Wie findet Ihr die ersten Worte, den ersten Satz eines Romans, einer Erzählung?

  • Auch wenn ich viele Notizen und gut recherchiert habe, muss ich zuerst den ersten Satz finden. Ohne ihn geht gar nichts. Habe ich ihn gefunden, geschrieben und für endgültig befunden, dann kann ich schreiben. Dann entwickelt sich alles von selbst. Die Landschaften breiten sich aus, die Figuren/Menschen tun, was sie wollen, werden selbständig. Aber ohne die ersten Worte bei einem Gedicht oder eben den ersten Satz in der Prosa geht nichts.
    Die Auflösung, das Abräumen der "Bühne", der letzte Satz findet sich von alleine, aber nicht der erste.


    Wie geht es Euch? Schreibt Ihr los und wisst später, wie der Anfang sein muss oder braucht Ihr auch einen ersten Satz?
    Ich bin neugierig.

  • Ich brauche auch immer einen knackigen ersten Satz. Allerdings: Im Laufe des Schreibens ändert er sich, weil sich meine Erzählidee erst beim Schreiben "verfertigt" und entwickelt. Den letzten Schliff bekommt er, wenn die Geschichte zu Ende erzählt ist. So steckt im Idealfall die ganze Geschichte in nuce in ihm.

  • Dieser erste Satz. Ich spiele mit ihm, probiere, horche nach, was er aussagt. Wenn danach ein paar erste Seiten nicht in Fluss kommen, stimmt er nicht. Dann nochmal ausprobieren. Aber er ist die Vorgabe. Es kann mir auch passieren, dass ich ihn am Ende der Geschichte ändere, weil der Weg etwas anders wurde, als geplant.

  • ... bei mir war er bislang immer da. Oft plötzlich - und nicht beim Schreiben. Ich war mit anderen Dingen beschäftigt. Ich habe dann "gemerkt": das ist ein erster Satz. Manchmal wußte ich noch nicht wovon. Dann entstand etwas, dem ich gefolgt bin. Manchmal wußte ich genau wovon.

  • Der erste Satz meines Herzensprojektes steht und steht und ich liebe ihn ... Aber ich weiß längst, dass er nicht mehr passt, weil das Ganze sich geändert hat. Kill your Darlings, heißt es ja.

  • Oh Gott, nee. Da ist nix "einfach da". Ich tue mich allgemein schwer mit dem ersten Kapitel, mit Kapitelanfängen, Szeneneinstiegen etc. Nicht gerade meine Stärke. Das Allerschlimmste ist der erste Satz - möglicherweise aus einer Art Schockstarre heraus, weil ich immer denke, der muss wahnsinnig toll sein! Der letzte Satz "stand" schon vor anderthalb Jahren und wird bleiben, aber mit dem ersten werde ich wohl noch eine Weile rumeiern.

  • @ Kristin - Ich finde, da passt Dein Lindgen Zitat wunderbar. Du denkst und fühlst in einer anderen Dramaturgie. Also muss Dich der 1. Satz und der Beginn gar nicht interessieren. Du gehörst zu den Glücklichen, die in der Mitte schreiben und wissen, was sie tun und was los ist. Das ist ein Schatz. Ich habe nix. Allerdings würde ich in einem Wettbewerb auftreten, indem man einen Satz bekommt und dann schreiben soll, ja das funktionierte. Schau nicht auf den Anfang^^

  • Auch für mich ist der erste Satz bzw. die ersten Seiten wichtig. Aber nur sehr selten überdauern sie die Zeit bis zur Fertigstelung des Manuskripts. Ich tue mich sehr schwer mit den Romananfängen. Meist überfrachte ich sie, sowohl inhatllich als auch in dem Wunsch, sie müssten stilistisch einfach soooo besonders sein. Trotzdem brauche ich diese Anfänge, auch wenn sie später dann in die Tonne gekloppt werden. Denn sie helfen mir, reinzukommen und nach 10 - 20 Seiten läuft es dann sehr gut, der Text wird dichter, schnörkelloser. Nach ein paar Kapiteln, manchmal aber auch erst zum Schluss werden die ersten Seiten dann entweder überarbeitet (was dann merkwürdigerweise ganz leicht ist) oder aber sie fallen komplett weg.

  • Ich bin immer froh, wenn der erste Überarbeitungsgang beginnt und ich den in meinen Augen misslungenen Beginn verbessern kann. Bislang habe ich zunächst irgendetwas formuliert, das Spannung und Stimmung erzeugt, und die Figuren in den Fokus genommen. Unter 100-maligem Überarbeiten ging bei mir bis jetzt nichts. Und dann war ich immer noch nicht zufrieden.^^

  • Im Roman "Die Pest" von Camus gibt es einen Schriftsteller, der über den ersten Satz nicht hinauskommt. Ich finde das ein gutes Bild dafür, wie wichtig UND wie unwichtig der erste Satz ist. Für mich ist die Idee zu einer Geschichte wichtig. Der erste Satz, den ich dann schreibe, ist nur selten tatsächlich der erste Satz, denn oft streiche ich ihn wieder. Er war nur das Eingangstor in den Schreibprozess und für die Geschichte nicht wichtig. Allerdings hat das auch mit der Länge der Geschichte zu tun. Bei einer Erzählung, Novelle oder Roman stimmt das so, wie ich es in den Sätzen zuvor geschrieben habe. Bei einer Kurzgeschichte hat der erste Satz eine größere Bedeutung. Da ist es oft (bei mir) so, dass der Satz, mit dem ich begonnen habe, auch stehen bleibt, manchmal in unveränderterter, oft aber in überarbeiteter Form.

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    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Als ich fünf war, schoss mir mein Vater ins Knie.


    Mit diesem Satz begann meine kurze böse Krimierzählung, mit der ich meinen einzigen Literaturpreis gewann, den noch am gleichen Tag der Lesung der 10 besten Texte schnell dazu erfundenen Sonderpreis der Jury für die schwärzeste Kurzgeschichte beim Nordrhein-westfälischen Literaturtreffen in Köln. Gerade bei kurzen Texten ist der erste Satz besonders wichtig. Bei Romanen und längeren Erzählungen habe ich den Klappentext, der mich anfüttern, anlocken soll. Ich gebe dem Text eher eine Chance auf Grund seiner Länge.
    Bei einer Kurzgeschichte muss der erste Satz ködern, mich packen. Bei Kurzgeschichte ist - finde ich - die Gefahr dann größer, dass der Leser den Text weglegt. Das Gefühl überwiegt, bei ein paar Seiten nicht viel zu verpassen, wenn ich den Text nicht lese.


    Herzlichst


    Wolf P.

  • Ich gebe zu, mir noch nie übermäßige Gedanken über erste Sätze gemacht zu haben, weder bei eigenen, noch bei fremden Werken. Natürlich kenne ich einige der berühmten ersten Sätze wie "Nennt mich Ismael" (ist der eigentlich wirklich gut?), aber es sind selten einzelne Sätze, die mich an/in Büchern und Geschichten besonders interessieren.


    Aber Horst-Dieter hat auch recht, wenn er anmerkt, dass der Hook bei einer Kurzgeschichte umso packender sein muss. Doch diese Last liegt nicht nur auf dem ersten Satz.

  • Mir ist Titel und erster Satz immer sehr wichtig, oder/und ein Zitat. Ganz am Anfang steht bei mir die Idee, die ich dann erst mal sehr lange (Wochen, Monate, Jahre) in mir selbst bewege, z. B. beim Abspülen oder beim Busfahren usw. Irgendwann ist es dann soweit und der Kern der Geschichte steht eigentlich in groben Zügen. Dann setze ich mich hin an mein "Puzzle", d. h. ich schreibe - wie es eben kommt - die ganze Geschichte in einzelnen Sätzen auf und zwar jeden Satz auf eine Art "kleine Karteikarte" (habe eine Vorlage in Word - das drucke ich dann aus und schneide die einzelnen "Karten" auseinander). Beim Schreiben dieses "Puzzles" fällt mir meistens der erste Satz ein und oft kommt auch in dem Zug der Titel, manchmal aber auch erst, wenn ich dann "puzzle", mich dadurch mit dem Inhalt noch mal anders und intensiv auseinandersetze und die "Karten" in der richtigen Reihenfolge auf dem Wohnzimmerboden anordne. Bei meinem Thriller mit sozialkritischen Elementen stehen Arbeitstitel und Zitat, das am Anfang steht, schon. Einen ersten Satz habe ich noch nicht, ausnahmsweise fange ich nämlich relativ am Ende der Geschichte mit dem Schreiben an - und da bin ich doch sehr gespannt, wie das klappt!

  • Ich muss mich korrigieren. Einer meiner veröffentlichten Romane beginnt mit einem Satz, auf den ich als Eröffnungssatz tatsächlich besonders stolz bin. Der Roman, der aber nur als E-Book erhältlich war, ist inzwischen leider - auf meinen Wunsch - ausgelistet.


    Der fragliche erste Satz lautete: "Scheiße, der fickt das Huhn tatsächlich." :dichter