Matthias Lisse: Die geteilten Jahre

  • Zum Roman umgewidmete Ost-West-Biografie, verfasst im Stil einer Parteitagsrede


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    Ich gestatte mir eine Spekulation. Matthias Lisse hatte seine eigene, mehr oder weniger spektakuläre Geschichte aufgeschrieben, damit dann die Verlage abgeklappert, und irgendwer bei Droemer sagte schließlich: "Na ja, Herr Lisse, das ist ja eine ganz hübsche Geschichte, aber als Autobiografie interessiert das keinen Menschen. Doch als Schicksalsroman, und dann noch zum dreißigsten Jahrestag der Maueröffnung vermarktet, wäre das nichts?" Also ging man kurzerhand daher und änderte ein paar Namen und Schauplätze. Die Hauptfigur, Marcus Leipold, durfte immerhin die Initialen ihres Alter Egos behalten.



    Und das erzählt in "Die geteilten Jahre" die Geschichte, die einer missglückten Republikflucht folgte. Ausgerechnet am 13. August 1961, am Tag des Mauerbaus, wollten die Leipolds - Vater, Mutter und der damals vier Jahre alte Sohn Marcus - "rübermachen", aber sie schafften es nicht mehr, weil selbst die U-Bahn-Übergänge zwischen Ost- und Westberlin schon zu waren. Jahrzehnte später wird Marcus die Flucht antreten, ohne Frau und Kind, und im Jahr 1989 wird dann alles gut. Der Weg dahin ist allerdings beschwerlich. Vor allem für die Leser dieses Buches.



    Leipold ist schon zu Schulzeiten Nonkonformist, verweigert sich der Erziehung zum sozialistischen Bürger, hört sich lieber von der Oma an, dass die Kommunisten letztlich so ähnlich sind wie die Nazis waren. Beim Fechten verliert der Junge fast ein Auge, woran die sozialistische Misswirtschaft schuld ist, entdeckt später den Reitsport für sich, und die überaus integere, beharrliche, charakterlich jedoch milchblasse und unterm Strich strunzlangweilige Figur zerrt den Leser dieses Machwerks an dessen Nerven durch einige weitere Jahre seiner mediokren Existenz. Aufgelockert wird diese widerstandsarme Geschichte durch hanebüchene Dialoge aus den geheimsten Brevieren der politischen Elite, etwa Gesprächen zwischen Erich und Margot Honecker beim Einkaufen in Wandlitz, oder Strategiediskussionen rund um den Reitsport bei den boykottierten Olympischen Spielen 1980, die tausendprozentig exakt so stattgefunden haben, jede Wette. Denn die DDR-Führung bestand ohne den geringsten Zweifel aus einem Haufen tollpatschiger Naivlinge.



    Dieses Buch hat zwei Probleme, und die lauten beide: Es ist leider (von den Wandlitz-Dialogen abgesehen, hüstel) authentisch. Deshalb gibt es nie auch nur entfernt das Risiko, dass die Hauptfigur, die schließlich mit dem Autor identisch ist, marginal beschmutzt oder beschädigt wird. Marcus Leipold ist (für seine Verhältnisse) einfach ein Supertyp, langweilig und vorhersehbar zwar wie eine Kommunalwahl in der DDR, aber ansonsten ein Mensch ohne Brechungen oder Makel. Er ist ein Denkmal seiner selbst. Die zweite damit einhergehende zweite Problematik betrifft den Stil dieses Buches. Normalerweise würde ein solcher Text bei einem Dienstleistungsverlag, im Selfpublishing oder bei Book on Demand landen, nicht jedoch bei einem reputierten Publikumsverlag, denn es ist erschütternd geschrieben, und das ist eine starke Untertreibung. Ich habe noch nie, nie, nie einen bei einem nennenswerten Verlag publizierten Prosatext gelesen, der in einem solchen Deutsch verfasst war, angesiedelt zwischen Waschmaschinengebrauchsanleitung und Parteitagsrede. Hölzern, holprig, überbemüht, ohne jeden Klang, wie aus einem StaSi-Berichtsheft oder einem Schulaufsatz, ungefähr elfte Klasse. Sehr beschreibend, völlig emotionslos, irgendwie bürokratisch und akribisch. Und absolut ungenießbar. Literaturästhetische Folter.



    Was bleibt, das ist eine mit vielen sattsam bekannten Details (vom Alu-Chip bis zur Trabi-Wartezeit) angereicherte Geschichte, die ein bisschen was über die DDR erzählt, mit zu viel Pferdesport langweilt und den Autor selbst zum Helden hochstilisiert. "Die geteilten Jahre" ist, kurz gesagt, ein unangenehmes Buch, an dem einfach nichts stimmt, abgesehen davon, dass es leider auf Tatsachen beruht.


    ASIN/ISBN: 3426282011

  • Lieber Tom, ich lese deine Rezis immer - manchmal finde ich ein Juwel, manchmal weckst du Interesse, selten schreckst du ab.

    Ich hatte gerade irgendwo sehr lobende Worte über dieses Buch gelesen, aber deine Beurteilungen sind immer stimmig und passen für mich.

    Das ist so wie früher die Buchbesprechungen von Elke Heidenreich, nur umgekehrt - wenn sie ein Buch empfohlen hat, wusste ich, für mich ist das nichts.


    Meine Bitte an dich - weil ich gerade im Abgabeüberstreß bin: Bitte, bitte, bitte finde wieder so einen hinreißenden, bewegenden, zum niederknien guten Schmöcker wie: Max, Micha und die Tet - Offensive.

    Das war mein Highlight im letzten Jahr. Ich weiß, es gab noch mehr so Lesehighlights, die du in den vergangenen Jahren empfohlen hast und wenn ich endlich, endlich dieses verflixte Buch fertig habe, möchte so etwas lesen ... etwas zum Hinknien, darin versinken, zum wegträumen ... und das ohne Schimmel, Helden und gleisenden Haare oder so.

    Danke.

    Deine Ulli

  • Liebe Ulli,

    ich empfehle jedem, der den Kauf von "Die geteilten Jahre" in Erwägung zieht, einfach einen Blick ins Buch zu werfen, also die Leseprobe zu konsultieren, die man z.B. bei Amazon einsehen kann. Schon die ersten Sätze des Prologs verraten genug, um den Rest einschätzen zu können. Auch bei den "Büchereulen", wo es offenbar eine vom Autor begleitete Leserunde zum Titel gab, haben einige diesen "Roman" sehr gemocht und irritierenderweise besonders dessen Stil gelobt, und ich bin noch auf der Suche nach einer Erklärung für diesen Umstand. Ich denke aber, dass es zu einem Gutteil daran liegt, dass relativ ungeschönte Details über das Leben in der DDR allmählich in Vergessenheit geraten - und hier hat Matthias Lisse nichts ausgelassen -, während die jüngeren Generationen überwiegend nostalgisch-verklärten Früher-war-alles-besser-Dünnsinn zu hören bekommen und das Leben östlich des Eisernen Vorhangs für eine Art Sozialisten-Kuschelparadies mit Kinder-Ganztagsbetreuung und verwirklichter Geschlechtergleichbehandlung halten. Für diese Leute ist dieser Text sicher überraschend, weshalb sie ihn möglicherweise auch schriftstellerisch für besser halten, als er tatsächlich ist, nämlich sehr schlecht.


    Ich bin selbst einerseits immerzu auf der Suche nach Ausnahmeromanen wie "Max, Mischa und die Tet-Offensive", aber andererseits würde es das Glücksgefühl bei und die Freude an diesen Titeln relativieren, gäbe es (viel) mehr davon. Wir beide schreiben solche Bücher ja auch nicht. ;) Aber wenn ich wieder auf eine Perle aus dieser Kategorie stoße, bist Du die erste, die es erfährt, versprochen.