Die Sache mit dem Überarbeiten

  • Ich bin wirklich überrascht. Erwartet hatte ich in der Mehrzahl Aussagen, die in die entgegengesetzte Richtung weisen, also erst mal auf Biegen und Brechen die komplette Geschichte raushauen, auch auf die Gefahr hin, dass das Ergebnis bei Feingeistern Würgreflexe auslöst. So hatte ich es bisher auch und gerade von gestandenen Profis gehört und gelesen.

    Ich habe diese Vorgehensweise auch in zahlreichen Interviews gelesen und mir ist das immer komisch vorgekommen. Ich müsste mich mit einiger Anstrengung dazu zwingen, wollte ich nicht die letzten Seiten lesen, die ich geschrieben habe, und während des Lesens auch korrigieren, ändern, streichen usw.


    Kann es sein, dass das etwas damit zu tun hat, ob man auf Papier oder direkt am Rechner arbeitet? Ich habe letztens Neil Gaiman sagen hören, er würde alles mit dem Füllfederhalter (!) in total stimmungsvolle Notizbücher schreiben. Dann macht es natürlich auch Sinn, einen eigenen Arbeitsschritt nur dem Überarbeiten zu widmen.


    Ich schreibe alles direkt in den Rechner und lese auch am Bildschirm. Wenn mir da eine Wiederholung auffällt (ständig), dann korrigiere ich das direkt. Und zwar bei jedem Durchlesen und ich lese gerne und häufig durch, was ich geschrieben habe.


    (Ich kann ja nicht einmal hier die Finger vom "Bearbeiten" Knopf lassen...)

    “Life presents us with enough fucked up opportunities to be evaluated, graded, and all the rest. Don’t do that in your hobby. Don’t attach your self worth to that shit. Michael Seguin

    4 Mal editiert, zuletzt von Marvin ()

  • Also ich bin ja auch kein Profi, aber...


    Bei meinem aktuellen Projekt habe ich die ersten Kapitel sehr sauber gearbeitet und merhfach bis ins Detail überarbeitet - auch, weil ich die als Leseprobe bei Agenturen einreichen wollte. Und dann habe ich mich kapitelweise - sehr langsam - weiter vorgearbeitet. Bis letztes Jahr November mich jemand fragte, ob ich am NaNo teilnehme. Ich habe dann den NaNo 2019 genutzt, die Geschichte tatsächlich einmal bis zum Ende durchzuerzählen und habe mich in diesem Jahr daran Kapitel für Kapitel entlanggehangelt - überarbeitend und neuschreibend.

    Da gab es ganz unterschiedliche Passagen - manche waren wirklich nur zum Wegwerfen, aber einige waren durchaus gelungen und ich konnte viel damit anfangen. Ich empfinde das als gar nicht so schlecht, weil ich damit schon bei den frühen Kapiteln immer so etwas wie Ankerpunkte hatte, auf die ich hinarbeiten konnte, weil ich spätere Ereignisse schon ganz gut kannte.


    Wenn ich am Verzweifeln war, weil das alles schlecht war, pflegte meine damalige Mitbewohnerin - eine australische Autorin - zu sagen: The purpose of first draft is existence.


    Das fand ich durchaus hilfreich und immerhin bin ich jetzt - ein Jahr später - wirklich fertig mit der Geschichte (meint: Ergebnis vor Testlesern =O)


    Ich weiß aber nicht, ob ich dieses Vorgehen auch außerhalb des NaNo praktizieren werde/würde.

  • Aber nur, wenn man blindlings und ohne selbst zu denken seinem Führer hinterherrennt.

    Was tut ein Schwarm anderes? Um das tiefer zu behandeln müsste man einen eigenen Fred aufmachen. Wer sich ernsthaft mit dieser Thematik beschäftigt, vermeidet das Wort Schwarmintelligenz und nutzt lieber Kollektive Intelligenz. Bei näherer Untersuchung wird man dann feststellen, dass es sich dabei weniger um Intelligenz, als um erweiterte Funktionalität handelt, zumindest dann, wenn man den Begriff Intelligenz ernst nimmt.

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    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • ich gehe immer einige Seiten zurück und korrigiere, schiebe Text ein, wenn er an dieser oder jener Stelle noch fehlt. Gehe weiter, korrigiere und dann kann ich auch wietermachen, um am nächsten Tag das Geschriebene kritisch zu prüfen.

    So ist es bei mir meistens auch – es sei denn, ich hatte über Nacht eine Idee, die ich schnell loswerden und zu Papier bringen möchte. Dann halte ich mich nicht erst damit auf, die zuletzt geschriebenen Seiten nochmals zu lesen und zu überarbeiten. Aber wenn ich diese Idee dann geschrieben habe, prüfe ich die letzten Seiten nochmals.

  • Bei meinem neuen Projekt mache ich es ganz anders als bei meinem ersten. Bei dem habe ich ständig an allen Stellen herumgepückert und - gezupft. Ich wollte alles gleichzeitig machen: Sinnzusammenhänge herstellen, Kapitelübergänge schaffen, Figurenstimmen generieren und Sprache und Stil optimieren - alles sofort! Dadurch war jede einzelne Textstelle wie ein Schorf, der im Zweitagestakt abgerissen wurde und viel zu langsam heilte.


    Für dieses Mal habe ich mir mehr Disziplin verordnet. Ich möchte jeden Tag eine Seite schreiben. Eine möglichst gute, bitte! ich habe den Plot im Kopf, weiß, wo ich hinwill und welche Szenen ich in etwa dafür brauche, bin aber auch jeden Tag gefasst auf Überraschungen. Zeitlich schreibe ich wild und lustig durcheinander, mal eine Anfangsszene, mal was vom Schluss, erst Papier, dann Tastatur. Eine Seite klingt nach nicht viel, ist aber in jedem Fall machbar. Außerdem wird es erstens, wenn ich einmal sitze, an neun von zehn Tagen sowieso mehr, und zweitens hätte ich selbst bei dem lahmen Tempo in 250-300 Tagen - hm, wie viele Seiten? Ganz schön viele jedenfalls. Ein paar weitere Wochen und Monate werden dann beim Sortieren, beim logischen Verknüpfen und beim Glätten der Übergänge ins Land gehen. Und, ganz wichtig: beim Rausschmeißen von Überflüssigem.


    Sprachlich überarbeiten tue ich nur das, was ich am Vortag geschrieben habe. Die sprachliche Gesamtüberarbeitung kommt ganz am Schluss, wenn sich alles gesetzt hat. Dass ich da zu ungeduldig war, war beim ersten Mal ein großer Fehler und hat mich eine irre Zeit gekostet, aber jetzt fühle ich mich auch insgesamt sicherer.

  • Dadurch war jede einzelne Textstelle wie ein Schorf, der im Zweitagestakt abgerissen wurde und viel zu langsam heilte.

    Ganz so drastisch würde ich es nicht formulieren.


    Da mein Schreibprogramm tägliche Backups anlegt, kann ich die Entwicklung eines Textes jederzeit bequem nachverfolgen. Und ich finde schon, dass sich die Qualität meiner Texte durch das ständige Feilen und Polieren stetig verbessert hat. Jedenfalls bin ich noch in keinem einzigen Fall zu einer vorherigen Version zurückgekehrt.

    Aber ansonsten gebe ich dir völlig recht. Es ist ein wahnsinnig ineffizientes Arbeiten.

  • Ich bin ja alles andere als ein Literaturprofi. Als Seiteneinsteiger, der aus der Journalistik und der Sachliteratur kommt, werkle ich gerade an meinem ersten Roman.

    In der Tat habe ich die erste Version erst einmal runtergeschrieben, ohne lange zurück zu blicken. Nur um nach Namen zu schauen oder um Logikprobleme zu vermeiden, habe ich mir bereits Geschriebenes noch einmal angeschaut. Ich wollte vor allem vorankommen.


    Jetzt bin ich gerade kurz davor, die erste Überarbeitung zu beenden. Dabei geht es mir vor allem um den Sprachlichen Feinschliff, das Streichen von Wiederholungen, um Spannung und um die Logik der Handlung.


    Beim dritten Durchgang soll es dann um die innere Handlung gehen. Vor allem um das "Hineinkriechen" in die Figuren, denn zu oft erscheinen mir ihre Handlungen noch nicht plausibel genug. Ich weiß, eigentlich gehört das eher an den Anfang, denn es kann gut sein, dass die Handlung hiervon ausgehend in eine andere Richtung gehen müsste. Allerdings ist das gerade das, was mir am schwersten fällt.


    Das hängt natürlich auch mit meinem speziellen Projekt zusammen: Die Nacherzählung einer alten Literaturvorlage, nämlich Dantes "Inferno". Da ist der grobe Verlauf der Handlung schon vorgezeichnet. Allerdings konnte ich es mir nicht verkneifen, dass der heutige Ich-Erzähler einige kräftige eigene Akzente setzt und in der Hölle so einiges durcheinander gerät ...

    „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

    Samuel Beckett (1906–1989)

  • Zuletzt habe ich den Tipp beherzigt (ich glaube von Eschbach), zur Überarbeitung den Text auszudrucken. Lief auch so weit ganz gut. Aber jetzt muss ich den ganzen Schmodder wieder reintippen. Nun bin ich mit dem Verfahren doch nicht besonders glücklich.

    Baut ihr bei der Überarbeitung auch immer eine "Papier-Stufe" mit ein?

  • Unbedingt.

    Als ich vor inzwischen einigen Jahren bei Lea Korte einen Romankurs belegt hatte, haben wir immer als Hausausgabe zur jeweiligen Lektion eine Szene schreiben müssen - natürlich eine sieben Mal korrigierte, so wie wir es bei Lea gelernt hatten. (Nein, das ist kein Zeichen von: Ich lasse mir alles einreden, aber tatsächlich stimmt das mit den sieben Schleifen etwa, die eine Szene bei mir braucht.) Als ich meine Hausaufgabe einmal von unterwegs ablieferte, wo ich keinen Drucker zur Verfügung hatte und also die letzten beiden Schleifen ohne Papierausdruck machen musste, bekam ich meine korrigierte Szene von Lea mit der Bemerkung zurück: "Ich habe das Gefühl, dass Du diesmal nicht so gründlich überarbeitet hast wie sonst."

    Das hat mich jedenfalls noch einmal darin bestärkt, dass ich immer auf dem Papier korrigieren muss. Ich habe das aber sowieso auch vorher immer schon gemacht.

  • Baut ihr bei der Überarbeitung auch immer eine "Papier-Stufe" mit ein?

    Bei Kurzgeschichten: Ja. Oft sogar mehrere (gerade eben habe ich eine 14 Seiten lange Kurzgeschichte zum achten Mal seit Schreibbeginn, der vor zehn Tagen war, ausgedruckt). Bei Romanen: Jein. Gelegentlich. Teilweise. Eher selten und nur fragmentarisch. Meistens lese ich eine PDF-Version oder etwas anderes, schön Formatiertes auf dem zweiten Bildschirm oder auf dem iPad, während ich die Korrekturen dann gleich in den Originaltext einbaue. Oder später, wenn ich das Gefühl habe, die Korrektur erledigt sich noch im folgenden Text von selbst. Ich neige zuweilen zu Verschlimmbesserungen. 8)

  • Zuletzt habe ich den Tipp beherzigt (ich glaube von Eschbach), zur Überarbeitung den Text auszudrucken. Lief auch so weit ganz gut. Aber jetzt muss ich den ganzen Schmodder wieder reintippen. Nun bin ich mit dem Verfahren doch nicht besonders glücklich.

    Baut ihr bei der Überarbeitung auch immer eine "Papier-Stufe" mit ein?

    Jepp. Hat den Vorteil, ich kann den Ausdruck überall mir hinnehmen. Ins Bett, aufs Klo, in die Badewanne …

  • Und ich hasse das Überarbeiten. Meistens. Außer ich bin gerade wieder genial. Was, zugegeben, häufig vorkommt. 8)

  • Bei Kurzgeschichten: Ja. Oft sogar mehrere (gerade eben habe ich eine 14 Seiten lange Kurzgeschichte zum achten Mal seit Schreibbeginn, der vor zehn Tagen war, ausgedruckt). Bei Romanen: Jein. Gelegentlich. Teilweise. Eher selten und nur fragmentarisch. Meistens lese ich eine PDF-Version oder etwas anderes, schön Formatiertes auf dem zweiten Bildschirm oder auf dem iPad, während ich die Korrekturen dann gleich in den Originaltext einbaue. Oder später, wenn ich das Gefühl habe, die Korrektur erledigt sich noch im folgenden Text von selbst. Ich neige zuweilen zu Verschlimmbesserungen. 8)

    Ja, meine Lieblingsalternative zu Papiervariante wäre auch Laptop plus Ipad. Dazu Srivener.

  • Unbedingt.

    Als ich vor inzwischen einigen Jahren bei Lea Korte einen Romankurs belegt hatte, haben wir immer als Hausausgabe zur jeweiligen Lektion eine Szene schreiben müssen - natürlich eine sieben Mal korrigierte, so wie wir es bei Lea gelernt hatten. (Nein, das ist kein Zeichen von: Ich lasse mir alles einreden, aber tatsächlich stimmt das mit den sieben Schleifen etwa, die eine Szene bei mir braucht.) Als ich meine Hausaufgabe einmal von unterwegs ablieferte, wo ich keinen Drucker zur Verfügung hatte und also die letzten beiden Schleifen ohne Papierausdruck machen musste, bekam ich meine korrigierte Szene von Lea mit der Bemerkung zurück: "Ich habe das Gefühl, dass Du diesmal nicht so gründlich überarbeitet hast wie sonst."

    Das hat mich jedenfalls noch einmal darin bestärkt, dass ich immer auf dem Papier korrigieren muss. Ich habe das aber sowieso auch vorher immer schon gemacht.

    Das mit der Genauigkeit oder Intensität ist ein Punkt. Manchmal fühlt es sich tatsächlich mit dem Füller in der Hand besser an, "näher dran".