Hans Werner Richter: Im Etablissement der Schmetterlinge

  • ASIN/ISBN: 3803124999


    Hans Werner Richter ist derjenige, der die Gruppe 47 erfunden hat. Viele bekannte Schriftsteller der Nachkriegsjahre haben in dieser Vereinigung eine erste Plattform bekommen. Richters Werke sind in Taschenbuchausgaben immer noch über den Wagenbach-Verlag präsent, so auch seine Erinnerungen an einige der Teilnehmer dieser »Gruppentreffen«: Ilse Aichinger, Carl Amery, Alfred Andersch, Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll, Milo Dor, Günter Eich, Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass, Wolfgang Hildesheimer, Walter Höllerer, Walter Jens, Uwe Johnson, Joachim Kaiser, Barbara König, Walter Kolbenhoff, Hans Mayer, Marcel Reich-Ranicki, Wolfdietrich schnurre, Martin Walser und Peter Weiss. Richter schildert seine persönlichen Erfahrungen mit den jeweiligen Autoren und die sind teilweise kurios, teilweise liebevoll, teilweise boshaft (wobei Richter diese Boshaftigkeit gut kaschieren kann), teilweise überraschend. Lesenswert sind alle Beiträge, zum Beispiel der über den »streitsüchtigen Alemannen Martin Walser«, oder den den »Geld liebenden« Heinrich Böll. Am besten hat mir die »Reise nach Rußland mit Hans Magnus Enzensberger« gefallen. Es ist unglaublich, wie Richter sich selbst dabei auf die Schippe nimmt, etwa in der Schilderung, wie er sich von den Russen unter den Tisch saufen lässt, am anderen Tag seine Zahnprotese nicht finden kann und mit halben Gebiss und noch keineswegs nüchtern eine Rede halten muss, die eisiges Schweigen im Saal hervorruft. »Hans Magnus« ringt ihm ab, die erfolgte Einladung an einer Lyriklesung in Moskau an ihn abzutreten, was Richter widerstrebend tut. Was dann passiert, liest sich so:


    Zitat

    Es lasen Rumänen, Engländer, Bulgaren, und dann kam zu meiner Überraschung Hans Magnus dran. Der Präsident kündigte ihn mit erhobener Faust, ich sah es von hinten, offensiv, kämperisch an, und Kostja übersetzte es mir. Er sagte, und ich kann es nur in dieser Übersetzung wiederholen: »Und jetzt liest Hans Magnus Enzenberger, der Organisator und Chef der antifaschistischen Kampfgruppe 47.«

    S. 113


    Wer Enzensbergers letztes Buch (Überlebenskünstler) gelesen hat, wird daraus erfahren haben, dass die Gruppe 47 seiner Meinung nach überbewertet wird. Vielleicht eine Retourkutsche auf dieses Bild, das Richter in diesem Artikel von ihm zeichnet?


    Ein lesenswertes Buch, auch heute noch, 51 Jahre nach dem Ende der Gruppe 47. Aber auch die anderen seiner Bücher (Spuren im Sand, Geschichten aus Bansin, Ein Julitag u.a.), vielleicht weniger die Tagebücher, die erst vor ein paar Jahren veröffentlicht wurden. Die lassen ihm möglicherweise auch im Grab keine Ruhe.

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    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann