John Niven: Die F*ck-it-Liste

  • Lahme Rachefantasie vor schalem Hintergrund


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    Man nennt es normalerweise „Bucket-List“: Die Liste, die von Dingen, die man noch erledigen möchte, bevor man den Löffel abgibt („to kick the bucket“) - einmal New York sehen, Kugelfisch essen, den Duft einer Bergalm am Morgen riechen oder nackt im Eis baden, solches Zeug eben.

    Frank Brill, der gerade sechzig geworden ist, ist trockener Alkoholiker. Seinen Job als Chefredakteur bei einem Provinzblatt hat er schon vor einer Weile verloren. Ein Amokläufer hat (unter anderen) seine letzte Frau und seinen Sohn umgebracht, Franks Tochter ist gestorben, weil sie eine illegale Abtreibung wählen musste, eine Ex-Frau ist von einem Heiratsschwindler ruiniert worden, und Franks Jugendfreund wurde vom Footballcoach sexuell missbraucht. Und jetzt erfährt Frank auch noch, dass er sehr bald an nicht mehr therapierbarem Krebs sterben wird. Statt sich den wirklich schönen Dingen zuzuwenden, einen Bungeejump aus dem Hubschrauber zu machen, die Altersrücklagen in Vegas zu verpulvern oder eine fette Orgie zu feiern, plant Frank Brill einen Rachefeldzug. Er will - und wird - mehrere Leute umbringen, teils solche, die ihm oder den seinen persönlich geschadet haben, oder solche, die politisch, also sozusagen grundsätzlich die Verursacher des Unglücks waren.



    Wir schreiben das Jahr 2026. Trump hatte noch eine zweite Amtszeit, jetzt ist Ivanka Präsidentin, Trumps Tochter. Aus den U.S. of A. ist ein hochverschuldeter Polizeistaat geworden, die Hatz auf vermeintliche Nichtamerikaner, auf „Illegale“, hat sich zum Volkssport entwickelt, auf Nordkorea wurden ein paar Atombomben abgeworfen und der Iran wurde ebenfalls plattgemacht. Ansonsten hat sich alles so entwickelt, wie man mit etwas Social-Media- und Wikipediawissen prognostizieren würde. Die Spaltung geht tief, die Armen sind noch ärmer geworden, und die Reichen, die fast keine Steuern mehr zahlen, schotten sich ab.


    Niven hat diesen - seinen zehnten - Roman im März 2020 veröffentlicht, aber hierzulande ist er erst im Oktober 2020 erschienen, also einen Monat vor den Präsidentschaftswahlen - die ja nicht so ausgegangen sind, wie Niven annahm, als er „Die F*ck-it-Liste“ geschrieben hat. Aber auch wenn man diesen Umstand hinnimmt und den gesellschaftspolitischen Hintergrund als Was-wäre-gewesen-wenn-Szenario akzeptiert, ist der Roman überwiegend für die Tonne.



    Das liegt nicht nur an der schwachen und etwas quälenden Erzählsprache, am extrem selten aufblitzenden Niven-Witz oder an der Tatsache, dass die gesamte Geschichte weder hinter-, noch vordergründig irgendeine Überraschung bereithält, sondern vor allem daran, dass die Selbstjustiz keinen Wert hat, keine Reflexion enthält, nichts weiter als eine Reihe von Morden ist, die auch noch von einem Protagonisten ausgeführt werden, den man als Leser weder besonders mag, noch aus anderen Gründen schätzt. Man empfindet nicht einmal Schadenfreude. Außerdem ist Franks Motivation schwach begründet; es kommt einem vor, als wäre diese Mordliste gegen irgendeine andere letzte Aufgabe beliebig austauschbar. Er ist nicht wirklich wütend, sondern eher müde und frustriert, er ist auch nicht überaus depressiv - er ist so lahm wie diese ganze unausgegorene Story, die auf einer Idee fußt, die Niven möglicherweise gut vorkam, und die er dann nicht mehr aufgeben wollte, als er gemerkt hat, dass das nicht stimmt. Also hat er die Arbeit gemacht, aber Herzblut darin und Freude daran sind nicht zu spüren. Das Ding ist runtererzählt.



    Ja, es gibt hin und wieder schöne Momente, etwa, wenn Niven Trump oder dessen Tochter zu Wort kommen lässt. Das kann man, wenn man möchte, dann auch als etwas feiern, das uns zum Glück - zumindest vorerst - erspart wurde. Aber das genügt längst nicht, um Niven diese sehr dünne, mit lauter Stereotypen besetzte, unausgegorene und moralisch nur schwer begründbare Story abzukaufen. Sein schwächster Roman, obwohl er sich darin am meisten um Provokation bemüht hat. Denn nicht einmal die funktioniert.


    ASIN/ISBN: 3453268474