Die Sache mit dem Überarbeiten

  • Moin,


    Dann will ich doch auch mal ein Thema eröffnen. Ich habe bereits das Orakel der Suchfunktion kontaktiert, aber keinen Thread hierzu entdeckt.


    Wie haltet ihr es mit dem Überarbeiten? Die Notwendigkeit steht außer Frage, meine Frage ist vielmehr wie ihr das in euren Schreiballtag einfließen lasst. Spannend finde ich es vor allem in Hinsicht auf längere Texte, um nicht zu sagen Romanmanuskripte. Schreibt ihr erst ein vollständiges Manuskript und fangt dann an mit dem Überarbeiten? Überarbeitet ihr jedes Kapitel, sobald es abgeschlossen ist, um am Ende weniger Arbeit zu haben? Versucht ihr von Anfang an so präzise wie möglich zu sein, um am Ende nur noch Kleinigkeiten überarbeiten zu müssen? Oder rotzt ihr erst mal raus, was euch einfällt und müsst dann noch mal mit dem Stimmeisen ran, bevor ihr das Schleifpapier zur Hand nehmt?


    In einem Interview hat ein Autor geäußert, er würde jeden Schreibtag mit der Überarbeitung von allem vorangegangenem beginnen. Ich frage mich in welchem Tempo der Mensch arbeitet, wenn er erst noch 200 Seiten korrigiert, bevor er mit Seite 201 beginnt.?!?

  • In einem Interview hat ein Autor geäußert, er würde jeden Schreibtag mit der Überarbeitung von allem vorangegangenem beginnen. Ich frage mich in welchem Tempo der Mensch arbeitet, wenn er erst noch 200 Seiten korrigiert, bevor er mit Seite 201 beginnt

    Hmmm … das könnte Andreas Eschbach gewesen sein …

    aber so ähnlich mach ich es auch. Natürlich nicht jedesmal das Manuskript von vorn durcharbeiten. Das ginge tatsächlich auf die Substanz. Aber die am Vortag geschriebenen Seiten. Oder die zuletzt geschriebenen 20, 30 Seiten. Das hat den Vorteil, dass man wieder in die Geschichte reinkommt, den Schreibfluss aufnehmen kann, man die Stimmung aufnimmt und dabei gleichzeitig mitkriegt, wo es tags zuvor stilistisch, grammatikalisch, rechtschreiberisch gehakelt hat.

    Jeder hat da seine eigene im Lauf der Jahre entwickelte Vorgehensweise.

  • Nicht, dass ich ein verlegter Profi wäre, aber ich mache es wie folgt:


    Einmal ganz durch, wobei ich das Geschriebene vom Vortag als allererstes am Morgen lese. So finde ich ein paar Fehler/Probleme/Unregelmäßigkeiten und ich komme wieder rein, wie Ben Vart sagt (und ich glaube, Ken Follett hält es auch so). Hinrotzen würde ich das aber auch nicht nennen. Jemand Kluges sagte mal, man schreibt die erste Version für den Autor, die zweite für den Leser... So also ungefähr.

    Nach Vollendung des Manuskripts geht die eigentliche Arbeit los. Mehrere Durchgänge, bei denen ich auf Verschiedenes gesondert und gleichzeitig auf alles auf einmal achte. Auch mit Unterstützung durch Testleser, die mich wissen lassen, dass Reiher keine Schwimmvögel sind und Pferde Fluchttiere. Der letzte Durchgang dann für den Feinschliff und die Politur.

  • Ich gehe, bevor ich weitermache - ob nun am nächsten Tag oder einen Monat später -, auch ein paar Seiten zurück, schreibe oder formuliere ein wenig um, schleife hier und da, aber das würde ich nicht wirklich als "überarbeiten" bezeichnen. Es dient, wie bei HD, eher dem Zweck, wieder in die Story und in den Flow zu kommen, den Rhythmus und die Tonalität wiederzufinden, und mir selbst zu ersparen, dass ich den selben Witz mehrfach erzähle (also lustige Formulierungen, die sich gerade anbieten, wiederhole o.ä.). Aber, wie gesagt, das würde ich nicht als Überarbeitung bezeichnen. Ich hasse Überarbeitungen und vermeide sie weitgehend. Also neue Fassungen, oder geänderte Fassungen, die sich gravierend von vorigen unterscheiden. Wenn es sich irgendwie realisieren lässt, prokrastiniere ich das in Richtung Redaktionsphase. Die ist sowieso hart, frustrierend und arbeitsreich, aber die Verlagsleute oder Außenlektoren werden schließlich dafür bezahlt. Ich bin leider auch ein sehr umgänglicher Partner in der Redaktionsphase - ich nicke viel ab, um es möglichst schnell hinter mir zu haben, möglicherweise nicke ich auch manchmal zu viel, und ich kämpfe nur selten (je nach Laune und Gegenüber - wenn ich mich provoziert fühle, werde ich zum Ork) für meine Formulierungen, für Sätze, ganze Abschnitte oder Kapitel. Manchmal aber schon. Nur, wie gesagt: Ich hasse das. Es wäre für mich okay, würde ich das abgegebene Gesamtmanuskript erst wieder in Form eines Belegexemplars sehen. 8)

  • ich nicke viel ab,

    Ich nicht. Ich schau mir an, ob der Änderungsvorschlag passt, ob er meinen ursprünglichen Intentionen entspricht, ob er er sprachlich bester ist, ob er den Sinn besser trifft, ob mir das vorschlagen Ersatzwort oder die Formulierung auch sprachlich zusagen. Dann ja. Aber nicht immer. Es ist mein Text, und über den möchte ich schon der Bestimmter bleiben.

    Da sag ich dann auch deutlich "Nein". Und nie sage ich ja, nur um meine Ruhe zu haben. Lieber ziehe ich mich in Ruhe zurück und arbeite selbst noch mal dran, wenn zuviel kritische Anmerkungen kommen.

  • Ich schau mir an, ob der Änderungsvorschlag passt

    Das schaue ich mir natürlich auch an, sonst wäre ich mitdemklammerbeutelgepudert. Aber es geschieht auch selten, dass professionelle Lektoren völlig unpassende Änderungsvorschläge unterbreiten. Davon abgesehen betrifft das meiste ja Streichungen und veränderte Satzbauten; Formulierungsvorschläge sind erfahrungsgemäß deutlich in der Minderheit.

  • Ich würde mich zu den Überarbeitungsmonstern zählen. Ich überarbeite andauernd und viel und manchmal recht chaotisch, und dabei wächst die jeweilige Geschichte quasi nach allen Seiten. Mir macht das aber am meisten Spaß. Viel schwerer fällt es mir Strecke zu machen, als ins Weiße hinein zu schreiben und quasi das Nichts vor mir herzuschieben. Strengt mich viel mehr an.


    Interessant, wie verschieden wir das so angehen.

  • Genauso geht es mir auch. Ich würde sogar sagen, dass meine Texte erst durchs Überarbeiten entstehen. Wenn was da ist, kann ich es immer besser machen, aber bis was da ist ... Ich habe mir angewöhnt, auf Teufelkommraus was aufs Papier zu hauen, denn ich überarbeite pausenlos und gern.

  • Im Groben ähnelt meine Vorgehensweise auch der hier viel genannten, dass man einen kleinen Schritt zurückgeht, um wieder reinzukommen und von dort aus dann Fahrt aufnimmt. Häufig markiere ich mir auch Stellen, mit denen ich noch nicht zufrieden bin, für die mir aber im Moment das passende Gefühl fehlt. Dann gibt es Tage an denen ich meinen Text nur nach solchen Markierungen durchsuche und schaue, ob ich inzwischen die richtigen Worte oder die richtige Idee für die Stelle gefunden habe. Das kann dann natürlich zur Folge haben, dass alle nachfolgenden Seiten noch mal geändert werden müssen, was mir auch nur so mediumviel Spaß bereitet, aber das gehört nun mal dazu. So richtig überarbeiten und dann noch Strecke machen geht für mich aber eigentlich nicht am gleichen Tag.



    Hmmm … das könnte Andreas Eschbach gewesen sein …

    Es war Hans-Ulrich Treichel, aber er scheint doch nicht der einzige mit dieser Vorgehensweise zu sein.

  • So einen Modus habe ich auch, Kerstin, auf Teufel komm raus Strecke machen: Spaß ist aber echt was anderes, leider :(

    Bei mir wechselt es. Manchmal läuft es wie geschmiert und ich muss (sprachlich) kaum was ändern, manchmal zieht es sich. Fakt ist aber, dass ich besser ins Schreiben komme, wenn ich vorher ein bisschen überarbeitet habe. Das ist wie Anlauf nehmen ...

  • Ich bin wirklich überrascht. Erwartet hatte ich in der Mehrzahl Aussagen, die in die entgegengesetzte Richtung weisen, also erst mal auf Biegen und Brechen die komplette Geschichte raushauen, auch auf die Gefahr hin, dass das Ergebnis bei Feingeistern Würgreflexe auslöst. So hatte ich es bisher auch und gerade von gestandenen Profis gehört und gelesen. Insofern haben mich eure Aussagen sehr beruhigt. Bislang hatte ich mich für einen undisziplinierten Chaoten gehalten, der es einfach nicht schafft, die Arbeitsabläufe so zu gestalten, dass von einer effizienten Nutzung der fürs Schreiben zur Verfügung stehenden Zeit die Rede sein könnte.


    In der Regel lese ich an jedem Schreibtag neben dem aktuellen mindestens auch noch das vorangegangene Kapitel, bevor ich auch nur eine neue Zeile zu schreiben vermag. Das brauche ich, um wieder voll in die Geschichte reinzukommen und dabei korrigiere, poliere und ergänze ich, was mir gerade auffällt. Aber aus den zwei Kapiteln werden an manchen Tagen auch schon mal 100 oder gar 170, 180 Seiten und das ist dann doch recht frustrierend, weil dann kaum noch Zeit zum Weiterschreiben bleibt.


    Sowieso hat dieses permanente Editieren nur wenig gemein mit den Überarbeitungsdurchgängen am Schluss, sobald die Geschichte geschrieben ist. Bei denen geht es trotz einiger Überschneidungen um ganz andere Dinge, insbesondere ums Kürzen, Umstellen, um das Aufspüren von Logikfehlern oder um dramaturgische Feinjustierungen, wie zum Beispiel an Kapitelenden noch den einen oder anderen kleinen Cliffhänger einzubauen. Und für vieles, was während der finalen Überarbeitungsdurchgänge relevant wird, brauche ich auch einen zeitlichen Abstand von mindestens drei, vier oder noch mehr Monaten. Nach dieser Zeit steigt mir beim erneuten Lesen manchmal die Schamesröte ins Gesicht und nicht selten frage ich mich dann, wie es passieren konnte, dass mir der Mist, den ich an manchen Stellen geschrieben habe, als solcher nicht früher aufgefallen ist.

    Ein weiterer Unterschied zwischen dem in den Schreibprozess eingebetteten Editieren und den Überarbeitungsdurchgängen am Schluss besteht darin, dass Ersteres Spaß macht und ich daraus sogar einen zusätzlichen Motivationsschub beziehe, während Letzteres unverzichtbare Arbeit und die Voraussetzung dafür ist, dass das Geschriebene auch anderen Spaß machen könnte.:)

  • Das könnte bei mir auch so sein, fürchte ich. Das Überarbeiten zwischendurch macht einfach Spaß, da ist bei mir auch immer schon sprachlicher Feinschliff dabei. Bei meinem ersten Krimi erlebe ich aber jetzt, dass ich ständig was umstelle, neu motiviere (trotz Treatment), anders anlege ... Insofern ist es unsinnig, schon während des Schreibens zu akkurat zu sein.


    Ich will mich also in Zukunft dazu zwingen, auch mit nicht ganz einwandfreien Textpassagen zufrieden zu sein und weiterzuschreiben, da es ja am Ende ohnehin noch einen (oder mehrere) Durchgänge Feinschliff gibt. Im Grunde ist das (zu viele) Überarbeiten zwischendurch nur eine besonders raffinierte Art der Prokrastination, weil sie einem vorgaukelt, dass man ja arbeite ... :-)

  • Ich will mich also in Zukunft dazu zwingen, auch mit nicht ganz einwandfreien Textpassagen zufrieden zu sein und weiterzuschreiben, da es ja am Ende ohnehin noch einen (oder mehrere) Durchgänge Feinschliff gibt.

    Wenn es nur so einfach wäre! Oft blockiere ich völlig, nur weil ich auf einem tags zuvor geschriebenen Satz herumkaue und ich nicht eher weiterschreiben kann, bis ich eine zumindest einstweilen annehmbare Formulierung gefunden habe. Vielleicht nicht ausschließlich, aber zumindest zum Teil mag deine folgende Feststellung auch darauf zutreffen:

    Im Grunde ist das (zu viele) Überarbeiten zwischendurch nur eine besonders raffinierte Art der Prokrastination, weil sie einem vorgaukelt, dass man ja arbeite ... :-)

    Ich fühle mich erwischt, wie ich mit einem erträglichen Gefühl der Zerknirschung zugebe. Aber das Schreiben eines Romans ist nun mal ein Marathon, mit dem einen oder anderen "Hungerloch" sowie vielen kleinen und manchmal auch größeren Motivationskrisen. Jede(r) findet vermutlich seine eigenen Strategien, um aus diesen Krisen wieder herauszukommen. Für mich dürfen dazu hin und wieder auch die eine oder andere kleine Selbstlüge gehören, solange man sich ihrer bewusst ist und sie vor allen Dingen nicht in den Rang eines Dogmas erhebt.:)

  • Guten Abend,


    eine sehr gute Frage, wie ich finde.


    Freilich bin ich kein Profi, aber auch durch Schwarmwissen kommt man bekanntlich weiter.
    Mein Vorgehen gleicht dem, vieler anderer Autoren hier:


    1. Schreiben, was der Kopf hergibt.

    2. Nach einer Pause (egal ob 5min oder 5 Tage) ein paar Seiten zurück scrollen, zurechtschleifen und nochmal durchlesen um wieder in den "Flow" zu kommen und dann weiter schreiben.

    3. Wenn das Manuskript im Grunde fertig ist, mindestens einmal komplett durchlesen und überarbeiten.


    Dieses Vorgehen habe ich bei allen meiner Roman Manuskripte angewandt und bis jetzt war es nie zu meinem Nachteil.