Celeste NG: Little Fires Everywhere

  • Am Schluß ist das Haus der Familie Richardson bis auf die Grundmauern niedergebrannt – angezündet von der fünfzehnjährigen Tochter des Hauses. Das großzügige Anwesen in einem Stadtteil von Cleveland im US-amerikanischen Ohio ist nur noch ein rauchender Trümmerhaufen. Mrs. Richardson, die hyperordentliche, stets hilfsbereite, dauerengagierte Hauptfigur dieser Geschichte, die immer weiß, was richtig und was falsch ist, steht vor den Scherben ihrer Existenz. Das ist das Ende eines recht erfolgreichen Unterhaltungsromans der chinesisch-amerikanischen Autorin Celeste NG, der in der deutschen Übersetzung "Kleine Feuer überall" heißt und auch in Deutschland viele Leser gefunden hat.


    Das Erstaunliche an diesem Roman ist jedoch nicht sein Ende – in der Trivialliteratur brennen Burgen, Schlösser und Herrenhäuser mindestens seit Daphne du Mauriers Rebecca zu tausenden ab -, sondern die Bewertung dieser Konflagration durch die Autorin. Die sagt nämlich: das geschieht den Richardsons recht. Wer so strukturiert, wohlhabend, bürgerlich, arbeitsam und philanthropisch-wohlmeinend ist wie Helena Richardson, ihr Mann und ihre vier Kinder; wer vier dicke Autos besitzt und noch dazu einen Aufsitzmäher, eine Schneefräse und ein Riesenhaus mit Dreifachgarage hat – der hat es verdient, unterzugehen.


    Dies ist das Fazit einer Geschichte, die 1998 spielt und damit beginnt, daß Helena Richardson der alleinerziehenden Mia, von Beruf Künstlerin und alleinerziehende Mutter der fünfzehnjährigen Pearl, eine Doppelhaushälfte günstig vermietet, weil sie auf ihre freundliche, aber penetrante Art der mittellosen Mia helfen will. Die beiden Familien kommen sich daraufhin außerordentlich nahe. Mia beginnt bei den Richardsons zu putzen und ihre Tochter freundet sich mit einem der Richardson-Söhne an. Eine Zeitlang sieht es so aus, als würde eine privilegierte Familie einer weniger privilegierten aus reinem Altruismus unter die Arme greifen, was für alle gut ist. Aber der schöne Schein trügt.


    Die spätere Katastrophe beginnt vollkommen harmlos: Helena Richardsons beste Freundin Linda – ebenfalls weiß, ebenfalls wohlhabend und genauso hyperordentlich, aber weniger fruchtbar – adoptiert ein chinesisches Baby, das in Cleveland ausgesetzt wurde. Aber Lindas Mutterglück währt nur kurz, denn Bebe, die chinesische Mutter des Kindes, taucht plötzlich auf und reklamiert ihr Kind für sich. Dahinter steckt nun ausgerechnet Mia, was Mrs. Richardson erzürnt und sie anstachelt, Mias ohnehin verdächtige Vergangenheit genauer unter die Lupe zu nehmen. Und sie wird fündig: Mia, stellt sich heraus, hat einst gegen gute Bezahlung als Leihmutter für eine reiche Bankers-Familie fungiert, das Kind auch ausgetragen, es dann aber dem Banker und seiner unfruchtbaren Frau nie übergeben, sondern selber aufgezogen. Das weiß aber keiner, auch Mias Tochter Pearl nicht, der von ihrer Mutter sowieso dauernd erklärt wird, daß Väter nicht wichtig seien.


    Als eine der Richardson-Töchter mit sechzehn ungewollt schwanger wird und das Kind mit Pearls Unterstützung und Mias rührendem Verständnis abtreibt und dann auch noch Mr. Richardson, ein Anwalt, die Adoptivmutter des chinesischen Babys gegen ihre leiblichen Mutter vor Gericht vertritt und gewinnt, beginnt die Katharsis. Mrs. Richardson konfrontiert Mia mit deren Vergangenheit und schmeißt sie aus der Wohnung, muß dabei aber erfahren, daß die eigene behütete Tochter mit Mias Ermutigung heimlich abgetrieben hat, während die anderen Kinder der Richardsons wegen des Adoptionsprozesses Stellung gegen den eigenen Vater beziehen, den sie einen "Kinderräuber" nennen. Und jetzt geht alles ganz schnell: Mia und ihre Tochter flüchten aus Cleveland, während die jüngste Tochter der Richardsons das Elternhaus anzündet und danach auf Nimmerwiedersehen verschwindet.


    So weit, so trivial, könnte man sagen. Wäre da nicht der erstaunliche und durchaus ungewöhnliche Unterton, der sich durch das ganze Buch zieht und dem Leser sagt: Das normale, bürgerliche, wohlgeordnete Leben amerikanischer Vorzeigebürger ist es wert, zu Asche zu werden. Alles in diesem Buch ist besser als das Leben der Richardsons, das, daran läßt die Autorin keinen Zweifel, eine verlogene, böse, trostlose Charade darstellt.


    Mia, die kein Geld, keine Möbel und keine Anstellung hat, Männer haßt, mit ihren Eltern seit Jahrzehnten kein Wort redet, ihre Tochter über deren Herkunft stets im Unklaren läßt, weil Männer vielleicht als biologische Samenspender, nicht aber als Väter wichtig seien, ist besser als die Richardsons. Bebe, die chinesische Mutter, die weder Beruf noch Geld noch einen Mann noch eine Zukunft besitzt und ihr Kind mitten im Winter an der Feuerwache von Cleveland ausgesetzt hat, ist ebenfalls besser als jede gutbetuchte amerikanische Adoptiv-Mutter, weil Kinder zwar keine Väter, wohl aber die biologische Mutter brauchen. Und bei einer chinesischen Mutter spielt nun genau das, was bei weißen Amerikanern doch so total verpönt ist, nämlich Herkunft, Ethnie und Geschichte, sprich die kulturelle Identität, eine zentrale Rolle, welche rechtfertigt, daß die Chinesin ihr Kind bei Nacht und Nebel aus dem Haus seiner Adaptiv-Eltern holt und mit dem nach China entschwindet - obwohl sie fünf Minuten davor noch nicht einmal das Geld für ein warmes Essen hatte.


    Ebenso wichtig wie die Ablehnung bourgeoiser Wohlanständigkeit ist in diesem Buch die Befürwortung von Teenie-Promiskuität und der lockere, absolut entspannte Umgang mit der Abtreibung. Die Kinder der Richardsons sind, obwohl noch auf der High-School und damit jünger als achtzehn, alle sexuell bereits ganz schwer am Machen. Als die sechzehnjährige Lexie von ihrem schwarzen Freund - aus selbstverständlich bester Familie - schwanger wird, ist der mit einfühlsamer Detailfreude geschilderte Besuch in der Abtreibungs-Klinik eine organisatorische und ethische Lappalie, nicht problematischer als eine Zahnreinigung. Bei Bauchschmerzen am Folgetag hilft Mia mit Kräutertee.


    Feminismus, Antikapitalismus und der Haß auf das weiße, republikanische Amerika sind also in der Unterhaltungsliteratur angekommen. Die Ideen, die Celeste NG hier in Romanform verkündet und von einem klebrigen allwissen Erzähler, der dem Leser verbindlich sagt, was der zu denken hat, vortragen läßt, sind uralt. Sie stammen aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, aus der Frauenbewegung und dem Populär-Marxismus. Daß diese Ideen irgendwann den Weg in die Trivialliteratur finden würden, war klar, denn sie dominieren Politik, Journalismus und den liberalen gesellschaftlichen Diskurs seit Jahren. Ebenso klar ist, daß kein Mensch im echten Leben das prekäre, halt- und bindungslose Leben Mias oder gar Bebes führen will. Aber Literatur und Leben waren ja noch nie das gleiche.



    ASIN/ISBN: 9780349142920

  • Gegenmeinung:

    I know!


    Offen gestanden: Ich habe das Buch aufgrund deiner Rezension gelesen - die mir, wie fast alle deine Rezensionen, gut gefallen hat und die ich, auf ihre Art, vollkommen plausibel finde.


    Ich lese öfter Bücher, die du rezensiert hast, und bin dir für deine Rezensionen dankbar, weil ich auf viele Bücher, die du liest, von mir aus nie gekommen wäre.


    Übrigens ließe sich an diesem Buch sehr schön zeigen, warum der allwissende Erzähler wieder so dermaßen beliebt ist und welch offen ideologische Funktion er in der - Trivialliteratur - hat.


    Trotz meiner vollständigen Ablehnung all dessen, was Celeste NB hier propagiert, fand ich das Buch spannend und gut zu lesen.

  • Hi, TWJ.


    Das freut mich, wenn ich Leute dazu bringe, Bücher zu lesen, die sie sonst nie wahrgenommen hätten, umso mehr bei Dir, den ich für ziemlich biobliophil halte. Es ist schön, wenn die Buchbesprecherei diese Wirkung hat.


    Aber ich kann Deiner Schlussfolgerung bei diesem Buch nicht zustimmen. Du betonst mehrfach, die Autorin würde Buch ziemlich klar durchblicken lassen/mitteilen, dass das Leben der Richardsons in Schutt und Asche gelegt gehört, dass das okay ist, sogar richtig und konsequent. Ich habe dieses klare Bekenntnis nicht herausgelesen, eher eine unaufgeregte, natürlich auch frustrierte, aber zu einem gehörigen Teil respektvolle Kritik an dieser Vorort-Mittelschicht, die sich so gerne hinter Fassaden versteckt, hinter Charity und plakativem Liberalismus, der an der eigenen Haustür aufhört. Es geht in "Kleine Feuer überall" um Rassismus, aber es geht wenig um Rache - sondern eher, um die Alliteration fortzuführen, um Resignation. Denn dieser wohlmeinende Rassismus, dieses Integrieren, aber bitte nur bis zu einer gewissen Grenze, das ist nach meiner Lesart des Buches aus Sicht der Autorin der schlimmste. Was aber nicht bedeutet, dass diese Leute bestraft und ausgemerzt gehören. Denn wir alle sind diese Leute: Komfortsozialisten. Teilen, aber nur so lange, wie es nicht weh tut.


    Anyway, jeder liest heraus, was sich ihm offenbart.

  • (...) fand ich das Buch spannend und gut zu lesen

    Da wäre ich nicht drauf gekommen, nach deiner Rezension.


    Btw, ist es eigentlich eine Rezension oder mehr ein als Rezension verkleidetes persönliches Statement (über die Ideen, die den gesellschaftlichen Diskurs dominieren)?


    OK, meinetwegen eine Rezension. Aber vielleicht solltest du dann noch ein bisschen feilen an den Feinheiten. Auch ein Verriss muss nicht unbedingt spoilern. Auch der Ärger über ein Buch kann gut geschrieben sein. Gibts wunderbare Beispiele.


    PS. Ich war nicht an einer Gesamtschule, ich bin. Das ist mir unheimlich, wie schnell du mich durchschaut hast.

  • Zitat

    biobliophil

    ach, immer diese Ökoleser mit ihren vergilbten Büchern.


    Meine Lesart deckt sich mehr mit Toms. Mias Lebensweise wird ja nicht glorifiziert, nicht als die richtige angepriesen. Sie wird einfach nüchtern erzählt, beschrieben, gegenübergestellt.


    Für eine Rezi wird mir hier zu viel verraten, ist wohl mehr eine Nachbesprechung.