Thomas Mann: Joseph und seine Brüder. 2. Teil: Der junge Joseph

  • Da ich die beiden ersten (Teil-)Romane des „Joseph“ im Zusammenhang gelesen habe, möchte ich kurz „Der junge Joseph“ ergänzen. Auch dieser Teil erscheint noch in Deutschland (1934). Sich eindeutig von seinem Heimatland (und damit auch vom Nazi-Regime) zu distanzieren, fällt dem Taktierer Mann schwer. In einem Brief an Einstein schreibt er 1933, der Bruch mit Deutschland passe nicht zu ihm. Seine Natur sei mehr von goethisch-repräsentativen Überlieferungselementen bestimmt.


    Die äußere Handlung des Romans gibt nicht viel her:

    Das Mutter- bzw. Vatersöhnchen Joseph macht sich durch Denunziationen weiter unbeliebt und hinterbringt bei jeder Gelegenheit dem Vater die Vergehen seiner Brüder. Als wäre das noch nicht genug, provoziert er die Neider durch das Erzählen von Träumen mit etwa diesem Tenor: „Ätschi, eure Garben haben sich vor meiner Garbe verneigt.“ Schließlich überredet er seinen Vater, ihm ein Prunkgewand, das Rahel, seiner Mutter, gehört hat, zu übergeben. Dieses Gewand symbolisiert vor allem auch das Erstgeburtsrecht.

    Zürnend und enttäuscht ziehen die Brüder mit den Schafherden (Jaakob und seine Kinder leben im Wesentlichen von Schafzucht) zu fernen Weidegründen. Jaakob besinnt sich, dass er doch auch seine Nicht-Lieblingssöhne gern um sich hätte, und schickt Joseph zu ihnen, damit er sie zur Rückkehr bewege. Joseph jedoch fällt nichts Besseres ein, als ausgerechnet in dem brisanten Prunkgewand vor den Brüdern zu erscheinen. Sie haben endgültig die Nasen voll, schlagen Joseph zusammen und werfen ihn in einen ausgetrockneten Brunnen. Dort verbringt er gefesselt drei Tage, bis seine Brüder es für ratsam halten, ihn an zufällig vorbeiziehende ismaelitische Kaufleute zu verschachern.

    Weder ist Joseph ein Adrenalin-Junkie noch liegt ihm an der Provokation. Sein törichtes Verhalten resultiert einfach daraus, dass er nicht begreifen kann, dass jemand ihn (den Schönling und Auserwählten) weniger lieben könnte als sich selbst.


    Bereits in der Inhaltsangabe erkennt man das Regiment mythischer, immer wieder sich aktualisierender Muster: Konflikt um das Erstgeburtsrecht, „Auferstehung“ nach drei Tagen (eine Auferstehungsgeschichte erzählt auch Joseph seinem kleinen Bruder Benjamin) . Die Entindividualisierung und Reproduktion mythischer Blaupausen wird besonders an der Figur des Eliezer durchdekliniert. Eliezer ist ein Knecht Jaakobs, der sich um die Erziehung und Bildung Josephs verdient macht, indem er ihn in den mythischen Überlieferungen unterweist. Eliezer nun ist nicht nur konzeptionell eine Wiederkehr, sondern namentlich in dem Sinn, dass auch der Stammvater Abraham einen Knecht dieses Namens hatte. Und in den Erzählungen des aktuellen Eliezer wird deutlich, dass er zwischen sich und dem Vor-vor-vor-Gänger nicht all zu genau unterscheidet. Wenn er von Abrams (Abrahams) Eliezer erzählt, spricht er gern so, als sei er es selbst gewesen.

    Etwas anders verhält es sich mit Joseph. Auch er sieht sich in das mythische Narrativ eingebunden und er ist auch bereit, seine Rolle zu spielen. Doch er spielt sie eben nur. Er ist der Spieler und Artist, also der bei Mann selten fehlende, von intellektueller Durchdringung angekränkelte Künstlertyp. Allerdings ein von Selbstliebe verblendeter Typ, der in den ausstehenden zwei Romanteilen noch einige Lektionen lernen muss, bis er die Synthese von Mythos und Wissenschaft (Psychologie) und den sozial verantwortlichen Künstler repräsentieren kann.