Literatur zur Stärkung des Schreibmuskels

  • Wenn man seinen eigenen Schreibstil verbessern oder - wie ich - überhaupt erst entwickeln will, dann wird häufig empfohlen, erst einmal zu lesen. Und zwar einmal leise und dann laut (der Tipp stammt übrigens von Horst-Dieter). Das liefert Übung und trägt zur Verbesserung der eigenen Ausdrucksfähigkeit bei.


    Wem jetzt der Effekt des laut Lesens nicht einsichtig ist, überzeugt hat mich folgender Satz:


    "Ihre schwarzen Augen balancierten ängstlich auf hohen Wangenknochen" (Das ist ein Beispiel, wie man nicht schreiben sollte.)


    Ich weiß nicht, wie es euch mit diesem Satz ergeht. Bei mir war es folgendermaßen: Beim leise Lesen bin ich achselzuckend über diesen Satz hinweg gegangen. Beim laut Lesen brach ich in schallendes Gelächter aus. - Es ist wirklich ein Unterschied!


    Jetzt zu meiner Frage:


    Welche Bücher bzw. Autoren empfehlt ihr als positive Vorbilder?


    Ich selbst habe mir gerade "Die Erfindung ..." von Frank Witzel besorgt, weil ich dieses Buch schon immer mal lesen wollte. Aber ist das auch für den hier gedachten Zweck geeignet?


    Was für mich nicht in Frage kommt, sind deutschsprachige Literaturnobelpreisträger. Die gefallen mir durch die Bank nicht. Hesse ist Adoleszenzliteratur (nichts dagegen, aber nicht das, was ich schreiben will), die anderen sind mir zu sperrig. Böll war ein großartiger Mensch, aber seinen Schreibstil mag ich gar nicht. Grass, Mann, Handke ... ach, ich schweige lieber.


    Für meinen Geschmack ist T.C. Boyle der größte Schriftsteller. Aber der ist Amerikaner und somit "studiert" man ja eher seine Übersetzerin, wenn man sich auf den Stil konzentriert. Oder würdet ihr auch übersetzte Bücher hernehmen?


    Ich bin gespannt, was und wen ihr so empfehlt.

    „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

    Samuel Beckett (1906–1989)

    2 Mal editiert, zuletzt von Peter S. ()

  • Lernen kann man von allen und jedem. Wenn man die alten Schriftsteller nicht mag, liest man die neuen. Da gibt es genügend, mit deren Prosa und Sprache man sich auseinander setzen kann (den Begriff "Schreibstil" mag ich inzwischen überhaupt nicht mehr). Ohne überlegung würde ich Karen Duve und Wolf Haas als solche nennen, mit deren Prosa man sich auseinander setzen sollte, wenn man lernen will, auch der leider schon verstorbene Jakob Arjouni schrieb eine bemerkenswerte Prosa (m.M.n.). Hans-Ulrich Treichel ist sicher einer, dessen Prosa nicht die schlechteste ist. Und wenn man es etwas spröde mag, dann liest man Marlene Streeruwitz.


    Nachtrag: Eine hervorragende und bemerkenswerte deutsche Prosa schreiben der Mongole Galsan Tschinag und der Syrer Rafik Schami. Beide können außerdem das, was manchen deutschen Autoren mangelt: erzählen.

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    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Übersetzung oder nicht, finde ich in dem Zusammenhang egal. Wenn dir T.Mann nicht behagt, bist du aber auch schwierig.

    Treichel z.B. wäre mir sicher nicht eingefallen.

    Nabokov, Foer. Oder auch Max Goldt, Stanisic. Einen sehr eigenen Sound hat auch Meyerhoff.

    Kehlmann und Glavinic schreiben ja nu auch nicht so übel, heißt es.

  • Lernen kann man von allen und jedem.

    Nö.


    Es kommt auch - und möglicherweise entscheidend - darauf an, was man lernen möchte. Wie lernfähig man selbst ist. Ob man das fragliche Talent hat. Und ob das, was man zu lernen im Begriff ist, auch das ist, was einen voranbringen würde.


    Ich bin Viel- und Allesleser, aber ich habe so meine leisen Zweifel daran, dass der Konsum vermeintlich stilistisch gelungener Literatur wirklich in starkem Maße geeignet ist, die eigenen Schreibmuskeln zu trainieren. Dazu gehört erstens schon ein bisschen mehr als nur die Lektüre irgendwelcher Romane, und seien sie auch noch so schwergängig. Und zweitens lernt man auch das Autofahren nicht dadurch, dass man viel Zeit auf diversen Beifahrersitzen verbringt oder sogar nur vom Bürgersteig aus dabei zusieht, wie Leute das machen. Man sieht die Ergebnisse, aber nicht, wie die anderen sie erzielen.


    Lesen ist wichtig, wirklich sehr, sehr wichtig, vor allem als Inspiration. Der Weg zu einer guten eigenen Erzählsprache geht aber m.E. anderswo entlang.


    Außerdem könnte man einfach alle erfolgreichen und/oder guten Autoren aufzählen. Juli Zeh ist eine Meisterin darin, extrem strukturiert und wohlgeplant zu arbeiten, aber Karen Duves "Regenroman" ist in meinen Augen das amüsanteste Stück Prosa, das in den letzten Jahrzehnten hierzulande erstveröffentlicht wurde. Eva Menasses "Quasikristalle" ist sprachlich fulminant, hat aber vor allem einen zwingenden, hochintelligenten Aufbau. Das sind auch Bücher, die man meiner Überzeugung nach unbedingt gelesen haben sollte. Ob sie irgendwelchen oder gar nennenswerten Einfluss auf meine eigene Entwicklung als Autor hatten, wage ich jedoch zu bezweifeln. Oder die vielen zehntausend Seiten, die ich aus der Feder des großartigen Peter F. Hamilton gelesen habe, der die klügsten Space Operas von allen schreibt. Richard Morgan, ein Genie. Iain Banks. Alles Leute, die man lesen muss. Aber als Zuschauer wird sich der Lerneffekt trotzdem in Grenzen halten.

  • Ich stimme Tom nur bedingt zu. Zwar hat er recht damit, dass ich nicht lerne, Auto zu fahren, wenn ich ständig nur den Beifahrersitz belege, aber ich lerne womöglich, wie ich etwas tue oder auch nicht. Von der rein mechanischen Bedienung bis hin zum Verhalten von und gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern.

    Wer viel ins Theater geht, wird nicht zwangsläufig Schauspieler, aber er kann durchaus lernen, gute Schauspieler von weniger guten zu unterscheiden. Gelungene Inszenierungen von misslungenen.

    Die Beispiele lassen sich fortsetzen. Wer viele Konzerte besucht … undsoweiter undsoweiter.

  • Wer viel ins Theater geht, wird nicht zwangsläufig Schauspieler, aber er kann durchaus lernen, gute Schauspieler von weniger guten zu unterscheiden.

    Aber es stärkt eben den eigenen "Schauspielmuskel" nicht. Man wird ein guter Kritiker. :huh:


    Ich musste gerade an Tom Sharpe (1928 - 2013, u.a. "Puppenmord", "Mohrenwäsche") denken, den ich eine Zeitlang sehr verehrt habe. Einer seiner weniger bekannten Romane mit dem Titel "Der Renner", der leider nur noch antiquarisch erhältlich ist, erzählte von einem Autor, der einmal pro Jahr (s)einem Lektor den gleichen Roman vorgelegt hat, jeweils im Stil eines anderen, großen Schriftstellers. Diese herrliche Satire auf den Literaturbetrieb zeigte recht anschaulich, wie wenig es nutzt, wenn man andere gut nachahmen kann. Denn darum geht es beim Schreiben (meistens) nicht.


    ASIN/ISBN: 3548208010

  • Ich denke, lernen kann man immer von allem und jeden. Oder von allen und jedem. Notfalls auch, wie man es besser nicht macht. Aber man kann nicht alles von jedem lernen.

  • … Aber als Zuschauer wird sich der Lerneffekt trotzdem in Grenzen halt

    Das ist zwar richtig, aber wenn man selbst schreibt und sich bemüht, dieses Schreiben zu verbessern, dann liest man auch anders und der Lerneffekt wird stärker als nur bei absichtslosen Lesern.

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  • …wie wenig es nutzt, wenn man andere gut nachahmen kann. Denn darum geht es beim Schreiben (meistens) nicht.

    Von anderen lernen und andere nachahmen sind zwei Stiefel.

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  • Ich sage ja auch nicht, dass man nichts lernt. Ich warne nur vor dem Gedanken, man könne so gut wie XY werden, indem man ihn oder sie liest. Lesen gehört zweifelsohne zur Schreibausbildung, ist aber bei weitem nicht ihr Kern.

  • … aber Karen Duves "Regenroman" ist in meinen Augen das amüsanteste Stück Prosa, das in den letzten Jahrzehnten hierzulande erstveröffentlicht wurde. …

    Habe ich mir gerade wieder aus dem Regal geholt, ist schon so lange her … Vielleicht lese ich es sogar vor. Derartiges praktiziere ich seit einem Jahr wieder regelmäßig fast täglich. Das ist nicht nur Beziehungsförderlich sondern auch sehr interessant, was den Blick auf den Lesestoff anbetrifft.


    Von Karen Duve erschien im gleichen Jahr wie der Regenroman (1999) bei Suhrkamp ein Buch mit Erzählungen: "Keine Ahnung". Ganz anders als der Regenroman, aber ebenso lesenswert.


    ASIN/ISBN: 3518395351


    Nachtrag: Bei Karen Duve ist sowieso kein Buch wie das vorherige.

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