Guten Morgen,
ich habe diese Woche zwei Filme im Fernsehen gesehen die bei mir einige Fragen aufgeworfen haben. Nun geht es in diesem Forum nicht um Filme, sondern ums Schreiben, aber ich denke, die grundsätzlichen Mechanismen könnten ähnliche sein, beim Filmemachen und beim Schreiben.
„Halt auf freier Strecke“ ist ein Spielfilm (in Cannes gelaufen) um einen Mann, dem mit seiner Frau in einer der ersten Szenen eröffnet wird, dass er an einem unheilbaren Hirntumor leidet und nur noch wenige Monate zu leben hat. Diese Szene wirkt (!) so echt, von der Bildführung (der Arzt wird erst später gezeigt, während der Eröffnung sind ist nur das Ehepaar zu sehen) her, es gibt eine Störung durch einen Telefonanruf, Schock, Hilflosigkeit bei dem Mann und der Frau … Auch der weitere Film spart nicht mit Realismus, nichts wird verbrämt, bemäntelt, ausgespart. Die Krankheit schreitet fort, die Frau pflegt zuerst alleine, dann wird ein Pflegedienst hinzugezogen, schließlich stirbt der Mann auch zu Hause. Der ganze Film wirkt auf mich völlig realistisch – ist aber ein Spielfilm, ein fiktionales Werk, basiert auf einem Drehbuch, die Personen sind Schauspieler.
„Partygirl“ wiederum ist ein Film mit drei Regisseuren, einem davon dem Sohn der Hauptfigur Angélique. Angélique ist um die 60 und Animierdame im deutsch-französischen Grenzgebiet. Michel, ein ehemaliger Stammkunde macht ihr einen Antrag, sie nimmt an, heiratet ihn schließlich. Dieser Film – der als bestes Erstlingswerk in Cannes ausgezeichnet worden ist – erschien mir, obwohl er auf realen Personen, realen Ereignissen fußt, wie orchestriert, die Szenen – A. unterhält sich mit ihren ehemaligen Kolleginnen, spricht ihre Vorbehalte an, mit ihrem Zukünftigen intim zu werden, am Abend vor der Hochzeit eröffnet sie ihrem Sohn, sie wolle lieber bei ihm in Paris leben und dort ein neues Leben anfangen, in der Hochzeitsnacht sagt sie ihrem Mann, sie liebe ihn nicht, Streit, Beschimpfungen, Tränen, sie zieht sich an, Schlussszene: A. zurück im Nachtleben. Ich fand den Film nicht schlecht, glaubhaft finde ich die Ereignisse auch, aber er „wirkt“ (auf mich) nicht so, weil die Adaption der – angeblich ja tatsächlichen Ereignisse – in Teilen drehbuchartig und „gespielt“ herüberkommt. – Was weniger verwundert, wenn man liest, dass der Film „inspiriert ist vom Leben der Angélique Litzenburger“. „Inspiriert“, das kann nun alles Mögliche heißen …
Möglich auch, dass andere es genau andersherum empfinden … Sehenswert fand ich beide Filme.
Beide Filme sind derzeit noch on-line zu sehen:
Halt auf freier Strecke: http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=69616
Party Girl: https://www.arte.tv/de/videos/073859-000-A/party-girl/
Ich frage mich: Mit welchen Stilmitteln erzeugt man den Eindruck von Realität? Im Gegenteil, wie geht der Eindruck von Realität verloren? Warum will man überhaupt den Eindruck vermitteln? Man könnte ja auch sagen: gut erfunden ist besser als langweilig aber „echt“? Mit welchen Mischformen hat man es heute zu tun? Wo geht Ihr mit, wo nicht mehr? Wäre es in Ordnung, einer realen Person ein bisschen eine Story „auf den Leib zu schreiben“ und so zu tun als ob alles völlig authentisch ist? Oder fühlt sich das Publikum dann veralbert? Zurecht oder nicht?
Gruß,
Petra