Das Kaugummi-Problem

  • Mein Roman-Manuskript (Arbeitstitel: "Das Inferno 2.0") ist jetzt im Prinzip kurz vor dem Abschluss. Mit der zweiten Überarbeitung werde ich im Laufe dieser Woche fertig sein und dann ist erst einmal Ende der Fahnenstange, weil ich nicht mehr weiß, was ich noch verbessern könnte (klar, ein bisschen geht immer, aber ihr wisst schon, was ich meine).


    Das Problem: Ich bin damit nicht wirklich zufrieden. Der Anfang ist, glaube ich, recht gut gelungen (ich werde ihn demnächst mal in eine BT-Runde stellen). Die Schwierigkeiten fangen nach dem Plotpoint 1 an. Das ist, nach einen knappen Viertel des Manuskripts, die Stelle, an dem der Ich-Erzähler die Situation akzeptiert und nicht mehr daran zweifelt, dass er sich wirklich im Jenseits - genauer: in der der Hölle - befindet. Bis dahin ist mit der Spannung alles o.k.


    Aber ab da lässt sie dann doch spürbar nach. Ich kann sie noch eine ganze Zeit auf mittlerem Niveau halten, weil immer wieder interessante Sachen passieren, außerdem halte ich einen Streit zwischen ihm und seinem Begleiter Dante am köcheln (und ich glaube, ich sollte diesen Konflikt noch ein wenig ausbauen). Außerdem habe ich einige (insgesamt fünf) Intermezzi eingeführt, in denen ich den Gegenspieler aufbaue.


    Sehr unzufrieden bin ich mit dem letzten Drittel. Nach einer längeren Unterbrechung (wegen eines anderen Schreibprojekts) habe ich das recht schematisch runtergeschrieben: Im Original (also bei Dantes Inferno) geschaut, was dort passiert, mir überlegt, was heute passiert und das dann aufgeschrieben. Diese Passage ist auch durch die beiden Überarbeitungen nicht viel besser geworden.


    Insgesamt kommt mir der Verlauf der Spannung im Manuskript vor wie die Geschmacksintensität beim Kaugummi kauen. Zuerst hat man das volle Aroma, aber dann wird es immer fader.

    „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

    Samuel Beckett (1906–1989)

  • Ohne Dantes Inferno zu kennen - bei einem gradlinigen Ende, das es an Spannung missen lässt, würde ich noch ein paar Hindernisse einbauen. Damit der "Held" nicht mit hoch gerissenen Armen gleich als Sieger ins Ziel läuft. Er muss ein paar Mal stolpern, bis zu dem Punkt, dass man als Leser glaubt, das Ziel ist doch nicht zu erreichen. Das ist es jedenfalls, was mich als Leser bis zur letzten Seite fesselt. Passt das so bei deinem Projekt?

  • Gib dein ausgelutschtes Kaugumme Manuskript jemanden, dem Du noch nichts davon erzählt hast und schau, was an Reaktionen kommen. Dann hast Du Ansatzpunkte, wo Du noch mal ranmusst. Du selbst bist fern von jeder Objektivität.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


    2 Mal editiert, zuletzt von Horst-Dieter ()

  • Bis dahin ist mit der Spannung alles o.k.

    Bis dahin genau also reicht der Spannungsbogen. Der Hauptkonflikt ist mehr oder weniger aufgelöst, die Pflicht ist getan, aber die Kür begeistert nicht. Das hört sich nach einem grundsätzlichen Problem des Plots an.


    Ansonsten stimmt (wie so oft), was HD geschrieben hat.

  • 1. Spannung wird total überschätzt. Meine Lieblingsromane sind in puncto Spannung gleichsam im Minusbereich.

    2. Es gibt so viele Sorten von Spannung. Irgendwas ist immer dabei.

    3. Die alten Columbo-Filme: Man weiß sofort, wer der Täter ist, man kennt das Underdog-vs-Upperclass-Schema, man weiß, dass Columbo den Fall lösen wird. Und? Trotzdem gern geguckt.

  • @tortich: Stimmt alles. Aber wenn Langeweile aufkommt, und das scheint mir Peter anzudeuten, hilft auch Peter Falk nicht weiter.

  • Spannung wird total überschätzt.

    Glaub ich nicht. Es sei denn, man setzt Spannung mit Action gleich. Aber ohne einen Spannungsbogen funktionieren die meisten Stories m.M.n. nicht. Man muss sich einfach fragen, was es ist, das einen bei den Lieblingsbüchern bei der Stange hält. Das heißt nicht, dass man pausenlos Nägel kaut. Aber irgendeine Frage muss offen sein.

  • Die Schwierigkeiten fangen nach dem Plotpoint 1 an. Das ist, nach einen knappen Viertel des Manuskripts, die Stelle, an dem der Ich-Erzähler die Situation akzeptiert und nicht mehr daran zweifelt, dass er sich wirklich im Jenseits - genauer: in der der Hölle - befindet.

    Vielleicht solltest du in der BT-Gruppe dann lieber diesen Part vorstellen und vorab eine kurze Zusammenfassung, damit man in die Handlung einsteigen kann.

  • Ich habe ein ähnliches Problem, allerdings liegt bei mir dieser Punkt eher in der Mitte der Geschichte. Das Problem ist bei mir, dass ich da die Story eigentlich nicht spannender machen kann, weil ich Grunde nicht viel passiert, weil sich hier meine Liebesgeschichte mit ein bisschen Drama aufbaut. Den Teil muss ich unbedingt noch mal anderen Leuten vorlegen, weil ich einfach nicht einschätzen kann, ob er mir nur so langweilig vor kommt, weil ich ihn halt schon zig tausend mal überarbeitet habe und ihn deshalb auswendig kann, oder ob er wirklich so langweilig ist.:heul:bonk

  • hilft auch Peter Falk nicht weiter.

    Nee, aber vielleicht ein neuer Trenchcoat. Dann stellt man sich die Frage als Leser/Zuschauer, wo kommt der her und warum.


    Hieße für Peter S. noch einen Twist einbauen. Ich weiß ja nicht, wie er das ganze aufgebaut hat, aber hat Dantes Hölle nicht neun Kreise (plus Vorhölle)? Die teilen sich vermutlich nach Themen, Strafen, Läuterung auf und bieten sicherlich enormes Potenzial auch für zusätzliche Fegefeuereitelkeitenhaudraufundhauwech.

  • Ohne Dantes Inferno zu kennen - bei einem gradlinigen Ende, das es an Spannung missen lässt, würde ich noch ein paar Hindernisse einbauen. Damit der "Held" nicht mit hoch gerissenen Armen gleich als Sieger ins Ziel läuft. Er muss ein paar Mal stolpern, bis zu dem Punkt, dass man als Leser glaubt, das Ziel ist doch nicht zu erreichen. Das ist es jedenfalls, was mich als Leser bis zur letzten Seite fesselt. Passt das so bei deinem Projekt?

    Doch, das passt schon. Und ist auch eins der Mittel, die ich anwenden werde.

    Anders als bei Dante gibt es bereits einen Actionreichen Showdown.


    Gib dein ausgelutschtes Kaugumme Manuskript jemanden, dem Du noch nichts davon erzählt hast und schau, was an Reaktionen kommen. Dann hast Du Ansatzpunkte, wo Du noch mal ranmusst. Du selbst bist fern von jeder Objektivität.

    Guter Punkt, vor allem der letzte Satz.


    Bis dahin genau also reicht der Spannungsbogen. Der Hauptkonflikt ist mehr oder weniger aufgelöst, die Pflicht ist getan, aber die Kür begeistert nicht. Das hört sich nach einem grundsätzlichen Problem des Plots an.


    Ansonsten stimmt (wie so oft), was HD geschrieben hat.

    Ach, es ist nicht so, dass sich der Spannungsbogen völlig aufgelöst hätte. Aber dieses Hin und Her, bei dem der Ich-Erzähler einfach nicht glauben will, was ihm gerade widerfährt, das hat(te) so viel Potenzial ... Mir fehlt ein bisschen die Idee, was an dessen Stelle treten könnte.


    (...) ohne einen Spannungsbogen funktionieren die meisten Stories m.M.n. nicht. Man muss sich einfach fragen, was es ist, das einen bei den Lieblingsbüchern bei der Stange hält. Das heißt nicht, dass man pausenlos Nägel kaut. Aber irgendeine Frage muss offen sein.

    Ja, das ist ein guter Punkt. Ein Problem besteht darin, in welcher Dosierung und an welchen Stellen man die Beantwortung der offenen Fragen einstreut.

    „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

    Samuel Beckett (1906–1989)

  • Hieße für Peter S. noch einen Twist einbauen. Ich weiß ja nicht, wie er das ganze aufgebaut hat, aber hat Dantes Hölle nicht neun Kreise (plus Vorhölle)? Die teilen sich vermutlich nach Themen, Strafen, Läuterung auf und bieten sicherlich enormes Potenzial auch für zusätzliche Fegefeuereitelkeitenhaudraufundhauwech.

    Ja, da ist noch was drin. Vielleicht brauche ich auch mal ein wenig Abstand. Und objektive Leser.

    „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

    Samuel Beckett (1906–1989)

  • Vielleicht solltest du in der BT-Gruppe dann lieber diesen Part vorstellen und vorab eine kurze Zusammenfassung, damit man in die Handlung einsteigen kann.

    Ich bin in der nächsten BT-Runde dran. Aber erst mal mit einer Kurzgeschichte. Hatte damals nicht geahnt, dass ich mit dem Manuskript so schnell vorankommen würde. Aber beim nächsten Mal gibt es dann etwas aus dem Dante-Manuskript. Ganz bestimmt.

    „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

    Samuel Beckett (1906–1989)

  • Den Teil muss ich unbedingt noch mal anderen Leuten vorlegen, weil ich einfach nicht einschätzen kann, ob er mir nur so langweilig vor kommt, weil ich ihn halt schon zig tausend mal überarbeitet habe und ihn deshalb auswendig kann, oder ob er wirklich so langweilig ist.:heul:bonk

    Sieht wirklich so aus, als wäre auch bei dir die Stunde der Testleser gekommen.

    „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

    Samuel Beckett (1906–1989)

  • Ach, es ist nicht so, dass sich der Spannungsbogen völlig aufgelöst hätte. Aber dieses Hin und Her, bei dem der Ich-Erzähler einfach nicht glauben will, was ihm gerade widerfährt, das hat(te) so viel Potenzial ... Mir fehlt ein bisschen die Idee, was an dessen Stelle treten könnte.

    Wichtig ist auch, zu unterscheiden, ob es für den Ich-Erzähler oder den Leser spannend bleibt. Selbst wenn der Ich-Erzähler endlich glaubt, was ihm da passiert, könnten die Umstände für den Leser ja immer noch Fragen aufwerfen: Kommt er da wieder raus, wenn ja, wie; ist der Ausweg, den der Ich-Erzähler vielleicht sieht, wirklich einer; wo ist eigentlich Vergil abgeblieben usw. Vielleicht könnte statt Beatrice auch die (platonische) Geliebte des Ich-Erzählers einen Nebenstrang bekommen?

  • Wo ist eigentlich Vergil abgeblieben usw. Vielleicht könnte statt Beatrice auch die (platonische) Geliebte des Ich-Erzählers einen Nebenstrang bekommen?

    Oh, auf diese Fragen gibt es Antworten. In der Backstory (also der "eigentlichen" Handlung, die aber ähnlich wie beim Krimi erst ganz am Schluss bekannt wird) spielen die beiden sogar tragende Rollen. Aber das wird sich erst im zweiten Teil (also dem "Fegefeuer") entfalten. - Das Inferno muss erst einmal aus eigener Kraft spannend sein.

    [Und ja: Ich habe einen großen Plan in der ganzen Story.]

    „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

    Samuel Beckett (1906–1989)

    Einmal editiert, zuletzt von Peter S. ()

  • Wichtig ist auch, zu unterscheiden, ob es für den Ich-Erzähler oder den Leser spannend bleibt. Selbst wenn der Ich-Erzähler endlich glaubt, was ihm da passiert, könnten die Umstände für den Leser ja immer noch Fragen aufwerfen: Kommt er da wieder raus, wenn ja, wie; ist der Ausweg, den der Ich-Erzähler vielleicht sieht, wirklich einer (...)?

    Das könnte ein guter Ansatz sein. Vielleicht wäre es ein guter Weg, mehr Abstand vom Ich-Erzähler zu gewinnen und sich stärker in den Leser hinein zu versetzen. Könnte da eventuell die Lösung liegen ... ?!?

    „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

    Samuel Beckett (1906–1989)

  • Oh, auf diese Fragen gibt es Antworten. In der Backstory (also der "eigentlichen" Handlung, die aber ähnlich wie beim Krimi erst ganz am Schluss bekannt wird) spielen die beiden sogar tragende Rollen. Aber das wird sich erst im zweiten Teil (also dem "Fegefeuer") entfalten. - Das Inferno muss erst einmal aus eigener Kraft spannend sein.

    [Und ja: Ich habe einen großen Plan in der ganzen Story.]

    Jetzt klingt's richtig interessant, finde ich :-) . Könntest du nicht alle drei Teile als ein Buch schreiben, aber die Unterteilung in Buch eins, zwei und drei beibehalten? Dann werden es 400 bis 500 Seiten. Wäre doch vielleicht auch spannend ...

  • Ja, aber auch langwierig. Das Dumme ist, dass ich im kommenden Jahr nur wenig Zeit haben werde.

    "Das Inferno" soll vor allem ein Versuchsballon sein, ob ich auf dem fiktiven Feld überhaupt gut genug bin.

    Ich denke, ich stelle bald mal was daraus in die BT-Runden und sehe dann weiter.

    „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

    Samuel Beckett (1906–1989)