Erfolgreiche Autoren brauchen keine Lesungen

  • Liebe Kolleginnen und Kollegen,


    ein Satz, den eine Buchhandelsfachkraft (inhabergeführte Buchhandlung, den Namen möchte ich nicht nennen) vor wenigen Tagen mir gegenüber äußerte, treibt mich derzeit um und macht mich sehr betroffen. Es ging in dem Gespräch um die Gleichbehandlung von Autoren (hier im Bereich Harzkrimi) und auch um den mehr oder minder erfolgreichen Verkauf ihrer Bücher. Am Schluss dieses Gespräches äußerte die Buchhandelsfachkraft folgenden Satz (sinngemäß, aber inhaltlich korrekt): "Autoren, deren Bücher sich gut verkaufen, benötigen keine Lesungen, mit denen muss man keine Veranstaltung machen."
    Sicher meint die Person "nur" die Autoren-Mittelschicht, denn mit BestsellerautorInnen macht besagte Person sehr wohl Lesungen, wenn sie es finanziell stemmen kann.
    Meine Frage an euch: Ist meine Betroffenheit hinsichtlich besagten Satzes berechtigt oder reagiere ich da übertrieben empfindlich?


    Herzliche Grüße in die Runde
    Roland

  • Hallo, Roland.


    Lesungen verkaufen keine Bücher, jedenfalls bezogen auf eine relevante Menge. Wenn man über zehn Lesungen jeweils 60 Bücher verkauft, was eine ordentliche Leistung wäre, hat man 600 Bücher an zehn Tagen verkauft. Das ist nicht viel. Das ist nichts. Ein Fitzek verkauft das pro Stunde ohne eigenes Dazutun, die gehen einfach ab, bei den diversen Händlern.


    Bekannte(re) Autoren geben Lesungen, um mit dem Publikum in Kontakt zu kommen, um für das Publikum dazusein. Ums Geldverdienen kann es hier wirklich nicht gehen. Die Buchhändler könnten solche Honorarforderungen - also abseits der übliche 300, 400 € - auch überhaupt nicht befriedigen. Deshalb gibt es inzwischen große Veranstaltungsreihen, bei denen Autoren vor sehr großem Publikum auftreten. Finanziell ist das für diese Kategorie ansonsten uninteressant. Und der Werbeeffekt ist tatsächlich fast null, verglichen mit den sonstigen Verkaufszahlen. Lesungen verkaufen keine Bücher.


    Ja, es sind die Midlist-Autoren, die von Lesungen profitieren. Für Midlist-Autoren ist vor allem das Honorar ein relevanter Umsatzpunkt. Von den Verkäufen hat man ja direkt sowieso nichts, und bei einer durchschnittlichen, vergleichsweise gut besuchten Lesung werden vielleicht mal zwanzig, dreißig Bücher verkauft, von denen dann so 50 bis 80 Cent pro Stück bei uns ankommen. Und außerdem erreicht man vielleicht neue Leser, aber auch auf vergleichsweise mühselige - aber natürlich sehr schöne - Art.


    Anders gesagt: Klar stimmt das.

  • Buchhandlungen veranstalten Lesungen nicht mit Blick auf die Autoren, sondern mit Blick auf ihre Kunden. Kunden, die zu Lesungen kommen, die kommen meist auch zwischen den Lesungen in die Buchhandlung und kaufen Bücher, vermutlich meist von solchen Autoren, die gar nicht bei einer Lesung der Buchhandlung aufgetaucht sind. Es ist eine Art "Kundenpflege", Lesungen zu veranstalten. Buchhandlungen, die das erkannt haben, kümmern sich um ein ausgeglichenes Programm, in dem neben "Namen, die zählen" auch Autoren aus der Region vorkommen. Die Kunden haben dann das Gefühl, dass die Buchhändlerin oder Buchhändler kompetent ist und den fragt man um Rat, wenn man etwas zu lesen sucht oder glaubt einfach, dass das, was dort in den Regalen steht, gut ausgewählt ist.

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    Emanuel von Bodmann


  • Lieber Roland,


    warum hast du dieses Thema in öffentlichen Bereich eingestellt? Ich hatte bereits eine ausführliche Antwort geschrieben, sie aber wieder gelöscht, als ich gemerkt habe, dass ich hier Dinge angesprochen habe, auch persönliche Erfahrungen, die nicht im Internet herumfliegen sollten. Wenn du den Post im Vereinsbereich einstellst, würde ich dazu etwas sagen.

  • Lieber Roland,


    Horst-Dieter beschreibt es gut aus dem Blickwinkel der Buchhandlungen, Tom beschreibt bestens, dass da zur Not weniger an Verkäufen geschieht, als wenn man in einem gut mit Lesungen eingeführten Dorfzentrum liest, und 80 Bücher verkauft, bzw. Zettel ausgefüllt werden usw. Und man leibhaftig 80 Leserinnen und Bürgern begegnet, die ihre Geschichten erzählen und auf Jahre hinaus Leser bleiben.
    Und aus meiner Erfahrung heraus würde ich sagen, ich brauchte einige Jahre Veranstaltungen (Lesungen aller Art, vom WDR organisiert mit Pressedame, von Verbänden usw.), weil das richtig Geld brachte. Ich tourte durch die Republik und eines Tages wachte ich in Jena im Hotel auf und sagte. Ende der Vorstellung. Ab da machte ich nur noch mit, wenn das Ganze entweder über 500 Euro plus Kosten lag oder wirklich im Ganzen auch Spaß machte. Ansonsten saß ich wieder da und schrieb. (Schulprojekte u.ä. ausgenommen). Ich habe viel gesehen, viel gelernt, aber ich gestehe, dass ich kein Fan von "Lesungen", geschweige denn in Buchhandlungen bin. Und doch sind mir einige Touren mit Kollegen/innen unvergessen und sei es dass wir morgens un 5 Weinbrand tranken, ehe wir zu unseren Touren von Suhl aus durch den Schnee aufbrachen.

  • Die Diskussion kann gerne im Vereinsbereich fortgesetzt werden. Dort habe ich das Thema noch einmal neu aufgegriffen und noch ein wenig präzisiert, was mich an genannter Aussage so sehr stört.


    Herzlichst
    Roland

  • Finde ich auch, Maryanne. Niemand ist gezwungen, hier sein persönliches Honorarportfolio zu öffnen.


    Ich denke, wenn man "brauchen" als "nötig haben" interpretiert, erlaubt der Satz, der über diesem Thread steht, keinen Widerspruch. Aber das heißt ja nicht, dass es sehr erfolgreichen Autoren keinen Spaß machen würde, bei Lesungsveranstaltungen aufzutreten.


    Ich habe vor knapp zehn Jahren mal mit einem Kollegen gelesen, der damals bekannter als ich war. Er versuchte zu jener Zeit, ausschließlich vom belletristischen Schreiben zu leben, was hierzulande unterm Strich nur einer kleinen dreistelligen Anzahl Autoren gelingen dürfte. Er hat das bewerkstelligt, indem er jede Anfrage für Lesungen, Workshops und ähnliches angenommen hat, und er war übrigens sehr gut darin, diese Veranstaltungen auszufüllen. Ich war schon damals froh darüber, dass ich mir das nicht geben musste, weil ich neben der Schreiberei noch einen zweiten Job hatte und habe.


    Selbst wenn man einen niedrigen fünfstelligen Vorschuss für einen Roman bekommt, womit man ja schon zu den Auserwählteren gehört, also irgendwas zwischen 10 und 30 k€, schafft man das höchstens einmal pro Jahr und übrigens vor Steuern. Dass die Garantie überschritten wird, und noch im ersten Jahr, das ist ein krasser Glücksfall. Man braucht also etwas, um das auszugleichen, zum Beispiel Lesungen. Aber das Angebot bröckelt.

  • Der Haken ist einfach der, dass zu dem Thema eine Hintergrundgeschichte gehört, die besser im nichtöffentlichen Bereich aufgehoben ist.
    Kurz und knapp nur so viel: Ich habe derzeit durch meine regionale Festlegung auf Harzkrimis auch hauptsächlich dort meine "Kundschaft", könnte dort also bezahlte Lesungen machen, wenn ... ja, wenn nicht eine Handvoll andere Harzkrimi-Autoren gemeinsam durch den Harz ziehen und regelmäßig Null-Euro-Lesungen durchführen würden. Das Interesse, dann noch mit einem weiteren Harzkrimi-Autor eine Lesung durchzuführen und ihm ein Honorar zu bezahlen, ist verständlicherweise sehr gering.
    Besagte Buchhandelsfachkraft führt nun auch diese Null-Euro-Lesungen durch (zwei- bis dreimal im Jahr) und behauptet mir gegenüber, meine Bücher verkaufen sich sehr gut und sie stehe auf dem Standpunkt, wenn der Verkauf gut ist (was in meinem Fall nur im Bezug zu den anderen Krimis meines Genres zu sehen ist), braucht man mit den entsprechenden Autoren keine Lesungen zu machen. Heißt für mich übersetzt, Lesungen dienen der Werbung für den Autor und sein Buch und an einer Lesung mit dir, für die ich obendrein Honorar bezahlen muss, habe ich kein Interesse (mehr).

  • Hallo, Roland.


    Ich kenne Deine Tantiemenregelung nicht, aber im Normalfall sind es bei Taschenbüchern zwischen 5 und 9 Prozent, also zwischen 40 und 65 Cent je Buch. Das wäre dann die Gegenkalkulation, die man der Buchhändlerin vorlegen könnte: Ich komme wirklich gerne für lau, wenn Sie mir versprechen, dass an diesem Abend so ungefähr 400 bis 600 Bücher verkauft werden, die sonst nicht verkauft werden würden.


    Es ist sehr ärgerlich, wenn Kollegen gegen die Tür lesen, wie man in der Theaterbranche sagt (eigentlich sagt man: "Gegen die Tür spielen"). Das bedeutet, dass der Act nahezu das komplette Risiko der Veranstaltung übernimmt - oder dass es für den Veranstalter wenigstens kein Honorarrisiko gibt. Es werden die Eintrittsgelder aufgeteilt, und wenn niemand kommt, gibt es eben kein Geld. Bei Comedians, Kleinkünstlern, weniger bekannten Musikern usw. trifft man das leider häufig an, gerade bei Leuten aus der zweiten Reihe. Aber dass man Leuten, denen man erzählt, sie wären erfolgreich, mit genau dieser Begründung das Honorar verweigert (sie verdienen ja schon genug), das ist mir bislang noch nicht begegnet. 8o


    Wie auch immer. Der VS empfiehlt, ein Lesungshonorar von mindestens € 300 auszuhandeln, plus Spesen. Wer mich einladen möchte, allen guten Argumenten dagegen zum Trotz, der muss das hinkriegen. Natürlich gibt es Ausnahmen - liebenswürdige kleine Buchhandlungen, Fanveranstaltungen, Benefiz und so. Aber es ist Arbeit, die bezahlt wird, fertig. Du nimmst ja auch nicht einen Stapel Bücher aus der Buchhandlung mit, ohne sie zu bezahlen, verbunden mit der Argumentation, dass der Buchhändler ja sowieso genug verdient und Du außerdem möglicherweise seine Buchhandlung weiterempfiehlst, weshalb es sich dann doch lohnt.

  • Ich würde es sehr bedauern, wenn diese Diskussion ausschließlich im Vereinsteil weitergeführt würde. Oder ist da etwas fürchterlich geheim dran? Warum sollte dieses Erfahrungswissen einem "erlauchten Kreis" vorbehalten bleiben?

    Mir ist es wurscht, wo diese Diskussion weitergeführt wird. Ich habe lediglich - als ich bemerkt habe, dass ich mich nicht im internen Bereich befand - meinen Beitrag hier wieder herausgenommen, weil er einige Beispiele und Zahlen aus meinem eigenen Umfeld enthielt, die ich nicht öffentlich haben will. Und gut.

  • Ja, über einiges müssen wir uns nicht wundern, wenn die Kolleginnen und Autoren, die für wenig oder lau lesen und das immer wunderbar begründen, immer mehr werden. Jede Weinhandlung usw. holt sich heute jemanden, der die das dann liest gegen ein bisschen Verkostung und eine Flasche Wein usw.

  • Ok, dann spielt sich das Interessante im Vereinsbereich ab.
    Ich kann von mir nur folgendes sagen: ich brauche Lesungen - meine Verlagstantiemen sind zwar ordentlich, aber Vorschüsse gibt es nicht. Besser für mich ist das SP. Da habe ich einen deutlich höheren Gewinn pro verkauftem Buch, muss aber für Lektorat und Coverdesign bezahlen. Daher halte ich Lesungen, bezahlt nach den Empfehlungen des SchriftstellerInnenverbandes bzw. ver.di zzgl. Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten. Ausnahmen gibt es nur für Lesungen mit einer Anfahrt von weniger als 15 Minuten bei ehrenamtlich organisierten Bibliotheken und bei Gemeinschaftslesungen mit den Mörderischen Schwestern. Das ist gar kein Geheimnis.
    Dass andere für lau lesen, finde ich auch nicht prickelnd!
    Ob Buchhandlungen der ideale Leseort sind, bezweifle ich. Im Übrigen ist mir egal, was Buchhändlerinnen in bezug auf Lesungen von sich geben - entweder sie erfüllen meine Honorarforderungen, oder ich lese dort nicht.
    Sowohl mit meinen Romanen als auch mit den Sachbüchern war ich mehrfach in Presse, Radio und TV -Lesungen bringen für mich mehr.
    Maryanne