Hallo noch einmal,
in Bezug auf das das Zusammenleben können wir es uns doch ganz einfach machen. Das Grundgesetz garantiert gleichermaßen die Freiheit des religiösen und des weltanschaulichen Bekenntnisses. Für Gläubige und Nicht-Gläubige. Und es garantiert die ungestörte Religionsausübung. In diesem Rahmen muss man eben miteinander klarkommen, und im Großen und Ganzen klappt das ja auch ganz gut.
Tom, da liegt ein Missverständnis vor: Ich habe nicht gemeint, es gebe eine Welt, die Dir verschlossen sei. Trotzdem lassen sich eine Reihe von Phänomenen nicht beweisen, und da verweise ich erneut auf die Menschenrechte, obwohl Du das (ohne Begründung) so ablehnst. Ich habe auch nicht gemeint, dass Religion und Gefühle dasselbe seien, sondern dass sie beide dem Beweise nicht zugänglich sind. Und ich habe Verbrechen im Namen von Religion nicht gerechtfertigt. Ich reagierte nur auf Deine Ansicht, "dass wir in einer wirklich geilen Welt leben könnten, gäbe es das (das Märchen der Religion) nicht."
Leszek Kołakowski war in der Tat mal Marxist, blieb es aber glücklicherweise nicht. Er ist mit Popper einer der Philosophen, die mich am stärksten beeindruckt haben. Meine Lektüre von "If there is no God" (so das Original von "Falls es keinen Gott gibt") ist dreißig Jahe her. Ich habe nur noch die Grundpfeiler im Kopf. Der Cicero schreibt: "Kolakowski gibt eine Antwort. Er nimmt sich des Problems im Gestus eines versöhnlichen Vaters an, der die Gottesleugner ebenso versteht wie die Gläubigen. Der ewigen Suche des Menschen nach Gottheiten weist er freilich einen eigenen, hohen Wert zu. Dies sei nicht nur "funktional" oder "anthropologisch" oder "kulturell" oder "sozial" zu erklären, sondern eine erkenntnistheoretische Dimension an sich."
In einem Interview kurz vor seinem Tod mit der Welt sagte er u. a.:
"Religion kann nicht an die Stelle dessen treten, was Wissenschaft und Technologie zu lösen vermögen; sie kann uns nur zu der Überzeugung führen, dass es einen Sinn gibt, der nicht unmittelbar wahrgenommen und als wissenschaftliche Tatsache dargestellt werden kann."
"Alle großen religiösen Traditionen haben uns über Jahrhunderte gelehrt, uns nicht an eine Dimension allein zu binden – die Akkumulation von Reichtum und die ausschließliche Beschäftigung mit unserem gegenwärtigen materiellen Leben. Sollten wir die Fähigkeit verlieren, diese Distanz zwischen unseren Wünschen und Bedürfnissen aufrechtzuerhalten, wäre das eine kulturelle Katastrophe. Das Überleben unseres religiösen Erbes ist die Bedingung für das Überleben der Zivilisation."
"Offensichtlich können Einzelne hohe moralische Standards aufrecht erhalten und zugleich areligiös sein. Dass auch Zivilisationen das können, bezweifle ich. Welchen Grund gäbe es ohne religiöse Traditionen, die Menschenrechte und die Menschwürde zu achten? Was ist Menschwürde, wissenschaftlich gesehen? Aberglaube? Empirisch gesehen sind die Menschen ungleich. Wie können wir Gleichheit rechtfertigen? Die Menschenrechte sind eine unwissenschaftliche Idee."
Das Interview ist überschrieben mit: "Ich rechne nicht mit dem Tod Gottes". Sehr zu empfehlen.