Matt Ruff: 88 Namen

  • Besonders


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    Wenn man die Romane von Matt Ruff vergleicht, dann fällt - von der durchgängig hohen schriftstellerischen Qualität abgesehen - eigentlich nur eine Gemeinsamkeit auf: Sie sind alle besonders. Besonders originell, wie das kongeniale „G.A.S.“, oder besonders rührend, wie das einfühlsame „Ich und die anderen“, oder besonders eigenartig, wie die Shakespeare-Adaption „Fool on the hill“, oder besonders merkwürdig, wie die - allerdings etwas missratene - utopische Satire „Mirage“, oder besonders engagiert, wie „Lovecraft Country“.


    Ansonsten scheint sich der Mann mit jedem Roman neu zu erfinden.



    „88 Namen“, das sich so rasant wegliest wie kein anderer Ruff bisher, ist besonders cool. Ruff gelingt es tatsächlich, in die Figur des 21 Jahre alten John Chu zu schlüpfen, der in einer nahen Zukunft als Sherpa für Online-Rollenspieler arbeitet. Chu, Sohn einer hochrangigen amerikanischen Regierungsagentin, die in Sachen Cybercrime unterwegs ist, ist klug, achtsam, aufmerksam und begeisterungsfähig. Er träumt davon, ein eigenes MMORPG an den Start zu bringen - ein „Massively Multiplayer Online Role-Playing Game“ wie das bekannte „World of Warcraft“, das allerdings in „88 Namen“ nicht genannt wird, da alle im Buch vorkommenden Spiele fiktiv sind. „Call to Wizardy“ heißt das MMORPG, in und mit dem John Chu bevorzugt arbeitet. Bei solchen Spielen müssen Anfänger viel Zeit und Mühe investieren, um gute Charaktere und starke Ausstattungselemente zu erlangen, sich also „hochzuleveln“. Chu und sein Team helfen begüterten Kunden, auch mit einem kurzen Einstieg weit oben in den fantastischen Welten aktiv sein zu können, in „Dungeons“ gegen harte Bosse zu kämpfen, wertvolle Goodies zu erhalten und Spaß zu haben, ohne wochenlang armselige Quests absolvieren zu müssen. Dafür bekommt Chu gutes Geld, bis ihn die EULA-Cops des Spieleherstellers Tempest mal wieder erwischen und aus dem Spiel verbannen, woraufhin einer seiner 88 sorgfältig gesammelten Namen nutzlos wird - und es mit dem nächsten weitergeht.



    Aber dieser neue Auftrag ist eigenartig. Der Auftraggeber, ein Mr. Jones, will möglichst viel über die Welt der VR-Spiele erfahren, aber nichts von sich preisgeben. Dafür zahlt er mehr als exzellent, wird von einem Helfer, der sich „Mr. Smith“ nennt, geschützt, und er offenbart seltsame kulturelle Lücken. Nach und nach verdichten sich die Indizien dafür, dass es sich bei Mr. Jones um den nordkoreanischen Diktator handeln könnte.



    „88 Namen“ nimmt wirklich mit in die Welt der Online-Rollenspieler. Duktus, Personal und Dramaturgie des Romans funktionieren exzellent, und man lernt eine Menge über die Spiele, die Motivation der Teilnehmer, über den Reiz des ganzen, über Codizes und Strukturen. Ruffs Hauptfigur wirkt authentisch, und die Erzählung überwiegend auch.



    Ein wesentliches Element der Rollenspiele besteht darin, eben in Rollen zu schlüpfen, zu einer anderen Person zu werden. Matt Ruff benutzt diese Besonderheit als Ansatzpunkt, um sich mit Fragen der Diversität, mit identitätspolitischen Aspekten, mit Vorurteilen, den so genannten marginalisierten Gruppen, mit Genderfragen und ähnlichem auseinanderzusetzen. Das geschieht überwiegend relativ beiläufig, zuweilen aber auch in recht vordergründiger Weise - und mich hat es genervt, weil das Gefühl zunahm, eine pädagogische Geschichte zu lesen, obwohl der Versuch ein sehr kluger ist, ausgerechnet das Rollenspiel zum Ausgangspunkt für solche Fragen zu machen, also eine Sache, die im Kern von Vorurteilen, Klischees und Rollenverhalten lebt.



    Hiervon und vom, na ja, bestenfalls okayen Ende abgesehen, ist „88 Namen“ rasant, sehr unterhaltsam, oft clever, manchmal lehrreich und eben cool.


    Und besonders.


    ASIN/ISBN: 3596700930

  • Besonders


    Ansonsten scheint sich der Mann mit jedem Roman neu zu erfinden.

    Das ist ein Argument für mich, den Autor auf die "demnächst" Liste zu nehmen. Autorinnen und Autoren die sich von Roman zu Roman wiederholen gibt es zur Genüge.

    BLOG: Welt der Fabeln


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    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Er hat wieder einen neuen Roman veröffentlicht? Super, Das wusste ich gar nicht. Ich bin auf Matt Ruff das erste Mal über eine Buchrezension gestoßen, die ich schreiben musste. Das war G.A.S. Seitdem habe ich nicht alles, aber zumindest die meisten seiner Bücher gelesen.

  • Das war der zweite innerhalb kurzer Zeit, davor gab es vor anderthalb Jahren "Lovecraft Country", aber Matt Ruff hat schon ziemlich viele Romane veröffentlicht, darunter das wunderbare "Ich und die anderen" um die dissoziative Persönlichkeitsstörung, eines meiner Lieblingsbücher.


    ASIN/ISBN: 3423208902