Fragen an die Historienschreiber

  • Wie halten es die Historienromanschreiber mit historischen Fakten? Ja, klar, natürlich hält man sich an die. Aber was, wenn es unterschiedliche Deutungen gibt, verschiedene Ehefrauen angegeben werden. Oder wenn kein Geburts- und/oder Sterbedatum bekannt ist. Oder noch schlimmer, wenn ihr eine Geburtsdatum findet, das bei genauerer Betrachtung so nicht stimmen kann, weil dann z.B. ein Mädchen mit 13 geheiratet hätte.


    Wie viel künstlerische Freiheit ist gestattet? Bzw. wo fängt die künstlerische Freiheit an und wann ist es eher Interpretation historischer Fakten, die ja durchaus verschieden ausfallen kann.

  • Zitat

    weil dann z.B. ein Mädchen mit 13 geheiratet hätte.


    Das war sogar hierzulande noch am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts möglich, und in vielen Ländern der Erde ist es das - leider - nach wie vor.


    Die Leser "historischer" Romane, die ja überwiegend Jetztzeitkonflikt-Liebesromane vor historischer Kulisse sind, nehmen es meiner Erfahrung nach nicht sehr genau. Die HR-Autoren definieren sich aber gewissermaßen ihre Zielgruppen. Iris Kammerer, die ja leider nicht mehr schreibt, hat sich immer um größtmögliche historische Präzision bemüht, während Leute wie das Ehepaar Lorentz die Recherche ab einer gewissen Tiefe beenden - und ihren Figuren alles mögliche in Wiege und Mund legen, auch Absurdes, was die Hintergründe anbetrifft.

  • Wie halten es die Historienromanschreiber mit historischen Fakten? Ja, klar, natürlich hält man sich an die. Aber was, wenn es unterschiedliche Deutungen gibt, verschiedene Ehefrauen angegeben werden. Oder wenn kein Geburts- und/oder Sterbedatum bekannt ist. Oder noch schlimmer, wenn ihr eine Geburtsdatum findet, das bei genauerer Betrachtung so nicht stimmen kann, weil dann z.B. ein Mädchen mit 13 geheiratet hätte.


    Wie viel künstlerische Freiheit ist gestattet? Bzw. wo fängt die künstlerische Freiheit an und wann ist es eher Interpretation historischer Fakten, die ja durchaus verschieden ausfallen kann.


    Ein Historienroman ist ein Roman, der in der Nähe der Fantasy steht. Zumindest die meistens. Autorinnen und Autoren nehmen es nicht so genau und auch die Leser nicht. Bei einem Roman, den ich für das Literaturcafe testgelesen (und rezensiert) habe, hat eine fachlich fundierte Autorin versucht, einen Roman im 17./18. Jahrhundert in Hamburg anzusiedeln (was ihr teilweise gelungen ist). Eine der ausgewählten Rezensentinnen schrieb "sie liebe solche Mittelalterromane". :frust


    Anders ist das bei historischen Romanen, insbesondere dann, wenn versucht wird, das Leben historischer Persönlichkeiten nachzuzeichnen. Als Leser würde ich davon ausgehen wollen, dass die Fakten stimmen. Was wer sagt und wie in unbekannten Situationen wer wie gehandelt hat, bleibt natürlich der Fantasie der Autoren überlassen, aber weder dürfen Geburtsdaten verrückt werden noch historische Ereignisse.


    Zwischen diesen beiden Polen tummelt sich so einiges. Rebecca Gable verlegt zum Beispiel schon mal historische Ereignisse zu einem der Romanhandlung passenderen Termin. Das beschreibt sie im Nachwort aber ganz offen und so geht das für mich in Ordnung. Allerdings würde ich ihre Romane auch eher den Historienromanen zuordnen und nicht den historischen Romanen.


    Größere Freiheit haben die Autoren bei "unbekannten Fakten und Daten". Wenn man nicht weiß, wann was war, darf man es so einrichten, wie es passt, entweder nach dem Daumen der Wahrscheinlichkeit (wann könnte es gewesen sein) oder nach dem Daumen der Geschichte, die erzählt werden soll.


    Es gibt noch eine dritte Art der historischen Romane, nämlich die, die zur Tendenzliteratur gerechnet werden müssen. Das sind solche Romane, in denen die Autoren historische Persönlichkeiten (oder Ereignisse) so umdeuten, dass sie zur eigenen Ideologie (oder zu gerade herrschenden Meinung) passen. Ein solches Beispiel habe ich hier im Forum schon mal rezensiert.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Ich hab mal einen Vortrag von Titus Müller gehört, er recherchiert ausgesprochen gründlich. Aber sagt, wenn man etwas nicht weiss, umso besser, dann kann er endlich was erfinden.

  • Ganz lieben Dank für eure Antworten. Ich habe wirklich ausführlich recherchiert und bin dadurch auch auf Ungereimtheiten bei einigen Quellen gestoßen. In dem Falle kann ich also guten Gewissens die Quellen nach Gutdünken interpretieren, wie es mir sinnvoll erscheint. (Mit Hinweis im Nachwort.)


    Und ja, natürlich wurden Mädchen oft mit 13 verheiratet, sicherlich auch Ende des 17. Jahrhunderts in Schottland. Nur ist das dummerweise meine Protag und mit einer 13Jährigen kann ich nichts anfangen. Also verbiege ich lieber ein bisschen die Fakten und gehe davon aus, dass sie knapp nach der Hochzeit der Mutter geboren wurde, wodurch sie dann auch knapp 17 sein kann. Wenn ich das im Nachwort beschreibe, bin ich ja analog zur Gable auf der sicheren Seite.


    Ansonsten habt ihr mich bestätigt. Wenn ich keine Angaben finde, kann ich frei erfinden bzw. das aus meiner Sicht logische annehmen. Wenn der Erbe z.B. 1675 geboren wurde und die Eltern von ihm 1663 geheiratet haben und es gibt drei undatierte Schwestern des Erben, dann sind die sehr wahrscheinlich älter als er. Denn dass die Eltern über 12 Jahre keine Kinder gezeugt haben oder es nur Fehlgeburten gab, wäre unwahrscheinlich.

  • Gablé hat in einem ihrer Romane auch eine sehr junge Akteurin gehabt, Margaret Beaufort (1443–1509), die ihren Sohn, Heinrich VII, bereits mit vierzehn bekommen hat. Mich persönlich stört es sehr, wenn solcherart Fakten verbogen werden. Da es sich ja um reale Personen handelt, möchte ich mir vorstellen können, wie deren Leben in "Wirklichkeit" hätte verlaufen können und das Leben einer knapp 17jährigen ist - wie du schon sagst - eben ein anderes, als das einer 13jährigen. Gerade das hätte ich in einer Darstellung als sehr interessant empfunden.

    "Man muss immer noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können." Nietzsche

  • Hi Cordula, danke für das Interesse. Hier die Daten, die ich finden konnte.


    Jean Campbell ist um 1590 geboren und hatte drei Männer. Zum zweiten heißt es, dass er vor August 1649 gestorben ist. Der dritte soll vor 1685 gestorben sein. Angeblich hat sie diesen Mann vor dem 10.7.1656 geheiratet. Ihre Tochter Margaret ist am 10.7.1657 getauft (!) worden. Das ist das einzige fixe Datum, das es gibt in dieser Genealogie. Zu Margarets Tochter Sarah (das ist meine Protag) gibt es keinerlei Daten.


    Dass Margaret am 10.7.1657 getauft wurde, heißt ja noch lange nicht, dass sie auch im Juli 1657 geboren wurde. Die kann auch im Winter geboren worden sein und erst im Sommer zur nächsten Kirche gebacht worden sein. Das würde in den schott. Highlands durchaus Sinn machen. Demnach kann Margaret also auch Ende 1656 geboren worden sein.


    Mein Roman beginnt im Mai 1689 mit der Schlacht bei Killiecrankie. Das sind 33 Jahre von 1656 aus. Wenn ich annehme, dass Margaret Sarah mit 16 Jahren geboren hat, kann Sarah also 17 Jahre alt sein. Damit habe ich aus meiner Sicht nichts verbogen, sondern nur die Fakten in meinem Sinne interpretiert. Ich kann sie auch 16 Jahre alt machen.


    Sarahs künftiger Mann (der ist mein 2. Protag, da es sich ja um deren Liebesgeschichte handelt) ist 1663 geboren und war definitiv bei der Schlacht in Killiecrankie dabei und damals 26 Jahre alt. Über den habe ich recht viel gefunden, war ein kriegerischer Zeitgenosse: Nachweise zur Beteiligung bei der Schlacht bei Killiecrankie, Schlacht bei Dunkeld, Schlacht bei Dalmore und zwei Versorgungsschiffe überfallen und dafür inhaftiert worden.


    Jo.

  • Cordula
    Exakte Anforderungen können an einen Biografie gestellt werden, da erfährt man bei einem guten Biografen auch mehr über Zeit und Umstände, als in jedem Roman. Bei einem biografischen Roman weiß man, dass der Autor oder die Autorin mehr Freiheiten haben. Je mehr Freiheiten genutzt werden, um so mehr entfernt sich der Roman auch von der Realität. Bei Rebecca Gable ist das der Fall, deshalb sollte man an ihre Romane nicht mit der Vorstellung herangehen, man würde etwas über die Zeit und die Personen erfahren. Man erfährt nur, wie die Autorin sich das vorgestellt hat – jenseits exakter Historie. Das Frau Gable Auskunft über ihre "Manipulationen" gibt, hilft jedoch, sich das gemalte Bild neben die historische Wirklichkeit zu stellen. Viele andere Autoren machen das nicht.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Ich besuche Anfang Oktober folgendes Seminar in Wolfenbüttel, welches sich mit diesen Fragestellungen befasst.
    Der Anmeldeschluss ist zwar laut Homepage schon vorbei, aber falls es dich interessiert, ruf doch einfach mal an und frage wie die Modalitäten sind, manchmal gibt es ja auch Nachrückerlisten.


    Bei meinem derzeitigen Projekt stelle ich mir diese ganzen Fragen natürlich auch, wobei es an einigen Stellen von mir auch gewollt ist etwas fiktives hinein zu bauen. Ich erhoffe mir Austausch und auch ein paar handwerkliche Tipps.
    Laut Liste sind 14 Leute angemeldet und ich bin dabei.
    Liebe Grüße von Dorit