Richard Morgan: Mars Override

  • Würdiger Nachfolger für Takeshi Kovacs


    fuenfsterne.gif


    Morgan hat mich mit der Trilogie um den gnadenlosen, zugleich durchaus sympathischen SF-Söldner Takeshi Kovacs gekriegt. „Das Unsterblichkeitsprogramm“ (auch unter dem Titel „Altered Carbon“ veröffentlicht und als Serie für Netflix produziert) war im Jahr 2002 bahnbrechend, aber auch die beiden Nachfolger übererfüllten die Erwartungen.

    Nun ist Richard Morgan nach langer Pause und einigen Ausflügen wieder ins Genre zurückgekehrt. „Mars Override“ erzählt abermals von einem Söldner: Hakan Veil ist genetisch und technisch hochgezüchtet, verfügt über diverse Implantate und Upgrades, und nicht zuletzt über eine interne KI namens Osiris, die ihm jederzeit hilfreich zur Seite steht, beispielsweise Mikromimik auswertet und so gut wie alles hacken kann. Doch Veil ist ausgemustert, und er ist auf dem Mars gestrandet, wo er jeweils acht lange Marsmonate daran arbeitet, die vier Monate Ruhezeit zu finanzieren, die er als „Overrider“ so dringend benötigt, weil seine Systeme sonst erodieren. Deshalb nimmt er jeden noch so beschissenen Job an.

    Ich mag SF sowieso, aber ich liebe SF, die den Leser mit großer Selbstverständlichkeit vor vollendete Tatsachen stellt, die also Sprache, Kultur, Sozialverhalten und Technik der eigenen Zukunftsvision weder ausführlich erklärt, noch begründet oder sonstwie herleitet, sondern einfach davon ausgeht, dass dieses Universum existiert. Das erschwert zwar den Einstieg - auch bei „Mars Override“ muss man ordentlich konzentriert sein, um halbwegs folgen zu können -, vermittelt aber einen hohen Grad an Authentizität, außerdem kann der Autor seine Phantasie voll ausreizen, ohne sich über jeden Kieselstein Gedanken machen zu müssen, der im Logikweg liegen könnte. Und das macht Richard Morgan, aber nicht nur auf der Ebene technischer Visionen. Der Mars aus Hakan Veils Sicht ist ein gescheitertes Terraforming-Experiment, eine Exklave mit ganz eigener Struktur, zugleich aber auch beliebtes Reiseziel für Leute, die sich das leisten können, und er ist ein Ort mit einer besonderen Identität. Beherrscht wird dieses teilweise bewohnte Konstrukt von korrupten Gouverneuren, selbstherrlichen Bürgermeistern, Industriemagnaten, Mafiabossen und chinesischen Triaden. Die Heimreise auf die Erde ist fast unerschwinglich, aber hin und wieder werden Kryonikkapseln auf zurückfliegenden Schiffen in einer Lotterie verteilt.

    Hakan Veil wird von der Polizei der Stadt Bradbury angeheuert, um eine Frau zu beschützen, die im Auftrag der alles beherrschenden COLIN-Autokratie ein Audit auf dem Mars leiten soll, um Korruption aufzudecken und einen eigenartigen Todesfall zu untersuchen, der normalerweise keinen Menschen interessieren würde. Aus dem Auftrag wird eine abenteuerliche, brutale, amouröse und bis an alle Grenzen belastende, hochspannende Tour de Force mit recht überraschendem Ende. Aber hier ist sprichwörtlich der Weg das Ziel; Morgans Dialoge sind großartig, das Zusammenspiel seiner Figuren ist das sowieso, und sein wahrlich hartgesottener Protagonist überzeugt jederzeit. „Mars Override“ ist ein würdiger Nachfolger für „Das Unsterblichkeitsprogramm“ - knallhart, klug, spektakulär, großartig ausgedacht und bis ins Detail stimmig inszeniert.


    ASIN/ISBN: 3453320220

  • Es gibt einen neuen Richard Morgan? Das ist ja großartig!

    Altered Carbon habe ich mit großer Begeisterung gelesen, eben weil es die klassischen Cyberpunk Themen und die düstere Blade-Runner Bildsprache ganz einzigartig variiert hat. Von den beiden anderen Teilen der Trilogie habe ich eher Schlechtes gehört und die Netflix-Adaptation habe ich frustriert abgebrochen. Das wirkte mir einfach zu billig. Ich tue mich aber mit TV-Serien insgesamt etwas schwer.


    Wenn es aber an den Erstling auch nur einigermaßen rankommt, dann muss ich das haben.

    “Life presents us with enough fucked up opportunities to be evaluated, graded, and all the rest. Don’t do that in your hobby. Don’t attach your self worth to that shit. Michael Seguin

  • Es kommt ran, Nils. Und über diese Neuigkeit hatte ich mich auch sehr gefreut. Mitgeteilt wurde sie mir von einem 42er-Mailinglisten-Urgestein, nämlich Maarten Donders. Erinnert sich noch jemand?

  • Vielleicht ist er zu lange in Bruchtal gewesen und sollte sich wie die anderen Elben auf Wanderschaft begeben.

    Zu den Grauen Anfurten? Das wäre eine gute Option.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Hallo, Tom,


    Das ist jetzt NICHT ironisch gemeint: Ich finde Deine Buchbesprechungen regelmäßig gut. Ich habe gar nicht so wenige der von Dir hier besprochenen Bücher gelesen – und zwar nur deshalb, weil Du sie besprochen hast.


    Ich sehe und lese diese Bücher anders als Du, und ich teile Dein Urteil nicht immer, um nicht zu sagen: eigentlich eher selten. Aber darum geht es nicht. Ohne diese Rezensionen bliebe mir vieles auf dem Buchmarkt fremd oder unbekannt. Für mich sind Deine Rezensionen immer so etwas wie ein Scheinwerfer in der Dunkelheit, der einem zeigt, was es da eigentlich noch alles gibt.


    Ich interessiere mich gar nicht für SF, und die paar kläglichen Versuche, die ich in dieser Richtung unternommen habe, beschränken sich auf einige Bücher von Stanislaw Lem und den Strugatzkis.


    Ich finde den von Dir hier rezensierten Band sehr gut übersetzt – ich habe in das Original und in die deutsche Ausgabe hineingelesen und ich bin ehrlich gesagt verblüfft, wie gut der Übersetzter die Übertragung dieses komischen Slangs im Original und der ganzen Neologismen hingekriegt hat.


    Also: Kompliment und bitte weitermachen.

  • Hallo, TWJ.


    Danke für das Kompliment, das mich sehr freut.


    Ich vergleiche gelegentlich auch Original und Übersetzung, aber bei einem solchen Stoff würde ich den Versuch nicht wagen, weil die paar Sätze, die ich halbwegs verstünde, im Technosprech untergingen. Bernhard Kempens Arbeit wird ganz unterschiedlich bewertet, und ich hatte tatsächlich das Gefühl, sie ist sehr gelungen.