nicht damit glücklich ist, begleitet Franza ihren Bruder auf dessen Reise nach Ägypten. Hier wird der imperiale Charakter des „weißen Mannes“ für Franza noch einmal besonders darin deutlich, dass er Grabmale (Pyramiden) und Verstorbene (Mumien) zu Ausstellungsstücken für schaulustige Touristen macht.

    Zu Füßen einer Pyramide nimmt die Geschichte mehr oder weniger dann auch ihr Ende.

    Der Roman handelt also vom patriachalen, aggressiven, imperialen (also „faschistischen“) Denken, das das Andersartige und Abweichende „ausmerzt“ (noch so ein Schlüsselbegriff des Romans). „Die Eliminierung der Qualitäten, ihre Umrechnung in Funktionen überträgt sich von der Wissenschaft vermöge der rationalisierten Arbeitsweisen auf die Erfahrungswelt der Völker und ähnelt tendenziell wieder der der Lurche an.“ (Horkheimer/Adorno)

    Oder wie es Franza über den Wissenschaftler Jordan formuliert: „Er hat mir meine Güter genommen. Mein Lachen, meine Zärtlichkeit, mein Freuenkönnen, mein Mitleiden, Helfenkönnen, meine Animalität, mein Strahlen, er hat jedes einzelne Aufkommen von all dem ausgetreten, bis es nicht mehr aufgekommen ist. Aber warum tut jemand das, das versteh ich nicht, aber es ist ja auch nicht zu verstehen, warum die Weißen den Schwarzen die Güter genommen haben, nicht nur die Diamanten und die Nüsse, das Öl und die Datteln, sondern den Frieden, in dem die Güter wachsen, und die Gesundheit, ohne die man nicht leben kann, oder gehörten die Bodenschätze mit den anderen Schätzen zusammen, manchmal glaub ich es.“