Literatur-Rätsel: Wer war der pädophile Autor?

  • Hallo, 42er,


    Irgendwann wird sich das totlaufen, aber vorher biete ich hier in lockerer Folge noch einige literarische Rätsel an, weil es ja wirklich eine nette Methode ist, mehr über Literatur zu erfahren und unterhaltsamer als irgendwelche Vorträge, Referate oder Abhandlungen über Autoren.


    Ich frage nicht nach total unbekannten Autoren, die nur noch Spezialisten bekannt sind – aber auch nicht nach Tagesgrößen oder Trivialautoren, sondern nach Autoren aus dem sog. literarischen Kanon, auch wenn ich den weiter als sonst gesteckt fasse.


    Rätseltexte schreibe ich so, daß man den gesuchten Autor nicht schon nach einmaligem Googeln errät. Warum? Weil alles andere Unsinn wäre. Ich bin altmodisch und konservativ und natürlich reaktionär und noch viele andere unangenehme Sachen, allerdings auch gebildet, weshalb ich an einem altmodischen Bildungsideal festhalte. Und dieses überholte Ideal besagt, daß man eine ganze Menge Fakten, Orte, Namen, Daten, Jahreszahlen und in der Literatur Figuren, Plots und Handlungsmuster im Kopf haben muß, um als gebildet durchzugehen.


    Wer auf die Frage: Wie heißt das berühmteste Gemälde im berühmtesten Museum Frankreichs? das Handy zücken und Google anschmeißen muß – der ist nicht gebildet. Mit dem ist jede Diskussion über die großen alten weißen Männer (und einige Frauen) der hauptsächlich abendländischen Kulturgeschichte sinnlos und macht auch keinen Spaß.


    Preise gibt es keine. Das einzige, was man sich hier erwerben kann, ist Respekt. Wer das Rätsel gelöst hat, soll es laut sagen. Dann ist es gelöst, und dann kommt halt ein anderes.

  • Unser Autor war pädophil. Und schwul, eine nicht ganz unübliche Kombination, auch wenn die LGBT-Lobby das nicht so gerne hört. Es gibt natürlich eine ganze Menge pädophiler Schriftsteller, allerdings hat unser Autor seinen pädophilen Neigungen literarisch gesehen eine neue Dimension verliehen. Für unseren Autor war schwul sein gleichbedeutend mit pädophil sein und pädophil sein der Kerns seines Wesens, ja seiner ganzen Lebensgestaltung. Unser Autor war in erster Linie pädophil, und erst dann kam für ihn die Literatur.


    Von den Biographen unseres Autors, und das sind einige, wird das nie so eingestanden, bis zum heutigen Tag nicht. Da wird erstklassig und sehr geschwurbelt um den heißen Brei herumgeredet und die Neigungen des Autors stets metaphysisch verbrämt. Da wird er immer als Sucher, Erzieher und hauptsächlich als Freund oder Gefährte bezeichnet, von Vierzehn- oder Fünfzehnjährigen, die er gerne als "Buben" bezeichnete.


    Unser Autor hat im Leben gelernt, daß er sich bei der Suche nach Knaben zusammenreißen muß, weil das für ihn sonst erhebliche Konsequenzen haben könnte, aber als er jung war, kannte er diese Zurückhaltung nicht, Da hat er sich z.B. einen anderen Autor, der heute berühmter ist als unser Autor, so dermaßen aggressiv genähert, daß dieser zweite Autor seinen Vater eingeschaltet hat, um unseren Autor in die Schranken zu weisen.


    Trotzdem ist unser Autor ein in mancher Hinsicht großer und bedeutender Schriftsteller, der die Literatur seiner Zeit erheblich beeinflußt und geprägt hat. Er war auch ein guter Übersetzer, der aus drei Sprachen übersetzt hat, vielleicht nicht sehr idiomatisch, aber mit einem unbestreitbaren Talent für Klang und Ausdruck.

  • Ich vermute mal Oscar Wilde. Obschon ich noch nie von seinen pädophilen Neigungen hörte. Aber die Sache mit dem Vater, Lord Queensberry, der aus Angst um sein Söhnchen Bosie, Wilde in die Hölle stieß, würde passen. Andererseits, wer von seinen Loverboys könnte berühmter als Wilde sein?

  • Ich vermute mal Oscar Wilde.

    Nein, Oscar Wilde ist nicht gemeint. Im Vergleich mit unserem Dichter war Oscar Wilde auf dem Gebiet des Sexus ein Waisenknabe.


    Unser Dichter hier ging da ganz anders zur Sache, was erklärt, warum seine Biographen gar so emsig bemüht sind, das Leben unseres Autors stets zu verklären.


    Dennoch hat unser Autor einige der schönsten und besten Verse geschrieben, die es überhaupt nur gibt. Er ist ein bißchen aus der Mode gekommen und viele in diesem Forum werden noch nie einen Vers dieses Dichters gelesen haben – er ist trotzdem ein großer Dichter.

  • Dann Theodor Storm. Mit den Versen hast du mich drauf gebracht.


    Die Nachtigall


    Das macht, es hat die Nachtigall

    Die ganze Nacht gesungen;

    Da sind von ihrem süßen Schall,

    Da sind in Hall und Widerhall

    Die Rosen aufgesprungen.


    Sie war doch sonst ein wildes Kind;

    Nun geht sie tief in Sinnen,

    Trägt in der Hand den Sommerhut

    Und duldet still der Sonne Glut

    Und weiß nicht, was beginnen.


    Das macht, es hat die Nachtigall

    Die ganze Nacht gesungen;

    Da sind von ihrem süßen Schall,

    Da sind in Hall und Widerhall

    Die Rosen aufgesprungen.


    Theodor Storm

    (* 14.09.1817, † 04.07.1888)

  • Ich kann mir auch kaum vorstellen, dass Storm gemeint ist. Mal ganz blöd: Auch die Bezeichnung als "Buben" würde für den Husumer Storm nicht so ganz passen. Ich hab es zwar nicht nachgeschlagen, aber ich denke, er hätte eher von "Knaben" oder "Jungen" (hm, könnte zu neu sein, das Wort) geschrieben.

    TWJ: Kannst Du das Jahrhundert wenigstens ein bisschen eingrenzen?

  • Kristin: Woher hast Du das mit den sehr jungen Mädchen? Ist zwar schon einige Jahrhzehnte vor Storm gewesen, aber da war es mal groß in Mode, sich für junge Mädchen zu interessieren, das schien fast schon dazuzugehören:). Siehe Novalis oder Hoffmann. Ich denke, das war auch nichts, was man unbedingt hätte verbergen müssen damals.

  • Storms pädophile Neigungen werden durchaus diskutiert inzwischen, er scheint mir dennoch auf das Rätsel nicht zu passen, weil er zwar auf junge Mädchen vor der Pubertät gestanden haben, keineswegs aber schwul gewesen sein soll. Und es fehlt auch der noch größere Dichter, der Storm von seinem Vater zurückpfeifen ließ. Ich habe schon über das Umfeld von Thomas Mann als dieses Objekt des jungen Pädophilen nachgedacht, konnte bislang aber nichts passendes entdecken.


    Ein schönes Rätsel und nicht leicht. Ich hoffe, die Lösung wird vom Rätselgeber nicht zu früh preisgegeben.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Zuerst einmal bedanke ich mich für das Interesse! Das könnte ja noch richtig spannend werden!


    Nein, es ist auch nicht Theodor Storm. Es ist richtig, daß Storm ein – wohlgemerkt theoretisches - Interesse an recht jungen Mädchen hatte, aber es gibt keinen Beleg dafür, daß er es ausgelebt hat. Storm war auch nicht homosexuell und ist auch nicht als literarischer Übersetzer in Erscheinung getreten.


    Nein, unser Autor hier war ein reiner Dichter und hat sich auch als solcher verstanden. Er hat keinen Roman, ja nicht einmal Erzählungen geschrieben, seine Domäne war ausschließlich die Versdichtung.


    Ganz egal, wie man zu ihm steht, man wird ihn – zusammen mit zwei anderen ganz großen Namen der deutschen Literatur - zu einem der wichtigsten Dichter der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählen müssen.


    Unser Autor ist an einem Bruchpunkt der deutschen Geschichte gestorben. Zu seinem Glück, wie manche behaupten, weil es ihn davor bewahrt haben soll, sich politisch zu kompromittieren – obwohl das keineswegs sicher ist.


    Trotzdem hat einer seiner Schüler und Gefährten, der allerdings nicht homosexuell war, später eine ganz außergewöhnliche Tat vollbracht, die auch dem Einfluß unseres Dichters geschuldet ist.


    Unser Dichter hat nie einen normalen Beruf ausgeübt, ja er hatte jahrzehntelang nicht einmal eine eigene Wohnung – ohne jemals obdachlos zu sein. Meistens war er bei anderen zu Besuch. Er hat mit seinen Gedichtbänden wenig verdient und folglich immer von Spenden, Almosen, Zuwendungen und Schenkungen gelebt, was aber bedeutet, daß ihn einige wichtige und wohlhabende Leute sehr geschätzt haben.

  • Unser Dichter hat nie einen normalen Beruf ausgeübt, ja er hatte jahrzehntelang nicht einmal eine eigene Wohnung – ohne jemals obdachlos zu sein. Meistens war er bei anderen zu Besuch. Er hat mit seinen Gedichtbänden wenig verdient und folglich immer von Spenden, Almosen, Zuwendungen und Schenkungen gelebt, was aber bedeutet, daß ihn einige wichtige und wohlhabende Leute sehr geschätzt haben.

    Dieser Abschnitt träfe auch auf J.M.R. Lenz zu. Allerdings hat er auch Dramen geschrieben, lebte nicht im 20. Jh. und hat sich vor allem dadurch ausgezeichnet, dass er Goethes abgelegte Geliebte haben wollte. Also nicht schwul. Aber mal schauen, wer es sein könnte.

  • Ein Schnorrer? Da fällt mir gleich Peter Hille ein, aber der kann es auch nicht sein, denn von dem gibt es auch Prosa. Gestorben Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre? Das ist immerhin schon mal ein Hinweis.

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    Emanuel von Bodmann


  • Lenz war nicht homosexuell und Peter Hille wohl schon ein Obdachloser und Clochard, was unser Autor, der ja immer sehr würdig, gestylt würde man heute sagen, und gepflegt aufgetreten ist, nie war.


    Alle Bilder von unserm Autor sind kunstvoll stilisierte Portraits, ich kenne überhaupt keinen Schnappschuß von ihm oder ein Bild, das ihn relaxed oder lachend oder fröhlich zeigen würde. Er blickt ausschließlich ernst und würdig.


    Nochmal: unser Dichter hat einen eingeschworenen Kreis um sich gebildet, in dem eine vergeistiget Homosexualität, die Verehrung der Antike und der Renaissance zu einer Art Ersatzreligion wurde.


    Diese Leute haben sich als eine Art von geistiger Elite gesehen, die das Beste repräsentiert, was die deutsche Kultur hervorbringen kann, weshalb einem von Ihnen, der heute viel berühmter als unser Dichter ist, genau dieses Elitebewußtsein die Kraft zu einer singulären Tat gegeben hat, die diesem Mann allerdings sein Leben gekostet hat.

  • Stefan George. Mit hoher Wahrscheinlichkeit! ;)

    Hugo von Hofmannsthal war eines seiner juvenilen Opfer.


    Graf Stauffenberg, der Hitler-Attentäter, war Mitglied seines illustren Kreises.

  • Stefan George. Mit hoher Wahrscheinlichkeit! ;)

    Hugo von Hofmannsthal war eines seiner juvenilen Opfer.


    Graf Stauffenberg, der Hitler-Attentäter, war Mitglied seines illustren Kreises.

    So ist es! Stefan George! :dhoch


    Und ganz egal, wie wir ihn sehen, einige der schönsten Verse überhaupt stammen von diesem komischen Typ:



    "Komm in den totgesagten park und schau:

    Der schimmer ferner lächelnder gestade -

    Der reinen wolken unverhofftes blau

    Erhellt die weiher und die bunten pfade."


    Oder:


    "Ich darf so lange nicht am tore lehnen ·

    Zum garten durch das gitter schaun ·

    Ich höre einer flöte fernes sehnen ·

    Im schwarzen lorbeer lacht ein faun.


    So oft ich dir am roten turm begegne

    Du lohnest nie mich mit gelindrem tritt

    Du weisst nicht wie ich diese stunde segne

    Und traurig bin da sie entglitt."


    Oder:


    "Ich fahre heim auf reichem kahne ·

    Das ziel erwacht im abendrot ·

    Vom maste weht die weisse fahne

    Wir übereilen manches boot.


    Die alten ufer und gebäude

    Die alten glocken neu mir sind ·

    Mit der verheissung neuer freude

    Bereden mich die winde lind."

  • Wenn auch zutiefst gegen den Krieg eingestellt, unpolitisch war er keineswegs:


    Kehrt wieder kluge und gewandte väter!

    Auch euer gift und dolch ist bessre sitte

    Als die der gleichheit-lobenden verräter.

    Kein schlimmrer feind der völker als DIE mitte!

  • :!oo)Die Lorbeeren gebühren aber nicht mir, TWJ, sondern meiner Beraterin C. In der Stuttgarter Landesbibliothek gibt es zu George und seinem seltsamen George-Kreis übrigens ein eigenes Archiv, sagt sie mir. Räusper, bin ich jetzt ein Cheater? :sonne