Protagonistenlahmheit

  • Nein, Monika, das ist mir gottseidank bisher noch nie passiert. Wenn einer zwischendurch lahm wird, dann bin ich das, und das passiert leider viel zu häufig.

    Vielleicht liegt es daran, dass ich das bis dahin Geschriebene permanent überarbeite. An manchen Tagen überarbeite ich stundenlang, ehe ich den ersten neuen Satz schreibe. Aber wenn mir eine Formulierung nicht gefällt, eine Pointe nicht sitzt, oder ich keinen passenden Cliffhänger finde für eine Stelle, an der einer sein sollte ... oder ... oder ... Ich schaffe es einfach nicht, den Mist einstweilen Mist sein zu lassen und zunächst einmal die Geschichte zu Ende zu erzählen.

    Immerhin konnte ich mich bislang noch stets auf meine Protagonisten verlassen. Wenn es denen zu lange dauert, dann veranstalten die in meinem Kopf so lange Tamtam, bis ich weiterschreibe.:slz

  • Komischerweise waren jetzt ein, zwei dabei, die von Anfang an lahm waren und gar nicht erst zum Leben erwachen wollten. Bei einem hat sich auf der Hälfte herausgestellt, dass er "in Wirklichkeit" schon tot ist, und als mir das klar wurde, werde er in der Rückschau lebendig. Das war seltsam. Die andere ist als alte Frau immer ein bisschen lahm gewesen und auch geblieben, aber deren Rolle ist auch in der Vergangenheit wichtiger, und da spurt sie einigermaßen. Aber plötzlich lahm geworden, zugemacht? Nee. Worauf führst du das zurück?

  • Monika

    Du könntest den Protagonisten mit einem Ereignis (Schicksalsschlag, Erbe, usw) oder einem Sinneswandel (Wacht morgens auf und hat das Gefühl eine Reise nach Namibia machen zu müssen), vielleicht wieder aufwecken. Oder er/sie lernt einen total chaotischen Menschen kennen, der das bisherige Leben total auf den Kopf stellt.

  • Sollte mir das passieren, dass ein Protagonist komplett zumacht, würde ich als Erstes versuchen, das wie in einer freundschaftlichen Beziehung zu handhaben: „Was ist los mit dir? Du bist schon die ganze letzte Zeit über so knatschig. Redest kaum noch mit mir. Willst mir nicht mal einen Grund dafür nennen. Und ich bin mir keiner Schuld bewusst. Also halt ich’s fürs Beste, dass wir uns ein paar Tage nicht sehen.“ Aber während dieser Zeit würde ich mich selbst besonders intensiv beobachten. Es könnte ja sein, dass ich derjenige bin, der nix mehr erzählen will, zum Beispiel, weil ich gedanklich mehr und mehr mit anderen Dingen beschäftigt bin und der andere sich daraufhin notgedrungen zurückzieht.

  • also: ich hab wirklich gesagt, mach ein paar Tage deinen Kram alleine und morgen, Montag, sprechen wir uns wieder. Und ja, es kommt Chaotisches auf sie zu, dass auch das Ende sein soll, nur wir können uns nicht einigen, wie wir das hinkriegen. Einfach wäre es, schnüffelnd-tränenreich zu agieren, das hatte sie mir vorgeschlagen und dann die Schotten dicht gemacht, weil ich das nicht will. Nun müssen wir uns in der Mitte treffen, aber zwischendurch muss wohl- wo ist das Tempo?- geschnüffelt werden. Ich weiß, Madame ist bockig-stur, auch in ihrem Alter, ich muss sie mit etwas locken, damit wir endlich am Ende in die Pötte kommen.

  • Hallo Monika,


    mein Tipp ist: aufschreiben!

    Frag Deine Figuren in einem fiktiven Interview, was los ist.

    Ich weiß, das klingt ziemlich schräg, und ich fühle mich auch immer ein bisschen bescheuert, wenn ich zu diesem Trick greife. Schließlich bin ja ich es, die die Figuren erfindet. Aber es funktioniert dann doch meist ganz gut.


    Jürgen P.: Schreibst Du mit Abgabetermin? Bei meinem ersten Roman habe ich das nämlich noch genauso gemacht wie Du. Aber seit ich Termine habe, kann ich mich auch erst mal mit der zweitbesten Lösung zufriedengeben. Wenn alles steht, überarbeite ich dann. Denn, ja, ich bin so eine Art Überarbeitungsjunkie.

  • Zweifellos ist das Sich-in-der-Mitte-treffen im alltäglichen Miteinander oft die beste Lösung. Aber am Ende einer Geschichte? Ich weiß nicht recht. Möglicherweise wäre damit erst recht keiner zufrieden. Wie wär’s denn, wenn Madame ihren tränenreich-schnüffelnden Auftritt kurz vor dem Ende bekäme, und dann passiert irgendwas Ungewolltes, aber Saukomisches und alles entlädt sich in einem lauten Lachen? Natürlich weiß ich nicht, ob das zur Geschichte passen würde. Aber Chaos und Lachen sind für mich potentielle Freunde.


    Anja Bislang „genieße" ich den Luxus, ohne Termindruck schreiben zu können. Aber die Frage interessiert mich brennend, wie ihr es geschafft habt, von diesem immensen Überarbeitungsdruck noch während des Scheibens loszukommen. Vielleicht können wir das ja mal in einem anderen Thread diskutieren.

  • ja Jürgen, dass können wir doch machen, ausführlicher darüber zu schreiben. Also, ich bin heute sechs Seiten weitergekommen und grübele immer noch: Jetzt kommt ein Knall, damit hat niemand gerechnet, eigentlich einer, der wieder weit zurückführt, kannste also einen Schlag dabei kriegen und ich lasse eine sterben .. wäre schön dramatisch und würde auch passen ... oder ich lasse Freude über diesen plötzlichen Besuch kommen, aber das schmeckt mir nicht so richtig. (Besuch ist der Sohn, den die wiedergefundene Schwester hat, der Sohn des Geliebten beider Schwestern vor langer Zeit) ... Es ginge auch Freude, Erschrecken der anderen Schwester, weil der Sohn dem Einstigen so ähnlich sieht, versuchter Umzug, aber dann alles zuviel: Tod der wiedergefundenen Schwester.

  • Hallo Jürgen,


    ich antworte Dir hier auf Deine Frage, wenn es jemanden stört, weil er/sie meint, ich würde die Ausgangsdiskussion unterbrechen, bitte melden!


    Bei mir ist das ganz einfach: Ich brauche Zeitdruck.

    Solange man mich machen lässt, komme ich zum einen kaum in Gang, zum anderen überarbeite ich dann Texte so lange, bis sie statt besser wieder schlechter werden. Und in gewisser Weise hatte ich auch bei meinem ersten Roman diesen Zeitdruck, denn ich habe ihn in der Zeit geschrieben, als ich für meinen Sohn sogenanntes "Kinderbetreuungsgeld" bekommen habe. Das war eine Summe, analog zum Karenzgeld (ich glaube, in Deutschland heißt das Betreuungsgeld, bin mir aber nicht sicher). Damals gab es das in Österreich auch für Freiberufler, ich weiß gar nicht, ob diese Regelung immer noch besteht, mein Sohn ist jetzt 15. Das war zwar ein eher kleiner Betrag, er hat es mir aber möglich gemacht, mich für zweieinhalb Jahre nicht um mein Einkommen kümmern zu müssen. Mein Sohn war ab einem Jahr vormittags in der Krabbelstube (supergute Betreuung hier in Ö, eine Kindergärtnerin für 4 Kinder). Und in dieser Zeit habe ich geschrieben. Ich wusste aber auch, dass dieser Luxus aufhören würde, wenn mein Sohn zweieinhalb Jahre alt wird. Die Zeit hat mir aber genügt, denn ich habe ja in den Stunden nichts anderes gemacht, als an dem Roman zu arbeiten.


    Und heute ist der Zeitdruck, den ich durch den Abgabetermin habe, nicht nur ein Segen, sondern wahrscheinlich der einzige Garant dafür, dass Bücher auch fertig werden:). Das gilt für Sachbücher, die ich ja vor allem schreibe, genauso wie für Fiktionales.


    Ich kann damit meine eigene Arbeit nicht so sehr in Frage stellen, wie ich das eigentlich machen würde. Vor der Geburt meines Sohnes war ich freie Journalistin für Tageszeitungen, da war der Zeitdruck sogar noch größer. Für mich persönlich war's immer der beste Arbeitsmodus.


    Und, ehrlich, meistens sind Texte nach dem dritten Überarbeitungsgang auch schon "passabel":). Zu viel Herumfeilen ist oft nicht mal nötig.

  • Monika

    Ja, wenn Madame am Ende sterben soll, sind Lachtränen wohl eher keine Option.

    „... und ich lasse eine sterben ... wäre schön dramatisch und würde auch passen ...“ Das klingt für mich so, als wäre die Entscheidung unbewusst bereits gefallen, trotz aller Grübelei deinerseits. Und sich in der Mitte zu treffen, wird schwierig werden, wenn du deine Protagonistin sterben lassen willst und sie will ihr schnüffelnd-tränenreiches Finale, und zwar quicklebendig. Entweder es wird gestorben oder es wird gelebt. Da ist nicht viel Spielraum für einen Mittelweg. Es sei denn, du schreibst eine Fortsetzung und lässt sie erst am Ende von Teil zwei sterben. Und dass sie zugemacht hat, nix mehr erzählen will, kann ich inzwischen gut verstehen. Würd ich genauso machen, wenn man mich auffordern würde, am Ende doch bitte freundlichst im Dienst einer größeren Sache zu sterben.:)


    Anja

    Danke für deine ausführliche Antwort, Anja.

    Das mit dem Zeitdruck hat bei mir bislang zuverlässig nur bei der jährlichen Steuererklärung funktioniert. Mangels Erfahrung vermag ich natürlich nicht zu sagen, ob es für mich auch beim Schreiben so wäre. Wie ich mich kenne, würde ich vermuten nein, und dass ich stattdessen eher Panikattacken bekäme und darüber komplett den Zugang zu meiner Kreativität verlöre.

    Aber mein Arbeiten ist natürlich sehr ineffizient. Durch meine Überarbeitungssucht, anders kann ich es nicht nennen, verliere ich wahnsinnig viel Zeit. Ich denke, am sinnvollsten wird es sein, mir immer wieder die Frage zu stellen, warum ich mich wider besseres Wissen an diesen Perfektionsdrang zum falschen Zeitpunkt klammere. Vielleicht eine Art Vermeidungsstrategie??!?

  • Hallo Jürgen,


    ja, ich denke auch, man vermeidet damit die Abgabe eines Textes. Und damit auch das Risiko, dass einem jemand sagen könnte, der Text sei unter aller Kanone :).

    Ich konnte schon immer gut unter Zeitdruck arbeiten. Aber der Journalismus war da zugleich auch noch mal eine gute Schule. Ich habe nämlich gemerkt, dass ich mir soweit vertrauen kann: Ich bekomme auch mit maximal drei Überarbeitungen lesbare Texte hin. Aber ich weiß auch, dass ich mich mit den Abgabefristen selber austrickse, weil ich sonst nie fertig werden würde. Oder mich gar nicht erst konzentriert an die Arbeit setzen würde. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man schreiben kann, wenn man es muss, weil Abgabe.

    Leider weiß ich von mir aber auch, dass mein zweites Problem neben dem Überarbeiten das Gar-nicht-erst-in-Gang-Kommen ist. Ohne Abgabetermin geht nicht viel. Ich werde eben NUR unter Zeitdruck produktiv. Das war auch bei meinen Uni-Abschlüssen nicht anders. Da habe ich mich sogar selber verpflichtet, indem ich mich einfach angemeldet habe. Dann lief die Frist. Und ich hatte den nötigen Zeitdruck. Was übrigens nicht heißt, dass ich mich über eben jenen Zeitdruck nicht SEHR beklagt hätte. War ja auch fies, so ein Termin:). Den allergrößten Teil meiner Diss. habe ich geschrieben, als ich schwanger wurde. Ich wusste, dass ich die vor der Entbindung fertig haben wollte. Nachher bin ich oft dafür bewundert worden, dass ich das "trotz" Schwangerschaft noch geschafft habe ... Aber es war ja genau umgekehrt: Ich habe es WEGEN der Schwangerschaft hinbekommen^^.

  • ?!?

    Monika

    Ja, wenn Madame am Ende sterben soll, sind Lachtränen wohl eher keine Option.

    „... und ich lasse eine sterben ... wäre schön dramatisch und würde auch passen ...“ Das klingt für mich so, als wäre die Entscheidung unbewusst bereits gefallen, trotz aller Grübelei deinerseits. .:)

    Ja Jürgen, es scheint mir auch eine unbewusste Entscheidung zu sein. Da mir nur noch 1-2 Kapitel fehlen, umgehe ich nochmal das Sterben und überarbeite bis dahin das Manuskript ein letztes Mal ... Aber dann!