Gute Bücher, die sich schlecht verkaufen …

  • In der Süddeutschen Zeitung vom letzten Wochenende (30.11./1.12, Nr. 277, S. 60) wurde ein Interview mit Margaret Atwood abgedruckt. Lesenswert! Ich nehme ein Zitat aus dem Zusammenhang, um diesen neuen Thread einzuleiten:


    Zitat

    Es gibt eben nur vier Arten von Büchern: Gute Bücher, die sich gut verkaufen. Schlechte Bücher, die sich gut verkaufen. Gute Bücher, die sich nicht verkaufen. Und schlechte Bücher, die sich nicht verkaufen. Leben kann man nur mit den ersten drei Kategorien.


    Die Aussage ist banal, wird aber selten so deutlich ausgesprochen. Überraschend ist, dass Frau Atwood die dritte Kategorie für eine hält, die Schriftsteller überleben lässt. Man kann jetzt darüber spekulieren, wie das gemeint ist. Ich vermute, eher ideel. Für manche Schriftstellerin und manchen Schriftsteller aber auch materiell, nämlich dann, wenn diese Bücher (oder deren Urheber) mit Stipendien und Preisen am Leben gehalten werden.


    Bestsellerlisten, Literatursendungen im Fernsehn, Rezensionen im Feuilleton – in all diesen Medien kümmert man sich ja nur um die Kategorien eins und zwei (viel zu häufig um die Kategorie zwei!). Wie bekommt das Publikum denn die Kategorie drei in den Blick? Hinweise in diesem Thread sind dringend gewünscht. Ich beginne gleich selbst mit einem ersten Hinweis.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Die Kurt Wolff Stiftung ist eine Interessenvertretung unabhängiger Verlage. Das Wort "unabhängig" macht schon aufmerksam, denn bei genauem Hinsehen sind viele mittlere und große deutsche Verlage heute nicht mehr unabhängig sondern gehören zu Konzernen, die ihren Sitz noch nicht einmal im Land haben. Die Verlage, die sich also in dieser Stiftung zusammengeschlossen haben und dadurch versuchen, ihre "Interessen" vertreten, müssen Direktiven aus einer Konzernzentrale oder/und aus dem Ausland also nicht fürchten. Der Preis den sie dafür zahlen ist die geringere Reichweite, die sich nicht zuletzt auch durch niedrigere Auflage und in Folge, niedriger Umsätze ausdrückt. Trotzdem gelingt es einigen dieser Verlage schon seit Jahrzehnten, nicht nur zu überleben, sondern auch in gewissem Maße erfolgreich zu sein. Die Zahl der Bücher der Kategorien 1 und 2 ist deutlich geringer als bei den großen Publikumsverlagen, die der Kategorie 3 deutlich höher. Für Leserinnen und Leser, die sich nicht nur mit Lektüre von den Auslagetischen der Buchhandelsketten und den Bestsellerlisten diverse Politmagazine zufrieden geben, ist ein Blick auf die Sortimente dieser Verlage wie ein Blick in einen blühenden Garten, der hinter grauen Häuserzeilen plötzlich auftaucht.


    Die Kurt Wolff Stiftung bringt seit 2006 jährlich einen Katalog heraus, in dem die zugehörigen Verlage vorgestellt werden. Man kann ihn gegen 1,55 Euro in Briefmarken bestellen und das ist eine lohnenswerte Sache.

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  • Viele relativ bekannte Autoren sind keine Bestsellerautoren, aber das Feuilleton mag sie. Deshalb sind sie medienpräsent, sogar in irgendwelchen Kanons gelistet, in den Schulen vertreten. Aber die Buchverkäufe reichen nicht aus, um das Leben zu finanzieren. Diese Autoren sind darauf angewiesen, Literaturpreise und Stipendien zu erhalten, sie werden als Gastdozenten eingeladen, für Workshops und Jurys (Juryarbeit wird recht oft honoriert) verpflichtet. Gute Bücher, die sich schlecht oder überhaupt nicht verkaufen, generieren einen Seiteneffekt, nämlich literarische Reputation. Und die wiederum kann man nutzen, um auch wirtschaftlich voranzukommen.

  • Bestsellerlisten, Literatursendungen im Fernsehn, Rezensionen im Feuilleton – in all diesen Medien kümmert man sich ja nur um die Kategorien eins und zwei (viel zu häufig um die Kategorie zwei!). Wie bekommt das Publikum denn die Kategorie drei in den Blick?

    Genau das hat meine Mutter, ehemalige Buchhändlerin, auch bemängelt, dass die Literaturwelt immer kapitalistischer wird und eher danach gegangen wird, was sich voraussichtlich gut verkauft, nicht, was literarisch wertvoll ist. Ich sehe das gelassener, denn in der Kunst gibt es abgesehen vom rein Handwerklich-Technischen eben den Geschmack, mich persönlich stresst eher, dass Werke auf- oder abgewertet werden, je nachdem, ob sie "politisch korrekt" reinpassen.


    Und damit komme ich gleich zu deiner Frage:

    Das Publikum wird Kategorie drei nicht in den Blick bekommen, weil das, was sich gut verkauft, davon abhängig ist, wie Zeitgeist, Kultur und Interessenlage aussehen. Ich behaupte sogar, dass sich Literatur ebenso wie Wissenschaft nur dann weiterentwickeln kann, wenn es Kategorie drei gibt.


    Außerdem sollten sowohl Verlage als auch Autoren einsehen, dass der Markt und die Digitalisierung dazu führen, dass die Strukturen sich verändern, und nicht vergangenen Zeiten nachtrauern. Die kleinen Verlage werden größtenteils genauso "sterben" wie hier im Kiez die kleinen Einzelhandelsgeschäfte.

    Ich finde es unverantwortlich, gerade jungen Leuten gegenüber, nicht radikal zu sagen, dass eine Autoren- oder Verlagskarriere zu 99,9% unrealistisch ist, egal wie gut oder schlecht, wie talentiert oder untalentiert man ist. Für mich jedenfalls ist es ein Hobby und wird es auch bleiben - das ist meine Form der Unabhängigkeit.


    Was Kategorie vier angeht, ich behaupte, dass viele Werke, die heutzutage als Weltliteratur bezeichnet werden, zu ihrer Zeit von der sie umgebenden (Mehrheits-)Gesellschaft in diese Kategorie einsortiert wurden. Außerdem ist durch Print-on-demand abgesichert, dass nicht unnötig Papier verschwendet und somit die Ressourcen unseres Planeten geschont werden. Das war zu Zeiten meines Vaters noch anders, als er für seinen Selbstverlag immer Exemplare auf Vorrat im Wohnzimmer stapeln musste.

  • Was Kategorie vier angeht, ich behaupte, dass viele Werke, die heutzutage als Weltliteratur bezeichnet werden, zu ihrer Zeit von der sie umgebenden (Mehrheits-)Gesellschaft in diese Kategorie einsortiert wurden. …

    Das ist ein Missverständnis. Was ehemals nicht anerkannt wurde, heute aber zur Weltliteratur zählt, gehörte zur Kategorie 3.


    Kategorie 4 ist niemals zu Weltliteratur geworden.

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  • Ich kann das langsam nicht mehr hören. "In den Buchläden wird nicht das gezeigt was "wertvoll" ist, sondern es wird nur noch der pöhse Mainstream bedient".

    War das denn jemals besser? In Gegensatz zu "früher" haben wir heute ein dermaßen großes Angebot in allen Bereichen, dass man es ja noch nicht einmal schafft, sich all die Bücher zu Gemüte zu führen, die einen wirklich interessieren.


    Bei solchen Diskussionen klingt für mich immer durch, es gäbe tausende wahnsinnig geniale Autorinnen, die "vom Markt" boykottiert würden. Meine Beobachtung ist eher die, dass diese AutorInnen kaum Beachtung finden, weil sich schlichtweg niemand für ihre Werke interessiert, weil es a) Nischenthemen sind oder b) schlechter Schreistil. oder c) a + b zusammen. Das gilt vor allem für den Unterhaltungsbereich. Meine langjährigen Beobachtungen dort zeigen mir, dass Self-Publishing mir bislang jedenfalls keine unerkannten Perlen vor die Füße gespült hat – ganz im Gegenteil.

    Man muss Amazon & Co direkt dankbar sein, dass es die "Blick ins Buch"-Funktion gibt. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es in anderen Literaturbereichen besser aussieht.

  • So, wie man viele Muscheln öffnen muss, um eine Perle zu finden, so muss man auch viele Indie-Bücher kennen, um ...

    Ich habe in öffentlichen Internet-Schreibforen schon Texte von sogenannten Nobodies gelesen, also von Schreibern ohne Ritterschlag der Verlagsindustrie, die mich tief beeindruckt haben. Und zwar in jedweder literarischer Hinsicht. Wer legt fest, was wertvoll ist. Und vor allem: Wertvoll für wen?

  • Wer hat den Begriff "wertvoll" hier eingeführt? Es ging doch um gute und schlechte Bücher. Die sind wirklich leicht(er) zu unterscheiden. Man kann auch schlechte Gesangsdarbietungen ziemlich leicht von guten unterscheiden. Wenn man beim Zuhören keine Krampfanfälle bekommt, ist es wahrscheinlich ganz gut. So ist das auch bei Büchern. Und, ja, von Krampfanfalltexten findet man im Selfpublishingbereich deutlich mehr als im Bereich der "ordentlich" verlegten Bücher. Was nicht heißt, dass es dort überhaupt keine gibt. Oder bei den Selfpublishern keine guten Bücher. Aber es sind eben nicht nur zwei unterschiedliche Vertriebswege. So fucking what? :achsel

  • …Man kann auch schlechte Gesangsdarbietungen ziemlich leicht von guten unterscheiden. Wenn man beim Zuhören keine Krampfanfälle bekommt, ist es wahrscheinlich ganz gut. …

    Und manchmal werden schlechte Gesangsdarbietungen sogar Kult.

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