Eröffnen Podcasts einen neuen Erzählkosmos?

  • Eröffnen Podcasts einen neuen Erzählkosmos?

    Im Jahr 2015 soll in Großbritannien das Podcasting erfunden worden sein. In der BBC-Podcast-Serie "My dad wrote a porno" wurde das neue Medium erstmals konsequent als Erzählform genutzt. Seit Anfang 2018 gibt es auch einen deutschen True-Crime-Podcast: In der Dunklen Heimat von Berni Mayer, produziert von Antenne Bayern, wird in acht Folgen der Mehrfachmord in Hinterkaifeck podcastisch dargestellt.

    Hier kurz einige Besonderheiten von Podcast-Erzählungen:

    - Sie sind eine Mischung aus Dokumentation und Fiktion

    - sie erzählen aus radikal subjektiver Ich-Perspektive,

    - der reale Autor erzählt selbst (zumindest in der "Dunklen Heimat"),

    - es treten keine Schauspieler oder professionelle Sprecher auf, sondern Laien,

    - es wird viel O-Ton verwendet wie in einer Reportage,

    - es werden Geräusche und Musik eingespielt,

    - es wird langsam erzählt, ohne viel Schnitte,

    - es wird improvisiert,

    - sie sind nicht so "kunstvoll" wie Hörspiele, sondern die Personen sprechen frei, Störgeräusche etc. werden nicht unterdrückt,

    - die Produktionsbedingungen werden hörbar gemacht,

    - sie werden in der Regel vom Smartphone gehört,

    - sie haben eine Länge von ca. 45 Minuten (=Schulstunde!),


    Ich finde, das ist eine superspannende Sache!

    ASIN/ISBN: 395494104X


    "schönheit ist das versprechen, daß das werden kann, was wir uns wünschen." (Ronald M. Schernikau: Die Tage in L.)

    Einmal editiert, zuletzt von Jürgen ()

  • Dieser Thread hier ist drei Jahre alt, aber das Thema ist heiß. Gerade hat Apple angekündigt, in seine Podcasts intensiver zu investieren und das bestätigt Jürgens (und auch meinen) Eindruck, dass das Modell Potential hat.


    Es scheint eine noch unerschlossene Konsumentengruppe zu geben, nämlich Leute, die sehr akustisch aufgestellt sind und sich trotzdem Serienerlebnisse wünschen. Spotify ist bei Hörbüchern und Podcasts für meinen Geschmack noch etwas umständlich, aber auch andere Konkurrenten wie Audible oder Podbean sind schwer auf dem Weg.


    Gerade habe ich "Blackout" mit Rami Malek angefangen, weil ich den in der Serie "Mr. Robot" gut fand, aber nicht dauernd vorm TV sitzen kann. Blackout ist aber leider eine Enttäuschung. Kann man Hörspiele nicht ohne ständiges Infodump produzieren?

    “Life presents us with enough fucked up opportunities to be evaluated, graded, and all the rest. Don’t do that in your hobby. Don’t attach your self worth to that shit. Michael Seguin

    Einmal editiert, zuletzt von Marvin ()

  • Die ARD liefert ihre "Tatort"-Folgen auch u.a. als Podcasts.


    Das Angebot ist im vergangenen Jahr nachgerade explodiert, weil natürlich alle Künstler, die mit ihrer Stimme arbeiten oder eine gute Stimme haben (oder das wenigstens glauben), die Langeweile mit Podcastproduktionen füllen, die fast nichts in der Herstellung kosten. Hier wie überall gibt es allerdings die übliche Rezeptionspyramide: Die Podcasts an der Spitze mit sechsstelligen Hörer- bzw. Abonnentenzahlen (Böhmermann & Co.), und dann geht es massiv in die Breite, bei gleichzeitigem Substanzverlust. Selbst relativ bekannte Künstler haben zuweilen nur ein paar Dutzend Stammhörer. Aber das betrifft das sozusagen klassische Podcasting - Gespräch, Interview oder Vortrag. Beim dramatischen Podcasting, um das es hier geht, verhält es sich möglicherweise anders.


    Podcasts gibt es seit über zwanzig Jahren, entstanden als dynamisches Angebot für die iPods. Es gab sie auch kontinuierlich, aber erst seit dem Jahr Eins Corona sind sie zu einem bemerkenswerten Bestandteil der Gegenwartskultur geworden. Wie sich das wirtschaftlich austut, weiß ich nur von Einzelfällen aus dem Mittelbereich der Pyramide, und da lautet die Antwort auf die entsprechende Frage: Überhaupt nicht.

  • Der "Förderkreis deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg" pflegt seit Februar d.J. einen Podcast, in dem die Autoren ihre Beiträge selbst einsprechen. Die meisten Beiträge sind hörenswert. Letztens war auch Marcus Hammerschmidt mit einem Podcast dabei. Im Juni wird auch ein 42er zu hören sein.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Ich denke, bei den Podcasts ist es inzwischen wie mit Blogs: Jeder kann sie produzieren, viele tun es auch, aber nur wenige sind interessant.

    Soweit ich mich bisher auskenne, gibt es da von Vorträgen über professionell durchgeführte Interviews oder laienhaftere Gespräche bis hin zum Feature so gut wie alles.


    Ich selber höre sie deshalb ganz gerne, weil man sie eben jederzeit abrufen kann. Ich finde es allerdings mühsam, die Spreu vom Weizen zu trennen. Was mich allerdings am meisten interessiert, sind Podcasts im Stil guter Radiofeatures, also keinen reinen Vorträge oder Interviews, sondern die Form von Hörbeitrag, die auch Atmosphäre einfängt, also im weitesten Sinne "Kopfkino".


    Da ich so gut wie gar kein Radio laufen habe (mich stört eine permanente Geräuschkulisse), finde ich es sehr praktisch, dass man sich einen Podcast eben anhören kann, wenn man dafür Zeit, Ruhe und Konzentration hat. Außerdem (aber das vermute ich nur) können sie eine große Themenvielfalt abdecken, gerade WEIL sie oft aus Liebhaberei produziert werden und wenig kommerzielle Interessen im Blick haben (müssen).