Die Gitarre, ein verkanntes Instrument

  • Gitarren sind überall präsent. Sie hängen in jedem Musikladen, Gitarrenlehrer an Musikschulen brauchen sich um lernwillige Schüler nicht sorgen, kein Lagerfeuer kommt ohne sie aus und es gibt kaum einen Musikstil, in dem sie noch nicht eingesetzt wurde. Man kann auch fast alles auf ihr spielen, trotz der begrenzten Saitenzahl, meistens 6, manchmal 5 oder 7, 8, 10 oder mehr. Trotzdem genießt sie nach wie vor eher eine geringe Reputation. Natürlich akzeptiert man sie, seit Segovia mit ihr durch die großen Konzertsäle der Welt gezogen und seither manch großer Gitarrist und manche Gitarristin nachgewachsen ist. Da jedoch keiner der großen Komponisten - Bach, Händel, Mozart, Beethoven – für dieses Instrument geschrieben hat, kann ja nicht viel dran sein, oder? Gut, von Haydn gibt es ein Quartett in D-Dur, in dem Gitarre eine Rolle spielt, aber bei genauerem hinsehen stellt man dann fest, dass es ursprünglich die Barocklaute war, die Haydn dafür vorgesehen hatte.


    In Sachen »Bach« behelfen sich die Gitarristen, in dem sie dessen Lauten-, Cello- und Violinensuiten auf der Gitarre umsetzen. Auch hier war Segovia Vorreiter, als er die Chaconne aus der Partita Nr. 2 für Violine BWV 1004 auf Gitarre spielte.


    Das Transkripieren von Werken für andere Instrumente ist bei Gitarristen äußerst beliebt. Nicht nur Bachs Lautenwerke, auch die seines Zeitgenossen Silvius Leopold Weiss wurden zeitweise häufiger auf der Gitarre als auf der Laute gespielt. Den Höhepunkt erreichte die Transkriptionswelle unter Gitarristen Anfang der Achtziger Jahre, als der japanische Gitarrist Kazuhito Yamashita die »Bilder einer Ausstellung« von Modest Musorgsky auf der Gitarre spielte. Komplett. Ein nicht nur hörens-, sondern auch sehenswertes Ereignis.


    Die Einspielung auf Langspielplatte wurde ein Bestseller unter den Gitarrenplatten und die Notenausgabe wurde selbst von denjenigen gekauft, die wussten, dass sie es nie im Leben spielen können würden. Ich gehörte dazu.


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    Ein bisschen aus dem Blick gerät dabei, dass es durchaus Komponisten gab (und gibt), die sich mit der Gitarre beschäftigt haben. Schubert etwa, der manches seiner Lied auch (oder ursprünglich?) für Gitarrenbegleitung geschrieben haben soll (es gibt von ihm auch ein Quartett für Flöte, Gitarre, Bratsche und Violocello, D96, das aber lediglich das Arrangement eines Quartetts eines anderen Komponisten und Gitarristen - Wenzel Matiegka – ist.), Hector Berlioz beherrschte nicht das Klavier, sondern die Gitarre – neben der Flöte – und schrieb doch noch heute beachtete Kompositionen für Orchester - nicht für die Gitarre. Unter den zeitgenössischen Komponisten ist es Hans Werner Henze, der die Gitarre um wichtiges Repertoire bereicherte: Insbesondere seine Royal Winter Music (I/II) für Gitarre nach Gestalten von Shakespeare gehören zum gern und oft gespielten Repertoire vieler Solisten.


    Bei alldem wird gerne übersehen, dass es Gitarristen gab (und gibt), die nicht nur hervorragende Instrumentalisten, sondern auch beachtenswerte Komponisten sind. Der aus Barcelona stammende Fernando Sor ist vielleicht noch der bekannteste. Erzogen und musikalisch ausgebildet im Kloster Montserrat, wo er dem berühmten Knabenchor angehörte, widmete er sich zeitlebens der Gitarre. Er soll auch Orchesterwerke geschrieben haben (u.a. Ballette), doch sind diese verschollen. Sein Werk für Gitarre jedoch hebt sich qualitativ deutlich ab von anderen Gitarristen-Komponisten seiner Zeit.


    In Paraguay wurde 1885 Agustin Pio Barrios geboren, der sich später als Indianerhäuptling ausgab und Mangore nannte. Auch er transkripierte anfangs mangels Repertoire Stücke von Bach und Beethoven, schrieb aber später ein eigenes Repertoire. Er unternahm nicht nur Konzertreisen in Süd- und Mittelamerika, sondern war in den Dreißiger Jahren auch in Europa unterwegs. Es spielte Schallplatten ein, jedoch veröffentlichte er zeitlebens seine Kompositionen nicht. Von den damaligen klassischen Gitarristen wurde er nicht anerkannt, da er nicht wie sie auf Darmsaiten, sondern gewachsten Stahlsaiten spielte. John Williams entdeckte ihn in den 1970er Jahren wieder und machte ihn weltweit, nicht nur unter Gitarristen bekannt.


    Eine vierbändige (nicht vollständige) Werkausgabe ist zu erschwinglichen Preisen erhältlich. Der Inhalt des ersten Bandes mit mittlerem Schwierigkeitsgrad ist eine Empfehlung für alle Gitarristen, die mal etwas anderes spielen möchten.


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    Auch seine Werke, die längst nicht sämtlich erschlossen sind (manche vielleicht für immer verloren) gehören heute zum Standardrepertoire vieler Gitarristinnen und Gitarristen.


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    Dies ist nur ein grober Überblick, vielleicht nicht einmal das, sondern nur ein oberflächliches Stochern in dem, was die klassische Gitarre zu bieten hat, unter Auslassung aller anderen Typen und Variationen dieses Instruments.


    Es gibt noch andere verkannte Instrumente, etwa die Mandoline, die Mundharmonika und das Akkordeon.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Als Nachtrag noch ein wenig Fachliteratur für Interessierte:


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    An diesem letzten Buch bin ich nicht ganz unbeteiligt.


    James Westbrook/Ted Fuller: Die akustische Gitarre: Das große Nachschlagewerk

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    Emanuel von Bodmann


  • Da jedoch keiner der großen Komponisten - Bach, Händel, Mozart, Beethoven – für dieses Instrument geschrieben hat, kann ja nicht viel dran sein, oder?



    Die Gitarristen kriegen schon immer die Mädels ab. Wenn die jetzt auch noch die Hochkultur erobern, dann hält das doch keiner mehr aus. :schmoll :trotz

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)