Newton Thornburg: Cutter und Bone

  • Thomas Wörtche gibt sich im Vorwort alle Mühe, den Roman zu einem vergessenen Juwel zu erklären. Das Buch – 1976 erschienen – sei auch heute noch ein faszinierender Roman, „der nichts von seinem bösen Witz, nichts von seiner Verzweiflung über den Lauf der Welt, nichts von seiner scharfsinnigen Analysekraft verloren hat.“

    Ich glaube, man nennt das einen hard-boiled-Krimi. Ich hab schon mal Highsmith und Chandler gelesen, aber generell meide ich Krimis. Ich guck mir auch keinen „Tatort“ an. Thornburg flatterte als Weihnachtsgeschenk auf den Noch-lesen-Stapel. Laut Klappentext ist es u.a. eine Geschichte über Freundschaft. Cutter ist ein verstümmelter Vietnam-Veteran, zynisch und ohne Glauben an irgendwas. Mit Bone sieht es nicht viel besser aus. Er hat Frau und Kinder verlassen und schlägt sich mehr schlecht als recht durchs Leben. Inzwischen schmarotzt er als Untermieter von Cutter. Eines Tages oder besser: Nachts glaubt er zu beobachten, wie jemand eine Leiche in einen Mülleimer stopft. Bei der Zeitungslektüre am nächsten Morgen entdeckt Bone das Foto eines Millionärs, in dem er den mutmaßlichen Mörder wiederzuerkennen glaubt. Und so nimmt die Geschichte ihren Lauf.

    Markenzeichen sind die schnoddrigen, abgehangenen, witzig-ironischen Dialoge:

    „Für wen?“

    „Für Cutter.“

    „Ich meine gar nicht sein Äußeres – seine Verletzungen.“

    „Seinen Charakter vielleicht?“

    Bone zuckte mit den Schultern.

    „Was dann? Denk nach, Richard. Streng dich an.“

    „Ich will mir nicht schaden.“

    „Versuch’s.“

    „Es ist spät, Mo.“

    „Sicher. Aber versuch’s trotzdem. Der Herr liebt den, der sich redlich müht.“

    „Das ist tröstlich.“

    „Komm schon, Richard – warum grollst du ihm?“

    „Cutter? Ich weiß nicht.“

    „Doch. Jetzt versuch’s. Lass dir was einfallen.“

    „Irgendwas?“

    „Irgendwas.“


    In der unsentimentalen, von einer gewissen Verbitterung getragenen Weltsicht der Figuren mag eine gewisse Monotonie liegen und in den Dialogen kann man Ansätze von Redundanz ausmachen. Und so würde ich das auch sehen. Alles in allem also eine weitere Bestätigung, dass Krimis nichts für mich sind.

    2 von 5 Sternen.

  • Erst durch die Besprechung von tortitch bin ich auf Newton Thornburgs Werk(e) gestoßen, nach einem ersten Blick ins Buch bestellte ich den Roman. Meinen Leseeindruck fasse ich wie folgt zusammen:


    Zu Unrecht wird dieses Buch, erschienen 1976, bloß als Krimi bezeichnet. Vielmehr ist es eine hardboiled Milieustudie, noch mehr eine Psychostudie exzellenter Art, hinter der als Handlungshintergrund eine, vorerst mutmaßliche, kriminelle Tat steht.

    Drei, teils hochgebildete Charaktere, allesamt Aussteiger der frühen 70er Jahre, bilden die Hauptfiguren dieses Romans. Da ist Bone, der seine Frau und die beiden Kinder verlassen hat, um sich als Herumtreiber ohne jede Verpflichtung, auf Kosten wohlhabender, sexhungriger Frauen durchzuschlagen. Dann sein Busenfreund Cutter, ein verbitterter, zutiefst zynischer, sarkastischer Vietnamveteran, der im Dschungel ein Bein, eine Hand und ein Auge verloren hat und zwischen hochgeistigen Dialogen Gift und Galle gegen alles und jeden spuckt. Dazu seine Partnerin Mo, depressiv und tablettenabhängig, abgehauen aus dem höchst bequemen Leben mit ihren reichen Eltern, Mutter eines knapp einjährigen Kindes, das sie von Cutter empfangen hat.

    Sie alle sind Looser und bewegen sich auf der Schattenseite des Lebens. Gemeinsam bilden sie eine WG, in einer vergammelten Bude, mit Traumblick über das Meer von Santa Barbara. Das Trio lebt von der Hand im Mund, viel Alkohol und Zigaretten, und von einem Tag zum nächsten.

    Eines Abends beobachtet Bone, wie eine Gestalt, deren Gesicht er nicht erkennt, etwas in eine Mülltonne stopft, das er zunächst für Golfschläger hält. Am nächsten Tag erfährt die Gemeinschaft aus der Zeitung, dass es sich um ein ermordetes Teenager-Girl handelt. Obwohl niemand das Mädchen kennt, heckt Cutter einen rachsüchtigen Plan aus, in den er sich fanatisch verbeißt und von dem er nicht mehr abzubringen ist. Ab da beginnt eine wahnwitzige Irrfahrt, die ihr brutales Finale rund dreihundert Seiten später in den Ozarks des amerikanischen Südens findet.


    Thornburg war nicht nur ein exzellenter Beobachter, er war auch ein herausragender Schreiber, dem es gelang, die feinsten Facetten seiner Figuren zu profilieren, ihre tiefsten Gefühle nachempfindbar darzustellen. Deren Interaktion wird dominiert von knappen, sarkastisch/zynischen Dialogen und ihrer verzweifelten, resignativen Sicht auf das Leben und seine unbeugsamen Spielregeln. Thornburg beschönigt nichts, obwohl der Plot als Thriller angelegt ist, erscheint er auch als Kritik an der amerikanischen Post-Vietnam-Gesellschaft.

    Das Werk ist m.A.n. zeitlos, ein literarisches Masterpiece, das mich tief beeindruckt hat. Ich werde dieses Buch, vor allem seine Figuren lange in Erinnerung behalten.


    Newton Thornburg erhielt zahlreiche Literaturpreise. Er wurde zudem als „The only living American still looking for The Lost Generation“ bezeichnet. Eine Ehre, die außer ihm auch Scott F. Fitzgerald, Hemingway oder Dos Passos erhielten.

    Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt!

    (Mohamdas Karamchand Gandhi)