Tom Barbash: Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens

  • Liebenswürdig, aber keine Offenbarung


    viersterne.gif



    Die Frage „Beatles oder Stones?“ ist mir nicht sehr oft gestellt worden, aber wenn, dann habe ich mit „Weder, noch“ geantwortet. Ich mochte die Musik beider Bands nie besonders (die der Stones aber noch etwas weniger), aber sie haben fraglos Geschichte geschrieben - und sehr, sehr viele Musiker inspiriert (von denen mir dann wieder einige gefallen haben, nehme ich an). Doch man muss kein Beatles-Fan sein, um mit diesem Buch etwas anfangen zu können, das im Original „The Dakota Winters“ heißt.


    Am 8. Dezember 1980, zehn Jahre nach dem Ende der Pilzköpfe, wurde John Lennon in New York erschossen, vor einem Appartementhaus mit dem Namen „The Dakota“ am Central Park West. In diesem legendären, im viktorianisch-neoklassizistischen Stil erbauten Gebäude, in dem sich viele Luxuswohnungen befinden, wohnte er mit Yoko Ono. Er war und ist längst nicht der einzige prominente Bewohner (Yoko Ono wohnt immer noch dort), aber ein gewisser Buddy Winter hat mit seiner Familie niemals im Dakota gelebt.


    Zwei Jahre vor den (überwiegend erfundenen) Geschehnissen, von denen Tom Barbash in diesem recht angenehmen Roman erzählt, hat Buddy Winter vor laufender Kamera live seine eigene Karriere als Fernsehtalkmaster vorläufig beendet. Nachdem er noch die Frage „Was mache ich hier eigentlich?“ ins Mikrofon raunte, kletterte er von der Bühne und ging mitten durchs Publikum davon. Er stieg in einen Bus und meldete sich erst sehr viel später bei seiner irritierten Familie. Buddy Winter, so beliebt und bekannt wie Johnny Carson, brauchte eine mehrere Monate währende Auszeit. Die Branche – und seine Familie – hielt es für eine Krise, und so auch der Sohn Anton, inzwischen 23 Jahre alt und soeben aus Gabun zurückgekehrt, wo er nach dem Abgang seines Vaters für die Peace Corps tätig war und sich eine lebensbedrohliche Malaria eingefangen hat.


    Anton, der der Ich-Erzähler des Romans ist, war die rechte Hand seines Vaters, schrieb Gags und Sketche für die „Buddy Winter Show“, buchte Gäste und organisierte vieles. Während sich Anton, mehr oder weniger freiwillig heimgekehrt, über die eigene Zukunft Gedanken macht, geht es allen anderen vor allem um die seines Vaters. Buddy Winter glaubt, er könne ein Comeback feiern, möglichst wieder mit Anton als Sozius, und der Hammer wäre eine Reunion der Beatles in der neuen Show, schließlich wohnt Lennon im selben Haus und ist mit den Winters befreundet. Anton hat dem Ex-Beatle Segelunterricht erteilt und war mit ihm auf einem legendären, sturmgepeinigten Törn in Richtung Bermudas (den es tatsächlich gegeben hat, aber ohne einen Anton Winter an Bord).


    Der Roman mischt dieserart verbriefte Ereignisse mit frei und ziemlich frech erfundenen, enthält großartige, oft sehr witzige Dialoge und Namedropping in hoher Schlagzahl, aber die Erzählung, die eigentlich im Kern stehen sollte, nämlich die vom Coming-of-Age des sich an all diesen Promibiografien entlang emanzipierenden Prominentensohns Anton Winter, die gerät dabei oft ins Hintertreffen. Es gibt Liebeleien, Freundschaften, originelle Erlebnisse, Zweifel, viele Begegnungen mit bekannten Persönlichkeiten und einen Abriss der Geschehnisse jenes Jahres, in dem nicht nur Lennon starb, sondern zum Beispiel die Olympiade in Moskau boykottiert wurde und Reagans erste Präsidentschaft begann. Tom Barbash lässt das Manhattan dieser Zeit recht anschaulich wieder aufleben, eine oft sehr schmutzige und gefährliche Region, in der allerdings bereits die Gentrifzierung einsetzte. Aber irgendwie will weder ein echtes nostalgisches Gefühl aufkommen, noch fiebert man je wirklich mit Anton, und am Ende wird zusammengefasst und abgehakt, worauf man sehr lange hingelesen hat.


    Bleibt ein schön ausgestattetes, liebenswürdiges, aber etwas unbefriedigendes Buch, das vermutlich umso besser funktioniert, je mehr eigene Erinnerungen man wiedererkennt. Wie es sich für einen echten Fan anfühlt, erfundene Dialoge mit Lennon zu lesen, kann ich mir kaum vorstellen, aber als in dieser Hinsicht unvoreingenommener Leser hat mir dieser Teil am wenigsten bedeutet. „Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens“ liest sich überwiegend gut, hängt im letzten Drittel zuerst ein wenig durch und mogelt sich dann etwas durchs viel zu hastige Ende, aber wenn man sich für die Zeit und/oder die Beatles und/oder das Showbusiness und/oder New York interessiert, macht man mit diesem Roman nichts falsch. Eine (literarische) Offenbarung ist er aber nicht, dafür sind die vielen, vielen Zutaten nicht perfekt genug verarbeitet.


    ASIN/ISBN: 3462053116

  • Hallo Tom,


    danke für die Rezension.

    Mal schauen. Der Stapel ungelesener Bücher ist bereits einschüchternd hoch, die Liste der zu kaufenden Bücher noch länger. Aber du schreibst:

    Bleibt ein schön ausgestattetes, liebenswürdiges, aber etwas unbefriedigendes Buch, das vermutlich umso besser funktioniert, je mehr eigene Erinnerungen man wiedererkennt.

    Und da ich im Moment recht nostalgisch gestimmt bin ... :)


    Herzliche Grüße,


    Jürgen