T. C. Boyle: Sprich mit mir

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    In den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts begann die – heute berühmte –Verhaltensforscherin Jane Goodall damit, Menschenaffen zu studieren, als Persönlichkeiten wahrzunehmen, an ihnen soziale und sogar kulturelle Eigenschaften zu erkennen und zu dokumentieren. Ihre Schimpansenforschung ist inzwischen legendär. Etwa zur gleichen Zeit wurde damit begonnen, der Schimpansin Wahsoe die Gebärdensprache zu vermitteln – sie beherrschte schließlich mehrere hundert Gesten und konnte diese sogar zu neuen Begriffen kombinieren. Bei anderen Schimpansen gelang dies ebenfalls.


    Boyles gefühlt hundertster Roman – der aber erst sein ungefähr zwanzigster ist – greift die Verhaltensforschung an Schimpansen auf, die als Babys von ihren Müttern getrennt und wie Menschen aufgezogen wurden. Dieser Ansatz war bis in die Neunzigerjahre nicht unüblich. „Sprich mit mir“ spielt nach meinem Dafürhalten Ende der Achtziger, was aber nicht ganz genau zu bestimmen ist. Sein Held ist der Schimpanse Sam, der an einer kalifornischen Universität das Forschungsobjekt des ambitionierten, jungen Professors Guy Shermerman ist. Um für sein Projekt zu werben, lässt Shermerman den klugen, überaus interaktionsfähigen (und sehr süßen) Menschenaffen in einer Fernsehshow auftreten, wo die beiden von der Studentin Aimee gesehen werden, die sich quasi sofort in das Tier verliebt – und in ihm ihre Bestimmung erkennt. Die bildhübsche, aber extrem schüchterne junge Frau bewirbt sich um eine Stelle im Projekt und wird von Beginn an zu Sams wichtigster Bezugsperson (und zur Geliebten Shermermans). Aber leider ändern sich wenig später die Forschungsansätze, die Gelder werden gestrichen, und Sams eigentlicher Besitzer, ein tierhassender, klobiger Professor aus Iowa, will sein Eigentum zurück, um es – natürlich – an die Pharmaforschung zu verscherbeln. Die Katastrophe ist vorprogrammiert.


    Ungefähr bis zur Mitte liest sich „Sprich mit mir“, wenn auch etwas vorhersehbar angelegt, ziemlich gut, und es ist Boyle sogar gelungen, die kurzen Abschnitte, die aus Sams Sicht erzählt werden, so zu konzipieren, dass man sie ihm halbwegs abkauft. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass sich Sams Persönlichkeit stärker in der direkten Interaktion zeigt. In der zweiten Hälfte wird es dann leider ein wenig quälend; der Erkenntnisgewinn flacht ab und die Story dünnt zusehends aus, während sich die Stereotypen die Klinke in die Hand geben. Zugleich scheint Boyle das Interesse an seiner tierischen Hauptperson nach und nach verloren zu haben. Was aber auch daran liegen mag, dass Sams Entwicklung kaum mehr vorangehen kann, während mit seinem Älterwerden große Schwierigkeiten aufkommen, das starke Tier noch zu kontrollieren. Das Ende überrascht niemanden.


    Was bleibt? (Noch) Ein routiniert erzählter, thematisch ambitionierter, dezent politischer, aber auch ein bisschen klischeehafter Roman, der zwar immer noch deutlich besser als das ist, was viele andere Erzähler raustun, aber nur wenige Überraschungen bietet, kaum nachhallt und sich damit zwischen den letzten fünf, sechs Boyles einreiht, ohne groß aufzufallen.


    ASIN/ISBN: 3446269150