Personenbeschreibungen

  • Hallo!


    Ich schreibe seit kurzem an einem Projekt mit jemanden zusammen.

    Mein Partner will auf keinen Fall Personenbeschreibungen. Jeder Leser möge seine eigene Fantasie benutzen ...


    Kann das funktionieren? Sind das nicht blasse Gestalten am Ende?

    Ich meine jetzt nicht die Persönlichkeit, Macken usw. es geht um Haarfarben, Statur usw.


    Was denkt ihr über diesen Wunsch? Mir gefällt das jetzt weniger.


    LG

    Birgit

  • Hallo, Birgit.


    Ich mag es gerne, meinen Lesern visuelle Hinweise zu liefern, damit sie sich die Figuren auch optisch vorstellen können. Es sind alle Eigenschaften, die einen Menschen ausmachen, äußere wie innere, sozialisierte wie genetische, und Merkmale, die im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext relevant sind oder sein können - eine dunkle Hautfarbe oder eine rote Haarfarbe spielen nur dann eine Rolle, wenn sie andere zu Reaktionen hierauf veranlasst (was in aller Regel auch in irgendeiner Form Bestandteil der Erzählung sein wird, so oder so). Undsoweiter. Bei meinen Hauptfiguren, die allerdings auch in aller Regel Ich-Erzähler sind, verzichte ich hierauf, nicht vollständig, aber weitgehend, weil Selbstwahrnehmung trügerisch ist. In der Hauptsache geht es genau um diese Aspekte: Selbst- und Fremdwahrnehmung. Jemand, der sich für zu dick hält, agiert anders als jemand, der von sich glaubt, körperlichen Idealen zu genügen. Figuren sind glaubhafter, wenn man dieses komplexe Verflechtungsnetzwerk aus Eigen- und Fremdwahrnehmung, aus Aktion und Interaktion auch darzustellen versucht. Meine ich.


    Aber es gibt auch diesen anderen Ansatz, durchaus. Ich müsste ein bisschen stöbern, um gute Romane zu finden, in denen es so ist, in denen auf die Beschreibung von Äußerlichkeiten ganz oder weitgehend verzichtet wird, aber es gibt sie sicher. Aber eigentlich kann ich mir einen "Owen Meany" ohne derlei nicht vorstellen. Beispielsweise.


    Oder einen Roman, der von mehreren Autoren verfasst wird, wobei der eine darauf verzichtet und der andere nicht. Möglicherweise ergibt aber gerade das eine interessante innere Spannung. :achsel

  • Zufällig habe ich gerade heute in dem Buch "Über das Schreiben" von Sol Stein gelesen, dass schon ein kleiner Hinweis zu einer Äußerlichkeit sehr viel über eine Person aussagen kann. Insbesondere im Zusammenspiel mit dem Kontext.

    Wenn z.B. ein sehr gut gekleideter Mann schwarze Ränder unter den Fingernägeln hat, dann ahnt man schon, dass er sich gerade in einer ihm unvertrauten Situation befindet.


    Ich bin skeptisch, ob der Verzicht auf solche Möglichkeiten eine gute Idee ist.

    „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

    Samuel Beckett (1906–1989)

  • Vielen Dank Tom für Deine Meinung.

    Vielleicht finden wir ja einen Mittelweg. Wie Du schon schriebst, jemand der ein gewisses Handicap hat, dick, klein usw. ist, das schlägt sich am Ende in der Geschichte nieder und vermittelt einen visuellen Eindruck.

    Eventuell reicht mir das, aber ich möchte auch nicht meine Zeit in einen Plot investieren, dem es später an Dreidimensionalität fehlt.

  • Der Leser soll sich ja mit den Figuren ein Stück weit auch identifizieren - und das funktioniert nicht, wenn man nicht den kleinsten Schimmer hat, wie die aussehen. Mag sein, dass Sören sich unsere gemeinsamen Kandidaten ein bisschen anders vorstellt als ich und der Leser auch, aber: wir wissen immerhin, wer groß ist, wer pummelig, wer graue Haare hat etc. Anders könnte ich gar nicht arbeiten und es gibt den Figuren auch mehr Plausibilität, wenn sie handeln.

  • Hallo, Birgit,


    ich denke, es kann funktionieren, ja. Als Leser brauche ich Personenbeschreibungen im Sinn von Haar- und Augenfarbe, Größe etc. so gut wie gar nicht. Wenn es einfließt, schön. Ich lese gerade einen Roman von Rolf Lappert, der personal zwischen verschiedenen Perspektiven wechselt. Da kann es geschehen, dass eine Person A eine andere Person B kennenlernt und findet, dass die weiße Gesichtshaut seines Gegenübers einen ulkigen Kontrast zu den sehr dunklen Haaren darstellt. So finde ich es okay. Oder wenn Angelika Klüssendorf ihre Hauptfigur April immer mal wieder Bezug nehmen lässt auf ihre Magerkeit, ihre Knochigkeit (Spitzname Rippe, oder Rippchen). Das ist ein Thema des Romans und vermittelt mir viel mehr darüber, wie April durchs Leben geht als die exakte Haarlänge o.ä. Ich habe gerade überlegt, ob ich es je weniger brauche, als je "besser" oder "anspruchsvoller" ich die Literatur bewerte, aber das stimmt nicht. Ich würde auch bei Chicklit niemals etwas brauchen wie: Sie kämmte ihre langen, blonden Haare. Grusel!


    Beim Schreiben? Ist alles denkbar. Warum nicht die Ich-Erzählerin einfach mal sagen lassen: Ich bin blond. Knallblond. - und dann kann man ja immer noch Sätze folgen lassen wie: Letzte Woche war ich schwarz. In der davor rothaarig. Da fragt man sich doch als Leser, und das Sichfragen ist doch das, was wir beim Schreiben anstreben. Wenn ich hingegen doch mal ausdrücklich will, dass der Leser ein Bild hat, dann kann ich entweder die Figur vergleichen, "Jamie Oliver für Arme" oder z.B. schreiben: Der Mann heißt Glump und sieht auch so aus. Alles ist möglich! Was ich hasse wie die Pest, ist der Spiegeltrick. Ich hasse ihn so sehr, dass ich meine Figuren manchmal vor den Spiegel stelle und dann extra und aus reiner Bosheit nicht beschreibe, was da zu sehen ist :evil.


    Unterm Strich würde ich es eher mit deinem Schreibpartner halten. Ich würde den Leser entscheiden lassen, ob er die Hauptrolle im Kopf mit Sibel Kekilli oder Nora Tschirner besetzt (ob Nora Tschirner oder Marianne Sägebrecht sollte aber schon irgendwie zwischen den Zeilen durchschimmern 8o).

  • Man kann es mit der Personenbeschreibung auch übertreiben. Wenn man da zu sehr ins Detail geht, können die Leser sich gerade deshalb nicht identifizieren ... es gibt da solche und solche Leser. Die einen brauchen viele Details, die anderen mögen das gar nicht gern. Ich eher nicht und ich beschreibe das auch nicht gern, was ich nicht für relevant halte.

    "Chef, ich hab ne Maurerblockade! Guck, ich kann die Kelle kaum heben." :help - "Ja, Jung, versteh ich. Kann man nix machen. Lass Dir Zeit ..." :streichel1

  • Ich gestehe, die Spiegelsache habe ich auch schon verwendet

    =) Ich gestehe, ich auch! Also, so halb. Es war eine alte, verkratzte Schöpfkelle, die Gesichter entsprechend verzerrt. Das war, als mir auf ca. Seite 100 auffiel, dass nicht mal klar war, ob mein Liebespaar eher helle oder dunkle Typen sind. Da musste schnell etwas passieren, und zu einem richtigen Spiegel konnte ich mich dann doch nicht überwinden!

  • Ich glaube, es hängt vom Genre und der Erwartung der Leser ab. Ein Fantasy-Roman lebt von Bildern. Wenn ein Fantasy-Wesen besonders lange Wimpern hat und das zu seinem Markenzeichen gehört, dann sollte man das auch erwähnen. Bei einem Krimi könnte ich mir auch vorstellen, dass eine Personenbeschreibungen bei einer Fahndung nur sinn macht, wenn alle Verdächtigen und deren Erscheinungsbild beschrieben wird.

  • Hallo Birgit,


    ganz ohne Personenbeschreibung wird es wohl nicht gehen. Als Leser würde ich es einem Autor übelnehmen, ohne jeden Hinweis auf die äußere Erscheinung einer Romanfigur gelassen zu werden oder wenn solche Hinweise zu spät in der Geschichte kommen. Ich mache mir beim Lesen sehr schnell ein Bild von jeder Romanfigur, auch ohne entsprechende Hinweise. Wenn sich aber dann auf Seite 112 eines Romans herausstellt, dass der Protagonist völlig anders aussieht, als ich ihn mir vorgestellt habe, dann verliere ich die Figur ein Stück weit, was im Extremfall bedeuten kann, dass die Identifikation mit ihr irreparablen Schaden nimmt. Und wenn eine Romanfigur, was weiß ich, sagen wir Georgios heißt und später stellt sich dann heraus, er entspricht weitgehend dem hellblonden Phänotyp eines Norwegers, und noch später erfahre ich dann, dass seine Mutter ihrem Sohn nur wegen eines fünfzig Jahre zurückliegenden heißen Urlaubsflirts auf Mykonos diesen Namen gegeben hat, dann fühle ich mich schlichtweg verarscht.


    Das Gegenteil ist sicherlich auch nicht zielführend, zum Beispiel die erste Romanseite mit einer detaillierten Beschreibung ähnlich der einer polizeilichen Täterbeschreibung zuzukleistern.

    Aber was spricht dagegen, auf den ersten zehn bis zwanzig Seiten ein paar Hinweise zum äußeren Erscheinungsbild hinzutupfen?

    Eine in meinem Empfinden elegante Herangehensweise, Leserin und Leser ein paar Hinweise auf das äußere Erscheinungsbild einer Romanfigur zu liefern, besteht darin, solche Hinweise in Dialoge einzuflechten. Etwa so: „Grau ist das neue Blond. Also gewöhn dich dran.“ Damit gibst du neben dem Hinweis auf die Haarfarbe im selben Satz außerdem noch einen solchen auf das ungefähre Alter der Figur und einen weiteren Hinweis darauf, dass zwischen Absender(in) und Adressat(in) des Satzes vermutlich eine bereits länger andauernde Partner- oder Freundschaftsbeziehung besteht.


    Soweit meine two cents.

  • Aber was spricht dagegen, auf den ersten zehn bis zwanzig Seiten ein paar Hinweise zum äußeren Erscheinungsbild hinzutupfen?

    Genau. Exakt so, wie es der Schreibratgeber "In zwei Tagen zum Fitzek-Successalike" vorschreibt. ;) Dabei nicht vergessen, den Goldenen Schnitt aus der Häufung von Adjektiven, der Seitenzahl und der Schriftgröße zu beachten!


    Dagegen spricht, dass es nicht unmotiviert geschehen sollte. Ich behaupte, es gilt: Was Sinn hat, hat auch Wirkung. Was keinen Sinn hat, kann die Wirkung des sinnhaltigen Anteils verringern. "Hineintupfen" ist leider genau das, was viele tun. Wenn sich eine Figur reflektiert - möglicherweise sogar im wörtlichen Sinn, etwa beim Blick in den Spiegel - hat es Sinn. Wenn sie gerade ihr Auto einparkt - eher nicht.


    Es müssen ja auch keine direkten Beschreibungen sein. Wenn eine Figur die andere attraktiv findet, genügt das möglicherweise schon, um das Kopfkino zum Leuchten zu bringen, obwohl jeder Mensch andere Merkmale attraktiv findet.

  • Dagegen spricht, dass es nicht unmotiviert geschehen sollte.

    Das ist ja völlig richtig, aber das macht es unheimlich schwer, weil ich mir fast nie Gedanken darüber mache, wie groß Leute sind, oder welche Augenfarbe sie haben. Und weil ich mir aufrichtige Mühe gebe, möglichst authentisch zu schreiben, bin ich inzwischen bei irgendwas mit 30.000 Worten (!), ohne dass ich weiß, wie groß ich so in etwa bin. Also in der Geschichte jetzt. Für mich ist das kein Problem, aber ich schreibe ja für Leser und ich befürchte, die wollen sowas wissen.


    "In zwei Tagen zum Fitzek-Successalike"

    Kannst du da vielleicht noch einen Amazon-Link einfügen? Ich kann es nicht finden, aber es klingt wirklich interessant.:evil

    “Life presents us with enough fucked up opportunities to be evaluated, graded, and all the rest. Don’t do that in your hobby. Don’t attach your self worth to that shit. Michael Seguin

  • Unmotiviert sollte in einem Text überhaupt nichts sein. Mit „hintupfen“ meinte ich, dem Leser beiläufig eine Info geben, die eben nicht wie ein knallgelber PostIt-Zettel an der Kühlschranktür an eine beliebige Textstelle angehängt wird.

    Aber warum sollte sich ein Autor grundsätzlich eine Beschränkung auferlegen, Leserin und Leser die Details zu vermitteln, die im selber wichtig sind? Wenn er sich den Protagonisten mit braunen Haaren vorstellt, warum soll er dieses Detail dann nicht an einer Textstelle unterbringen, wo die Info zumindest nicht weiter stört? Es ist seine Geschichte. Und wenn der Leser sich den Protagonisten trotzdem partout mit hellblonden oder pechschwarzen Haaren vorstellen will, dann mag er das trotz der Info „braun“ halt tun.


    Ich verstehe auch nicht, warum regelmäßig Diskussionen hinsichtlich der Frage aufflammen, wie viel Personenbeschreibung sein soll oder sein darf. Dem einen ist es halt wichtig, die Farbe der Haare oder der Augen einer Figur als vom Autor vorgegeben zu „kennen“ und der andere zieht es eben vor, das Casting selbst in die Hand zu nehmen. So what? Und die Größe der beiden Leserfraktionen halbwegs realistisch einschätzen zu wollen, halte ich für vergeudete Zeit.

    Nebenbei bemerkt, Autos haben in Texten fast immer eine Farbe, ohne dass es je irgendwen kümmern würde.


    Letztendlich ist es Sache des Autors zu entscheiden, welche Details er Leserin und Leser mit auf den Weg gibt. Sonst landen wir irgendwann tatsächlich noch bei interaktiven Geschichten. Happy Endings on demand. Puh ... Davor würde es mir grausen.

  • Ich sehe, die Meinungen sind so vielfältig wie es Haarfarben gibt ;-)


    Ich werde es einfach versuchen. Das ist doch auch ein interessantes Experiment, wenn ich so darüber nachdenke. Ich werde natürlich gewisse Dinge einfließen lassen. Toms Idee mit Handicaps oder ähnlichem zu arbeiten gefiel mir da besonders.

    Ich bin gespannt, wie es klappt.


    Aber ich musste schon schmunzeln, da möchte mein Partner bloß keine Personenbeschreibung und was lese ich in seinem Text?: Lange schwarze Haare und ein blasser Teint ...^^

  • Aber ich musste schon schmunzeln, da möchte mein Partner bloß keine Personenbeschreibung und was lese ich in seinem Text?: Lange schwarze Haare und ein blasser Teint ...^^

    :D


    Ich denke auf die Dosis kommt es an. Ich nutze schon Personenbeschreibungen, aber meist eher dezent. Ich beschreibe nicht jedes Detail und schon gar nicht mehrere Zeilen mit Beschreibungen, aber z. B. wird mal die Haar- oder Augenfarbe erwähnt oder der Kleidungsstil (der kann auch relevant sein für die Charakterisierung der Person).

    Als Leser finde ich es auch ganz gut, wenn da ein wenig angedeutet wird.