Thariot: Exodus 2727 (Die letzte Arche)

  • Aber ...


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    Vorweg: Das ist – war – mein erstes Buch aus der Feder des deutschen Autors, der sich „Thariot“ nennt. Bei SF aus regionalem Anbau bin ich ziemlich skeptisch, und abseits von Eschbach und Brandhorst ist mir tatsächlich noch nicht viel begegnet, das mir gefallen hat. Für mich markieren Autoren wie Peter F. Hamilton, Dan Simmons, der leider verstorbene Iain Banks, Vernon Vigne, Richard Morgan, David Brin, Scott Westerfield und ein paar andere, was und wie Science Fiction sein sollte. Zur Not lasse ich auch John Scalzi oder Robert Charles Wilson auf meinen Nachttisch, und was Becky Chambers so schreibt, gefällt mir ebenfalls ganz gut. Ich mag kluge Ideen, unkonventionelle Einfälle, spannende Zukunftsentwürfe mit dazu passendem Personal, lebhafte, durchdachte und stimmige Szenarien, die echte Utopien vermitteln, und die Welten zeigen, die man unbedingt sofort besuchen möchte. Was ich nicht so mag: Ein bisschen unausgegorene Zukunftstechnik als Verpackung für Gegenwartskonflikte.



    Leider ist „Exodus 2727“ genau das. In immerhin mehr als 700 Jahren können die Menschen zwar mit Gleitern fliegen und stimmlos miteinander kommunizieren – was man eigenartigerweise trotzdem immer noch „telefonieren“ nennt –, und irgendwie erfolgt das über nicht näher beschriebene, mit dem Körper verbundene Technik, doch zur großen Verblüffung des Lesers gibt es nach wie vor die Möglichkeit, bestimmten Kontakten eigene „Klingeltöne“ (wortwörtlich) zuzuweisen. Diese Information ist dem Autor so wichtig, dass er sie mehrfach erwähnt. Und auch das TCP/IP-Kommunikationsprotokoll, auf dem u.a. unser aktuelles Internet basiert und das in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelt wurde, existiert weiterhin. Die einzelnen Systeme auf dem 40 Kilometer langen Raumschiff „USS London“, auf dem die Handlung dieses Romans überwiegend spielt, verfügen tatsächlich, man glaubt es kaum, über verdammte IP-Adressen. Das ist, als würden wir heutzutage zwar binär codierte Informationen austauschen, die aber auf Steintafeln gemeißelt und auf dem Pferdefuhrwerk zu jemandem gebracht werden, der über ein Lesegerät verfügt. Ich würde halbmittelwichtige Körperteile dafür ins Feuer legen, dass schon in hundert Jahren kein Mensch mehr wissen wird, was IP-Adressen sind. Aber – geschenkt. Der Autor hat durchaus bemerkenswerte technische Kenntnisse und vermittelt die auch, aber eine glaubwürdige Zukunftsvision, die in fast einem Dreivierteljahrtausend Realität werden soll, hat er in diesem Roman nicht entwickelt. Fünfzig oder notfalls hundert Jahre hätte ich ihm zähneknirschend abgekauft, aber keine 700. Spätestens als die zentrale KI des Raumschiffs damit anfängt, ihre relationalen Tabellen zu reindexieren, habe ich damit aufgehört, den Text als Utopie zu verstehen. „Exodus 2727“ ist letztlich ein Thriller.



    Und in diesem besagten Jahr 2727 starten zwei gewaltige Raumschiffe, um Systeme zu erreichen, die plusminus 50 Lichtjahre von der Erde entfernt sind. Weil die Schiffe mit ihren Antimaterieantrieben aber „nur“ halbe Lichtgeschwindigkeit erreichen können, werden sie über hundert Jahre unterwegs sein. Deshalb ist immer nur ein Teil der Besatzung wach, während der Rest im Kälteschlaf ausharrt. Auf den Schiffen sind neben den 400 Besatzungsmitgliedern außerdem jeweils mehrere Millionen menschliche Embryos, die später die Zielplaneten bevölkern sollen, nachdem sie in Aufzuchtsystemen ins Erwachsenenalter transportiert wurden. Aber ein Exodus findet genau genommen nicht statt. Das Leben auf der zukünftigen Erde scheint okay zu sein, viel erfährt man darüber allerdings nicht. In einer Parallelhandlung, die unmittelbar vor dem Start der Schiffe auf eben dieser Erde spielt, geht es um Duncan Harper, den legendären, steinalten und milliardenschweren Erfinder, der zugleich geistiger Vater dieser Weltraumarchen ist, und seinen verstoßenen Sohn, der inzwischen als Polizist arbeitet. Dessen Schwester Jazmin ist medizinische Offizierin auf der „London“. Und dort, vermeintlich sieben Reisejahre von der Erde entfernt, reiht sich plötzlich eine Katastrohe an die andere.



    Am Ende der Geschichte angekommen, zu der es wohl einen Fortsetzungsband gibt, habe ich mich gefragt, was mir eigentlich erzählt wurde. Es gibt auf den fast 450 Seiten jede Menge Action, und zumindest für Jazmin Harper gewissermaßen eine fundamentale Erkenntnis, dazu tatsächlich auch die Auflösung des einen oder anderen Rätsels, aber das Gefühl, eher ziellos durch eine spektakuläre und nicht immer logisch strukturierte Kulisse gestolpert zu sein, bleibt. Gestolpert bin ich tatsächlich hin und wieder, etwa über Sätze wie „Weltweit stand Duncan Harper auf Platz sieben der reichsten Menschen der Welt“ (Seite 92) und ähnliche. Hin und wieder vermittelt Thariot den Eindruck, sprachlich einiges auf dem Kasten zu haben, meistens versteckt er das aber gut hinter einer atemlosen und eher anspruchslosen Erzählweise. Manchmal wiederholt er, was soeben geschehen ist, und sehr oft muss eine Behauptung ausreichen, um einen Sachverhalt zu vermitteln. Vor allem aber die (fehlende) Emotionalität seiner Figuren irritiert – sie gehen über erschütternde Erlebnisse hinweg wie über angebrannte Fischstäbchen.



    Möglicherweise gebe ich mir den Nachfolger, aber vermutlich eher, wenn wirklich nichts Anderes zur Verfügung steht. Ich kann mir den Satz leider nicht verkneifen: Für deutsche Verhältnisse liefert der Autor annehmbares Material. Aber.


    ASIN/ISBN: 3596704472


  • Aber ...


    Bei SF aus regionalem Anbau bin ich ziemlich skeptisch, und abseits von Eschbach und Brandhorst ist mir tatsächlich noch nicht viel begegnet, das mir gefallen hat.


    Das ist natürlich immer ein sehr persönliche Einschätzung. Ich habe dann gleich mal angefangen, an einer Hand abzuzählen, was ich denn von Deutschen Autoren gut finde in der Sparte SF und da bin ich dann erst einmal nicht über eine Hand hinausgekommen. Aber es gibt mehr und ich muss vermutlich mehr darüber nachdenken und vielleicht auch noch einmal nachlesen. Möglicherweise ergibt sich daraus dann ein Artikel für unseren Blog. Der, da bin ich mir sicher, natürlich auch angreifbar sein wird, weil ich über meine "persönliche" Einschätzung eben auch nicht hinaus komme.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Das ist natürlich immer ein sehr persönliche Einschätzung.

    Nö, das ist keine Einschätzung (gewesen), sondern eine Zusammenfassung meiner Erfahrungen. Ich habe keine Betrachtung der deutschen SF-Szene geliefert, sondern lediglich berichtet, dass mir, von den beiden großen Andreasen abgesehen, bislang noch nicht viele sehr gute deutsche SF-Autoren begegnet sind, was an mir liegen kann, denn ich habe diese Begegnungen auch nicht unbedingt gesucht. Das sind und waren eher Zufallsbekanntschaften.


    Das mit dem Blogbeitrag klingt interessant. Mal schauen, ob es dem gelingt, mich (wieder mehr) für deutsche SF zu begeistern. Tatsächlich würde ich Leute wie Banks und Hamilton in der Championsleague ansiedeln, und dieses Buch hier in der dritten Bundesliga auf einem Aufstiegsplatz.

  • und dieses Buch hier in der dritten Bundesliga auf einem Aufstiegsplatz.

    Obwohl Du nur zwei Sterne vergeben hast?


    Ich habe zum Beispiel nach Deiner Rezension keine Lust, zu solch einem Spiel zu gehen ;)

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Es sind genauer zwei Komma zwei Sterne. ;) Und wenn CL 5 Sternen entspräche, EL 4, BL 3 usw., dann wären 2 Sterne für die 3. BL noch einer zu viel. ;)


    Das ist - leider - Durchschnittskost. Es mangelt an Ideen, an gutem Personal, an Innovation, an Witz und Intelligenz. Dafür ist es über weite Strecken recht unterhaltsam. Wenn ich irgendeinen Text aus Hamiltons "Armageddon-Zyklus", eine Leseprobe aus Simmons' "Die Hyperion-Gesänge", einen Absatz aus irgendeinem Roman, der in Banks' "Kultur"-Universum spielt, dagegenhalte, tun sich Weltenunterschiede auf. Aber für deutsche SF ist es okay. Das sagen die zwei Sterne.