Jedes Mal, wenn ich während der vergangenen Wochen einen Blick auf meine bisher geschriebenen Geschichten geworfen habe, kam es mir so vor, als fehle diesen Geschichten etwas. Etwas, das mir zuvor nie aufgefallen war. Das gilt sogar für mein aktuelles Work in progress, an dem ich noch im Januar mit der für eine neue Geschichte typischen Begeisterung geschrieben habe.
Schließlich ist der Groschen gefallen, wurde mir klar, was diesen Geschichten fehlt. Corona. Nicht als Thema. Aber mir kommt es so vor, als wäre die Zeit aufgespalten worden in eine Vor-Corona-Zeit und eine Corona-Jetztzeit, und alles Geschriebene, das nicht auf irgendeine Weise diese Corona-Jetztzeit reflektiert, und das betrifft die eigenen Geschichten ebenso wie die anderer Autorinnen und Autoren, wirkt jetzt auf mich wie aus der Zeit gefallen, manches mehr, bei anderen Texten ist der Eindruck etwas schwächer. Vorhanden ist er aber immer. Dabei sind die relevanten Themen doch noch immer dieselben, die ewigen Themen sowieso, Verliebtsein, Liebe, Eifersucht, Hass, Macht- und Geltungsstreben, Gier, um nur diese wenigen zu nennen, desgleichen die drängenden Themen unserer Zeit wie die nahende Klimakatastrophe, Überbevölkerung, die ungezügelte Ausbeutung menschlicher wie materieller Ressourcen, Migration, die fortschreitende Konzentration von materiellem Reichtum in immer weniger Händen, eine damit einhergehende Verarmung auf der anderen Seite bis hin zu Massenverelendung, die noch immer nicht vollendete Gleichstellung der Geschlechter, die Diskriminierung von Minderheiten, Missbrauch und sexuelle Gewalt, Gewalt überhaupt, Vereinsamung et cetera et cetera ... und was all das mit und aus einem Menschen macht.
Wie empfindet ihr das?
Hat sich eure Wahrnehmung von Geschichten verändert?
Wie sieht das mit euren vor Corona begonnenen Geschichten bzw. euren neuen Plotideen aus? Arbeitet ihr daran unbeeindruckt von Corona weiter?
Glaubt ihr, dass es von nun an noch möglich sein wird, Leserinnen und Leser für in der Gegenwart angesiedelte Geschichten zu gewinnen, die ohne jeglichen Bezug auf Corona auskommen?
Oder meint ihr, dass solche Fragen nur einer vorübergehenden Verunsicherung geschuldet sind, es mit dem Finden einer neuen Normalität also schon bald zu einer Rückkehr zum business as usual kommen wird, zumindest, was das Schreiben betrifft?
Herzliche Grüße,
Jürgen