Tom im "Literaturcafé" über politische Korrektheit beim Schreiben und benachbarte Themen

  • Noch eine Ergänzung, Enno.


    Ich bewege mich nicht, erklärst Du. Okay, mag sein, obwohl ich das (vor allem in der Innenbetrachtung) anders sehe. Aber wer von den hier Diskutierenden hat sich "bewegt"? Du? Heike? Didi? Gar "Muriel"? Irgendwer? Ich habe die > 200 - zum Teil ziemlich langen - Antworten in diesem Thread soeben nocheinmal gelesen, aber ich habe nichts gefunden, das sich nach Bewegung anfühlt. Warum also meinst Du, das von mir verlangen zu können? Weil mein Standpunkt falsch ist? Oder aus welchen Gründen?


    (Mein Ironiedetektor ist übrigens lädiert, aber er hat doch ein, zwei Male bei Dir angeschlagen.)

  • Enno, falls Du noch mitliest. Du musst nicht (wieder) meinen ganzen Sermon abarbeiten, aber auf meine letzte Frage würde mich Deine Antwort doch sehr interessieren. Danke!

  • Ich bewege mich nicht, erklärst Du. Okay, mag sein, obwohl ich das (vor allem in der Innenbetrachtung) anders sehe. Aber wer von den hier Diskutierenden hat sich "bewegt"? Du? Heike? Didi? Gar "Muriel"? Irgendwer? Ich habe die > 200 - zum Teil ziemlich langen - Antworten in diesem Thread soeben nocheinmal gelesen, aber ich habe nichts gefunden, das sich nach Bewegung anfühlt. Warum also meinst Du, das von mir verlangen zu können? Weil mein Standpunkt falsch ist? Oder aus welchen Gründen?


    (Mein Ironiedetektor ist übrigens lädiert, aber er hat doch ein, zwei Male bei Dir angeschlagen.)

    Hallo Tom.


    Ich meine nicht, irgendwas von dir verlangen zu können, ebenso wenig, das getan zu haben. Zwar verstehe ich, dass du das so verstanden hast. Aber der Witz an meinem letzten Post war, dass ich ihn trotz des ironischen Tons ernst gemeint habe. (Ok, bis auf das mit der genialen Metapher.) Ich habe sozusagen nur beschrieben, was ich wahrzunehmen glaube. Und Mutmaßungen darüber angestellt, was in jemandem vorgehen könnte, der in einem 200-Post-Thread am Ende die ganz großen Buchstaben rausholt. Mir war schon klar, dass die so nicht stimmen. Aber es waren ja auch nur Mutmaßungen.


    Dein Standpunkt ist nicht falsch. In meinem Universum kann er gar nicht falsch sein. Aber richtig auch nicht. Es geht nicht um den Standpunkt; mir jedenfalls nicht.


    Es geht mir nicht um deine Meinung. Es geht mir um deine Gewissheit.


    Wenn sich jemand mit etwas sehr lange und intensiv auseinandergesetzt hat und seine Meinung gut begründet ist und genau deshalb jetzt auch feststeht, und zwar bis in die feineren Verästelungen hinein, bis in die einzelne Formulierung, bis ins einzelne Wort: das nenne ich Selbstgewissheit.


    Es ist kein Zufall, dass wir an bestimmten Punkten des Diskurses um einzelne Worte gerungen haben.


    Mich stören Meinungen, die anders sind als meine, eher nicht. Mich stören Gewissheiten.

  • Man kann Meinungen auch so formulieren, dass sie als Gewissheiten interpretiert werden. Und, nein, keineswegs bis ins einzelne Wort. Das ist eine Unterstellung. Oder eine Lesart. Vielleicht eine absichtliche.


    Ich fand die Randdiskussion über einzelne Worte sehr irritierend, aber auch erhellend.


    Ich lese gerade "Die Nickel Boys" von Colson Whitehead, das in den Sechzigern beginnt, als das Civil Rights Movement dank M. L. K. Fahrt aufnimmt, aber noch eine Form von Ungleichbehandlung Alltag ist, bei der sich 60 Jahre Distanz viel, viel zu nahe anfühlen. Whitehead erzählt aus der Perspektive seiner Hauptfigur, des jungen Elwood, der in eine Erziehungsanstalt gesperrt wird, weil er in einem gestohlen Auto getrampt ist, aber natürlich nichts davon wusste, dass das Auto geklaut war. So war das damals, wenn man schwarz war. So ist es in vielen Regionen - auch der U.S. of A. - heute noch.

    Der Roman verwendet ganz selbstverständlich die Sprache seiner Zeit.


    Matt Ruff, der ein "weißer alter Mann" (* 1965) ist, hat in seinem letzten und aus guten Gründen gefeierten Roman, "Lovecraft Country", fast die gleiche historische Situation reflektiert, und sich ebenfalls der dazugehörigen Termini bedient, und zwar nicht nur in der direkten Rede. Wie auch sonst?


    Hier wurde angemerkt, die Bereinigung von Sprache und historischer Literatur würde u.a. dem Zweck dienen, zu verhindern, dass sich das in den Gehirnen der Kinder festsetzt, die das hören. Das war als Pro-Argument für die Bereinigung gemeint. Ich finde, dass das eher ein - auch noch gutes - Gegenargument ist. Es muss sich unbedingt auch heute noch in den Gehirnen der Kinder festsetzen, was die Menschen getan haben und immer noch tun, was sich einige sogar für die Zukunft wünschen. Wir tilgen die Bösartigkeiten nicht, indem wir nicht über sie reden, ihren Termini ausweichen, und die korrigierte Sprache in die Vergangenheit transportieren. Ganz im Gegenteil, möglicherweise verniedlichen wir rückwirkend, bauen Reiz auf, machen interessant, was nur erschreckend sein sollte. Wenn Astrid Lindgren den Vater von Pippi Langstrumpf "Negerkönig" genannt hat, dann spiegelt das die Strukturen und die Zeit, in der die Frau ihre Bücher geschrieben hat, dann zeigt es den rassistischen Kontext, dem sich selbst eine Autorin wie Frau Lindgren nicht entziehen konnte. Wer das beschönigt, tut unrecht. Und es ist tatsächlich ein guter Anlass, um Kindern zu erklären, wie Menschen zu jedem Zeitpunkt der Geschichte jede Gelegenheit genutzt haben, andere zu unterdrücken.


    Das hat mit Etymologie nichts zu tun, Herr Jochbein. Und es geht auch nicht darum, Worte salonfähig zu machen, gar in einen Wettstreit für ihren ungestraften, möglichst häufigen Einsatz einzutreten, sondern darum, auf den Kontext zu achten. Auf Sinn und Intention. Wenn man das möchte, wenn es ein Anliegen ist. Und nicht, weil man dazu gezwungen wird.

  • Ich glaube nicht dran dass die Welt besser wird, wenn wir bestimmte Wörter nicht mehr verwenden. Da hat so ein bisschen was von "Du darfst nicht fluchen", was nichts daran ändert, dass die damit verbunden Gefühle plötzlich nicht mehr vorhanden sind. Sprache lebt und ist einem ständigen Wandel unterworfen. Es ist aber der Volksmund, der regiert, nicht die Soziologen.


    Trotzdem sehe ich durchaus Anlass, bei Werken wie bei Pipi Langstrumpf das Wort Negerkönig durch Südseekönig zu ersetzen, auch wenn man bei dieser Konstruktion zurecht fragen kann: Wieso wird ein dicker weißer Mann König einer Südseeinsel? Sind die Einheimischen zu blöd einen eigenen König zu stellen? Was uns sofort zum nächsten Problem führt: Ein König ist keine demokratische Veranstaltung. Wieso sind die Menschen dort keine zertifizierten Bio-Kaffeebauern die in freien Kollektiven arbeiten, was wiederum die Frage aufwirft: Warum stellen sie keine Computerchips her? Hält der oder die AutorIn Die Südseeinsulaner für geistig minderbemittelt ? Ein Fettnapf führt zum nächsten.


    Ich übertreibe hier, aber es sind eher die Narrative, über die man sich Gedanken machen sollte. Das Ersetzen einzelner Worte oder durch Gendern wird aber meiner Meinung nach nichts an den Zuständen ändern.

    In zeitgeschichtlichen Werken hingegen, wie bei dem von Tom genannten Nickel Boys, würde ich es rundweg ablehnen. Denn das würde den Sinn des Gesagten verfälschen. Keine Sprache der Welt kennt nur neutrale Wörter.

    Ich denke aber nicht, dass man ein Werk verfälscht, wenn man einige Wörter anpasst – zumindest bei den Büchern, bei denen diese Begriffe keine zentrale Rolle spielen. Bei allen anderen würde es den Sinn entstellen.

    Die Zeit scheint mir auch ein Faktor zu sein. Ich hätte nichts dagegen, alles konsequent durchzugendern, wenn sich dabei mein Sprachgefühl nicht dagegen sträuben würde. Es ist die Aufgabe der Jüngeren, dies anzunehmen. Das muss sich aber erst zeigen: Menschen sind bequem und eine Sprache gewinnt selten, wenn Begrifflichkeiten länger und umständlicher werden.


    Ich sehe die ganze Diskussion relativ gelassen. Die Zeit wird es zeigen. Insofern habe ich die Diskussion, sowohl bei Montsegur, Literaturcafé und her relativ entspannt verfolgt. Hinterher bleibt ohnehin nur ein Rauschen.

  • Trotzdem sehe ich durchaus Anlass, bei Werken wie bei Pipi Langstrumpf das Wort Negerkönig durch Südseekönig zu ersetzen, auch wenn man bei dieser Konstruktion zurecht fragen kann: Wieso wird ein dicker weißer Mann König einer Südseeinsel? Sind die Einheimischen zu blöd einen eigenen König zu stellen? Was uns sofort zum nächsten Problem führt: Ein König ist keine demokratische Veranstaltung. Wieso sind die Menschen dort keine zertifizierten Bio-Kaffeebauern die in freien Kollektiven arbeiten, was wiederum die Frage aufwirft: Warum stellen sie keine Computerchips her? Hält der oder die AutorIn Die Südseeinsulaner für geistig minderbemittelt ? Ein Fettnapf führt zum nächsten.


    Er hätte aber auch die Südseeinsulaner vor Piraten gerettet haben können und oder hat sich durch besondere Leistungen in die Herzen der Insulaner gekämpft und als der König starb, dann bei der Wahl zum neuen König die meisten Sympathiepunkte gewonnen haben.

  • Er hätte aber auch die Südseeinsulaner vor Piraten gerettet haben können und oder hat sich durch besondere Leistungen in die Herzen der Insulaner gekämpft und als der König starb, dann bei der Wahl zum neuen König die meisten Sympathiepunkte gewonnen haben.

    Worauf ich hinaus wollte, ist Folgendes: Wenn du an gewisse Menschen gerätst, die nicht nur mit deiner Wortwahl unzufrieden sind, dann können sich ganz schnell andere Vorwürfe daraus ergeben, die sogar so weit gehen können, dass dir andere Menschen das Recht absprechen, Rastazöpfe zu tragen, weil das kulturelle Aneignung ist, was dir als Weiße(n) nicht zusteht.

    Interessanterweise kommen solche Verbote aber relativ selten von den eigentlich Betroffenen selbst, sondern oft von VertreterInnen, die sich ungefragt zu Sachwaltern einer ihrer Meinung nach guten Sache machen.


    Ein Beispiel aus meinem Umfeld.

    "Kennt ihr das Buch: Der weiße Neger Wumbaba?" (Das Buch gibt es tatsächlich.)

    "Ich möchte das N-Wort in meiner Gegenwart nicht hören."

    "Aber da Buch heißt so."

    "Mir egal. Das Wort will ich nicht hören."


    Was will man da noch diskutieren? Das ist für mich hochgradig weltfremd und überheblich.

  • Ein Beispiel aus meinem Umfeld.

    "Kennt ihr das Buch: Der weiße Neger Wumbaba?" (Das Buch gibt es tatsächlich.)

    :-)


    Hacke schreibt ja über Lieder, deren Text man falsch hört, hier Matthias Claudius:


    "Der Mond ist aufgegangen

    Die goldnen Sternlein prangen

    Am Himmel hell und klar:

    Der Wald steht schwarz und schweiget,

    Und aus den Wiesen steiget

    Der weiße Nebel wunderbar."


    ASIN/ISBN: 3888973678

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • An das Buch musste ich bei der N-Wort-Diskussion auch denken. Es ist eine Parodie und geht auf falsches Hörverständnis zurück. Der Verfasser liefert Beispiele dafür, wie man - meist als Kind - Dinge falsch versteht und wie sich das ein Leben lang festsetzt. So hier die Verballhornung von "und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar" (M.Claudius). Ich denke, soviel Humor darf man auch von Kritikern erwarten.