Mit dem "Hackenporsche" auf den Schrottplatz veralteter Sprache

  • Der neue Duden in seiner 28. Auflage, erschienen am 12. August 2020, verzeichnet 3000 neue Wörter und streicht 300 alte. Unter den alten sind mit „Fernsprechapparat“ oder „Niethose“ welche, die zum Standardwortschatz von Generationen gehörten. Wobei „Niet- oder Nietenhose“ insbesondere von der DDR-Jugend als das Synonym für Jeans aus dem Westen benutzt wurde.

    Aber der Fernsprechapparat, mit dem ein stationärer Festnetzanschluss zu Hause oder auch als Telefonzelle, gemeint ist, hat dank Mobiltelefon ebenso ausgedient wie das „Lehrmädchen“ oder der „Bäckerjunge“. Was einem durchaus „Gänsehautmomente“ bescheren kann. Was das ist, kann im neuen Duden nachgelesen werden, wo es als neues Wort aufgenommen wurde. Ebenso wie „Durchimpfungsrate“, „Lockdown“ oder „Erklärvideo“. Letzteres braucht es nicht, um klarzustellen, dass der Rechtschreib-Duden ausschließlich ausgerichtet ist auf korrekte Schreibweise. Leider. Denn die Schönheit der Sprache findet darin keinen Niederschlag.

    Sonst hätten die Duden-Leute möglicherweise den „Hackenporsche“ beibehalten, mit dem der Einkaufstrolley (auch als Kartoffelmercedes bekannt) bezeichnet wurde, den insbesondere ältere Menschen hinter sich herzogen. Inzwischen hat er als Koffer auf Rollen eine ganze neue Klientel erschlossen.

    Hier geht's zum Beitrag in der Süddeutschen Zeitung.

  • Ben Vart

    Hat den Titel des Themas von „Der neue Duden“ zu „Mit dem "Hackenporsche" auf den Schrottplatz veralteter Sprache“ geändert.
  • um klarzustellen, dass der Rechtschreib-Duden ausschließlich ausgerichtet ist auf korrekte Schreibweise. Leider. Denn die Schönheit der Sprache findet darin keinen Niederschlag.

    Hi Ben,

    glücklicher Weise ist keine Redaktion, weder dudische noch süddeutsche, für die Wahrung der Schönheit unserer Sprache zuständig: Dann würde sich ja nur der Geschmack einer Minderheit durchsetzen. Auch wurden keine Worte aus dem Duden "gestrichen", diese Vokabel ist völlig falsch, da der Rechtschreibduden nicht normativ ausgerichtet ist, sondern deskriptiv, und somit mehr oder weniger den aktuellen Sprachgebrauch widerspiegelt. Dass Hackenporsche und Lehrmädchen passé sind, hat die Mehrheit der Sprachnutzer ganz basisdemokratisch entschieden, damit muss eine Sprachminderheit eben leben. Ich habe mal eine beliebige Seite aus dem Duden von 1956 (14. Auflage) aufgeschlagen und folgende Wörter gefunden, die sich mittlerweile auch auf dem "Schrottplatz" tummeln: Ablakation, Abiogenesis, abhagern, Abgeld, Abersaat, abdringen, abhorreszieren. Das ist in gewisser Hinsicht bedauerlich, aber die andere Seite: Seit den 50er Jahren hat sich der Wortschatz des Deutschen um 30 Prozent vergrößert. Und mit Sicherheit sorgt dieser riesige Schub neuer Worte auch für eine neue Schönheit unserer Sprache.

  • Auch wurden keine Worte aus dem Duden "gestrichen", diese Vokabel ist völlig falsch, da der Rechtschreibduden nicht normativ ausgerichtet ist, sondern deskriptiv, und somit mehr oder weniger den aktuellen Sprachgebrauch widerspiegelt.

    Was ja letztlich nichts daran ändert, dass diese Worte im neuen Duden nicht mehr vorhanden sind und demzufolge fehlen. Also gestrichen wurden. Was wiederum unabhängig davon ist, ob sie in der Sprache weiterhin gebraucht werden oder nicht.

  • Ich frage mich, wieso noch keiner einen Anti-Duden herausgebracht hat: Ein Wörterbuch, das nicht die häufigsten, sondern die seltensten Wörter enthält. Ich würde das sofort kaufen, denn ich brauche keinen der mir sagt, wie man Hund, Katze oder Maus schreibt und was sie bedeuten, sondern mir Wörter erklärt, die man nur ganz selten in alten Büchern findet usw.


    Zitat

    Warum lügt mich mein Duden eigentlich an? Er erzählt mir z.B. zum Wort: süperb, dass es im Deutschen soetwas wie: vorzüglich und prächtig hieße. Im Latein hieße superbia aber z.B.: Arroganz und Überheblichkeit (Hybris im klass. Sinn)

    Vielleicht, weil das Wort nicht aus dem Lateinischen in die deutsche Sprache kam, sondern aus dem Französischen importiert wurde, wo es bereits einen Bedeutungswandel erfahren hat?

  • Ich frage mich, wieso noch keiner einen Anti-Duden herausgebracht hat: Ein Wörterbuch, das nicht die häufigsten, sondern die seltensten Wörter enthält. Ich würde das sofort kaufen, denn ich brauche keinen der mir sagt, wie man Hund, Katze oder Maus schreibt und was sie bedeuten, sondern mir Wörter erklärt, die man nur ganz selten in alten Büchern findet usw.

    Mal abgesehen davon, dass es unterhaltsame Sammlungen "vergessener" Worte sogar unter der Dudenflagge gibt, stellt sich doch ernsthaft die Frage nach dem Nutzen eines Wörterbuchs der seltensten Wörter: Wie wollte man denn mit jemandem kommunizieren, der die ganz seltenen Wörter aus den alten Büchern nicht kennt? Da bliebe doch nur das autistische Selbstgespräch. Hier wird einfach die (spätestens seit Wilhelm von Humboldt bekannte) Selbstwidersprüchlichkeit von Sprache übersehen: Die individuelle, konkrete Aussage muss sich der Wörter als Allgemeinbegriffen bedienen; im Sprechen vollzieht sich die Dialektik von Einzelnem und Allgemeinem. Da ist es doch ein viel zu wenig gewürdigtes Wunder, dass die Kommunikation trotzdem so oft gelingt.

  • Was ja letztlich nichts daran ändert, dass diese Worte im neuen Duden nicht mehr vorhanden sind und demzufolge fehlen. Also gestrichen wurden. Was wiederum unabhängig davon ist, ob sie in der Sprache weiterhin gebraucht werden oder nicht.

    Abgesehen davon, dass das "demzufolge" hier keine Folge benennt, sondern eine logische Implikation, setzt das "also" etwas identisch (es fehlt - wurde gestrichen), was keine Synonyme sind. Das "Wörterstreichen", wie es gleich mehrfach in dem Artikel der Süddeutschen steht, suggeriert einen aktiven Eingriff in den Wortschatzbestand unserer Sprache. Im Duden Universalwörterbuch steht zur dritten Bedeutung von "streichen": "etw. Geschriebenes (...) durch einen oder mehrere Striche ungültig machen, tilgen; ausstreichen". Die jetzt "fehlenden" Wörter wurden in der Neuauflage also nicht gestrichen, sondern einfach nicht mehr aufgenommen. Wenn man trotzdem an der aktivischen Vokabel festhalten will, müsste man sagen: die Mehrheit der Sprachnutzer hat diese Wörter ungültig gemacht, getilgt, ausgestrichen.

  • Abgesehen davon, dass das "demzufolge" hier keine Folge benennt, sondern eine logische Implikation, setzt das "also" etwas identisch (es fehlt - wurde gestrichen), was keine Synonyme sind. Das "Wörterstreichen", wie es gleich mehrfach in dem Artikel der Süddeutschen steht, suggeriert einen aktiven Eingriff in den Wortschatzbestand unserer Sprache. Im Duden Universalwörterbuch steht zur dritten Bedeutung von "streichen": "etw. Geschriebenes (...) durch einen oder mehrere Striche ungültig machen, tilgen; ausstreichen". Die jetzt "fehlenden" Wörter wurden in der Neuauflage also nicht gestrichen, sondern einfach nicht mehr aufgenommen. Wenn man trotzdem an der aktivischen Vokabel festhalten will, müsste man sagen: die Mehrheit der Sprachnutzer hat diese Wörter ungültig gemacht, getilgt, ausgestrichen.

    Wenn die Wörter nicht mehr vorhanden sind, also fehlen, ist "demzufolge" die logische Implikation. Deinen Erklärversuch von "also" verstehe ich einfach nicht, aber ich nehme die Bedeutung, die der Duden dem Wörtchen "also" verleiht: folglich, demzufolge, demnach, somit, mithin.


    Wenn ich dir jetzt noch das Interview mit Dr. Kathrin Kunkel-Razum ans Herz legen darf. Die Leiterin der Dudenredaktion sieht es ebenso, dass aus dem Duden-Fundus Begriffe gestrichen, also nicht mehr aufgenommen wurden. Und wenn mir das Finanzamt aus meiner Steuererklärung eine Position streicht, dann streicht sie die nicht einfach nur durch, sondern nimmt sie gänzlich raus, wodurch ich diese Position nicht wieder finde und auch steuerlich nicht geltend machen kann.


    Warum erscheint jetzt ein neuer Duden?

    Kunkel-Razum:

    Eine Neuauflage des Rechtschreibdudens erscheint alle drei bis fünf Jahre. Ausschlaggebend für diesen Termin war die dynamische Wort- schatzentwicklung in den letzten Jahren. Sie betrifft vor allem die Bereiche Verkehr/Mobilität, Technik, Umwelt, Politik/Verwaltung, die Gleichstellung der Geschlechter und nicht zuletzt natürlich auch die Corona-Pandemie.

    Hinzu kommt, dass die DIN 5008, das ist die Norm, die das Verfassen von (Geschäfts)briefen, Mails u. Ä. regelt, Anfang 2020 in einer neuen Fassung erschienen ist. Wir bilden die damit einhergehenden Ände- rungen im Abschnitt ‚Die formale Gestaltung von Texten“ ab.

    Und nicht zuletzt wollten wir auf die zahllosen Anfragen an die Duden- redaktion reagieren, die das Thema geschlechtergerechter Sprach- gebrauch berühren. Hier geben wir nun auf drei Seiten einen Überblick über die Möglichkeiten, die das Deutsche für das Gendern bereithält.

    Welche neuen Wörter haben es in den Duden geschafft?

    Kunkel-Razum:

    Diesmal haben wir rund 3000 Stichwörter neu aufgenommen. Damit hat sich die Gesamtzahl der Einträge im Wörterbuch auf 148 000 erhöht. Wie schon gesagt, besonders stark vertreten sind die Bereiche Verkehr/Mobilität, Umwelt, Verwaltung und Politik, das Gendern und nicht zuletzt – bedingt durch Corona – Medizin/Gesundheitswesen.

    Wie wählen Sie neue Wörter aus?

    Kunkel-Razum:

    Wir analysieren den Sprachgebrauch der letzten Jahre mithilfe unseres Dudenkorpus. Das ist eine riesige elektronische Textsammlung, die der- zeit rund 5,6 Milliarden Wortformen umfasst. Diese Sammlung können wir nach verschiedenen Kriterien auswerten, u. a. danach, wann welche Wörter neu in das Korpus gekommen sind. Wenn man dann noch die Faktoren Häufigkeit, Breite und Dauer des Auftretens eines Wortes mit einbezieht, hat man schon eine sehr gute Grundlage für die Auswahl
    der Kandidaten. Aber auch die Nutzerinnen und Nutzer unserer Wörter- bücher machen uns auf neue Wörter aufmerksam, und wir selbst, die wir in der Redaktion arbeiten, gehen natürlich mit sehr offenen Augen und Ohren durch die (Sprach)welt.

    Dr. Kathrin Kunkel-Razum

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    Welche Wörter wurden aus dieser Auflage gestrichen und warum?

    Kunkel-Razum:

    Wir haben diesmal umfassender gestrichen als in der Auflage von 2017, insgesamt haben wir rund 300 Stichwörter aus dem Duden ver- abschiedet. Hier haben wir ähnlich gearbeitet wie bei der Auswahl der Neuaufnahmen: Wir haben den Stichwortbestand der 27. Auflage mit dem Korpus abgeglichen und die Wörter, die nur noch sehr, sehr selten auftraten, wurden zu potenziellen Streichkandidaten.

    Gestrichen haben wir vor allem, weil wir bei einem gebundenen Buch natürlich immer etwas auf den Umfang achten müssen, der nicht beliebig erweiterbar ist. Und ein wenig ist es eben auch wie mit alten Freundschaften: Nicht alle halten, nicht alle Wörter werden noch benutzt, Zeit, sich von ihnen zu verabschieden. Was ja nicht heißt, dass man nicht noch oft und gern an sie denkt, schließlich haben sie einen lange begleitet.

    Täuscht der Eindruck oder nimmt der Anteil der Anglizismen, also der englischsprachlichen Begriffe, immer mehr zu?

    Kunkel-Razum:

    Der Anteil der Anglizismen steigt, das ist offenkundig. Das hat natürlich einerseits damit zu tun, dass viele technische und kulturelle Neue- rungen aus den englischsprachigen Ländern stammen und samt ihrer Benennung von uns übernommen werden. Es hat aber auch damit zu tun, dass die Fremdsprachenkenntnisse, so auch die des Englischen, hierzulande immer weiter wachsen, viele Menschen international arbei- ten und sich dabei auch der englischen Sprache bedienen und somit die Hemmschwellen für den Gebrauch von Anglizismen niedriger werden. Und Menschen, die aus anderen Ländern nach Deutschland kommen, um hier zu leben und zu arbeiten, sprechen zunächst oft kein Deutsch, sodass Englisch als Mittlersprache fungiert, was sicher auch Spuren hinterlässt.

    Welchen Anteil haben lateinische, griechische oder französische Wörter im deutschen Wortschatz?

    Kunkel-Razum:

    Sie spielen nach wie vor eine beträchtliche Rolle, weil sie ja einen wesentlichen Kern unserer Sprache darstellen, der nicht einfach unwichtig wird oder verschwindet. Aber es kommen derzeit nicht so viele einfache Wörter aus dem aktuellen Griechischen oder Franzö- sischen zu uns. Als Internationalismen oder Wortbildungsbestandteile

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    finden wir sie aber häufig – Reparaturcafé, Akademisierungswahn oder Abgasmanipulation sind nur einige Beispiele.

    Welches sind Ihre Lieblingswörter aus den Neuaufnahmen?

    Kunkel-Razum:

    Es fällt mir schwer, diese Frage zu beantworten, weil es immer so viel schöne bzw. spannende und wichtige Wörter gibt, wie soll man da aus- wählen? Und man kann der Auswahl auch sehr unterschiedliche Krite- rien zugrunde legen: Bei aufploppen hört man ja geradezu den Plopp, Bartöl finde ich wegen der dahinterliegenden Ausdifferenzierung der (Kosmetik)welt spannend, Ceviche esse ich gerne, die Durchimpfungs- rate klingt furchtbar technokratisch, sie ist aber wichtig für unser aller Gesundheit, über die Menge an Erklärvideos staune ich, aber vielleicht ist mein Lieblingswort diesmal der Gänsehautmoment.

  • "Damit ein Wort im Duden landet, muss es einen mehrstufigen Prozess durchlaufen. Die Redaktion des Wörterbuchs durchforstet mithilfe von Computerprogrammen das Netz nach neuen Wörtern. Tauchen diese Wörter über einen längeren Zeitraum auf, landen sie auf einer Art Shortlist. Die Redaktion des Duden entscheidet dann, ob ein neues Wort tatsächlich im Alltag genutzt wird. In ähnlicher Weise entscheidet die Redaktion über Streichkandidaten. "


    Das meint man dazu hier.

    Also lässt sich in der Theorie beeinflussen, ob ein Wort das nächste Mal doch noch drin steht? ?!?