wenn du in den Spiegel

  • Ja. Und ich entdecke immer wieder Neues. Meistens sehe ich meine Mutter in mir und freue mich, weil sie mit fast achtzig topfit und deutlich jünger aussieht. Gute Aussichten, wenn ich so gesund bleibe wie sie. Immer häufiger sehe ich auch meinen Vater in mir, der viel zu früh gestorben ist. Besonders – und ohne Spiegel – seine Hände, deren Form ich geerbt habe. Wenn ich lache, sehe ich meine Schwester und ihr Lachen, und wenn ich meine Haare zähme, meine Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen. Nicht alles mag ich, aber mir geht es sehr gut dabei.

  • Die Frage hat mich angerührt und die Antwort von Ingrid auch.
    Ich sehe im Spiegel meine Großmutter, die ich nie kennen lernen konnte. Ich sehe wohl aber wirklich wie sie aus und bin ihr wohl auch sehr ähnlich. Ein Generationssprung. Ich habe auch lebenslang eine Sehnsucht nach ihr. Aber vielleicht drückt sich darin auch nur der Wunsch nach Familiengeschichte aus, nach einer die lebbarer gewesen wäre und sich nicht in Emigrationen, Tod, Fluchten, Mauer aufgelöst hat. Aber wann immer, wenn ich "abstürze" ist da meine Großmutter, davor. Also irgendwie sie - und ich.

  • Ich sehe manchmal meinen größeren Bruder, der ist zehn Jahre älter als ich. Mein Vater ist gestorben, als ich vier oder fünf war, also ist dessen Gesicht nicht sehr präsent in meiner Erinnerung - oder wird darin ohnehin durch mein eigenes überdeckt. Zuweilen erkenne ich meinen Sohn, der ist jetzt sechseinhalb, oder umgekehrt, also im Bild meines Sohnes irgendwie mich selbst (oft als kleiner Junge, es gibt da so ein Foto, auf dem ähnele ich ihm sehr). Aber Indenspiegelschauen ist tückisch. Im Kopf werden zu viele Filter aktiv, wenn man sich selbst anschaut. Man sollte sich auf sein Urteil über sich selbst nicht allzu sehr verlassen. ;)

  • Im Spiegel sehe ich nur meine ungeliebte Tante Frieda (die hieß wirklich so), der ich niemals ähnlich sein wollte. Das geht so weit, dass ich alles an mir verändere, was nur entfernt an die erinnern könnte. Alle anderen Ähnlichkeiten spielen sich im Inneren ab, in der Erinnerung an Gesten, an Eigenschaften, Verhaltensweisen, Vorlieben in denen ich mich wiederfinde. Da sind beide Eltern sehr präsent.

  • Die Frage hat mich angerührt


    Ja, mich auch. Und alle Antworten.


    Der Mund an Tagen, wo ich den Blick dafür habe: die Oma samt ihrem jüngeren Sohn, von dem ich nur ein paar wenige Fotos kenne; die letzten davon zeigen ihn in seiner Wehrmachtsuniform. Das Immer-älter-werden: Vor allem meine Mutter, aber ich verzeih ihr das. Der Rest: ein Gemisch aus der ganzen Bande.

  • Gerade weil sie exakt zeigen, was zu sehen ist, sind Spiegel trügerisch. Oft passt das nämlich nicht zu dem, was gerade innerlich abläuft. Diese Diskrepanz kann schockieren. Deshalb gehe ich an Spiegel eher vorsichtig heran. Sie zu meiden ist aber auch kritisch, weil man dann nicht den äußeren Teil zu dem, was man innerlich fühlt, zu Gesicht bekommt. Sich zu lange mit dem Spiegel zu beschäftigen ist nicht ungefährlich. Die Stadt Lohr am Main vermarktet sich als "Schneewitchenstadt" und führt dazu vermeintliche Beweise an, unter anderem einen sprechenden Spiegel, der im Lehrer Schloss ausgestellt ist. Dieser Spiegel enthält in den Ecken Sinnsprüche, in der rechten oberen einen, die Selbstliebe betreffend. Narziss verliebte sich in sein eigenes Spiegelbild, Schneewittchens Stiefmutter ist noch eine Übertreibung dieser Regung, weil sie alles töten lässt, was ihrer Selbstverliebtheit stören könnte. Die Suche nach Ähnlichkeiten mit wem auch immer scheint mir zunächst ungefährlicher zu sein. Wenn ich zu erkennen glaube, dass bestimmte Züge denen meines Vaters oder Großvaters entsprechen, setze ich mich bereits damit auseinander, denn wertneutral stelle ich das ja zunächst nicht fest, sondern empfinde es positiv oder negativ. Allerdings habe ich auch schon festgestellt, dass ich diese Ähnlichkeiten nicht immer erkennen kann. Vor dem Spiegel ist es auch eher selten, dass ich mir solche Gedanken mache, eher kommen sie bei Überlegungen aus Handlungen und Situationen heraus. Etwas kritischer ist es (für mich), wenn ich Familienähnlichkeiten bei anderen - unseren Kindern, meinem Bruder, meiner Frau usw. - zu erkennen glaube. Je genauer ich die Merkmale untersuche, um so stärker werden die Ähnlichkeiten. Deshalb höre ich damit dann auch meistens schnell wieder auf. Tags drauf verstehe ich oft nicht, wie ich da Ähnlichkeiten bemerken konnte. Ich kann aber sicher sein, so etwas kommt wieder.

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    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Kristin: Eigentlich war das ein sehr spontaner Gedanke. Hatte auch Spiegel-spiegeln-wiederspiegeln im Kopf. Und dann kam eigentlich das einfach: Was oder wen sehe ich, wenn ich mich ansehe, im Spiegel, auf Fotos ...


    Ich freue mich sehr über die spannenden und offenen beiträge dazu. Ich melde mich auch noch, was ich bei mir entdecke. (Momentan mühe ich mich wie blöd ab, eine Musikdatei hochzuladen)

  • Je älter ich werde, desto ähnlicher sehe ich meiner 3 Jahre älteren Schwester in diesem Spiegel. Das sind nicht nur schöne Merkmale. Aber ich liebe meine Schwester sehr. Sie lebt in Teneriffa, ich besuche sie, aber ich bin auch traurig, dass sie ausgewandert ist (wie auch mein älterer Bruder nach Australien). Ich sehe im Spiegel unsere Nähe zueinander. Als Kinder haben wir uns oft gehasst.
    Die Entfernung zu meinen großen Geschwistern ist schon ein Unglück in meinem Leben. Aber wenn wir uns sehen, haben wir so eine gute Zeit!
    Und ich sehe was von meinem jüngeren Sohn. Meine Verwandten haben immer über mich gesagt, wenn die Heike lacht, dann kriegen die Ohren Besuch! Und so ist das bei meinem Sohn auch.
    Was für eine emotionale Frage, Monika. Und dann auch noch im öffentlichen Forum. Aber was soll's. In unseren Texten steht ja eh alles drin...

  • Mir schaut oft aus dem Spiegel das Gesicht meines Großvaters zurück. Und immer wieder, wenn ich diese äußere Ähnlichkeit besonders frappierend erlebe, wird mir bewusst, wie wenig Erinnerung ich an ihn habe und wie wenig ich über ihn weiß. Das fühlt sich manchmal an wie die weißen Flecken auf alten Landkarten. Unbekanntes Land in mir. Ich find's spannend.


    Herzlichst


    Wolf P.

  • Threads wie dieses machen das Forum liebenswert. Wer meint, unser "Literaturverein" solle auf so was verzichten, möge in den Spiegel schauen.


    Wenn ich in den Spiegel schaue, erkenne ich inzwischen manchmal meinen Vater, der doch so anders war als ich. Ein kraftvoller Fernfahrer, der sich mal eben auf jede Schulter einen Zentnersack hievte, weil ihm das Ausladen seines LKW nicht schnell genug ging. Ich schleppe schon an einer Bierkiste. Aber die Gesichtszüge, sie sind da. Mehr als die meiner Mutter, finde ich. Und ich sehe inzwischen zunehmend meine erwachsenen Söhne, von denen die Leute behaupten, sie sähen mir ähnlich. Was ich nicht unbedingt erkenne, aber ein bisschen doch. Manchmal greife ich zu einem Foto meines wenige Wochen alten Enkels und überlege, wo die Ähnlichkeiten sind. Vielleicht im Babyspeck/Altersspeck? Was ich gar nicht gern sehe: Das Ergebnis des Alters, das sich die Erdanziehungskraft zunutze macht - die Falten am Hals, die es nach unten zieht, die schlaffer werdende Haut, die Vergänglichkeit. Zum Glück brauche ich den Spiegel nicht, um meine Frisur zu richten ...

  • Spiegel-Schauen und Fotos sagen jedenfalls bei mir unterschiedliche Wahrnehmungen aus. Ich sehe bei mir, vor allem in der Mundpartie, im Lächeln meinen Vater, den sehr erfolgreichen Unternehmer, den ich nicht mochte, er verkörperte die Arroganz der Macht, ich sehe mich auch im Lachen meine Mutter, die in dieser Stadt nie heimisch wurde. Und beiden möchte ich nicht ähnlich sehen. Ich sehe in den Augen meinen Bruder (will ich nicht), ich sehe auch meine Halbschwester, irritierend, die mir doch fremd ist. Geht es mir schlecht, entdecke ich meine Schwester, schon lange tot, die ich sehr vermisse. Manches ist dem Großvater mütterlicherseits gestundet, den ich nie kennengelernt habe. Aber ich freue mich, wenn ich sehe, wie sehr meine mittlere Tochter mir ähnelt, äußerlich. Auch in manchen Eigenschaften. Meine beiden anderen Töchter ähneln mir anders, vielleicht im vorübergehenden Ausdrück, Gesten, dann auch wieder im Gesicht, in der Bewegung.
    Nun. Großeltern und Eltern sind tot, keinen kann ich mit dem heutigen Interesse nicht mehr fragen, wie sie denn wirklich waren. Innendrin.

  • Das ist ja eine interessante Frage, Monika...und schön, hier so über euch zu lesen! :) <3
    mmh...ich hab noch mal geguckt...bin ein Mischmasch. Die blonden Haare meines Vaters, nur die Farbe, nicht die Dichte, Kinn, Mund und auch das nichtssagende Graublau der Augen ist von ihm...aber die Augenform, den Blick ist wie bei meiner Mutter...oder eher noch wie bei meiner Oma. Besonders wenn ich müde bin, schaue ich so wie sie...
    Die blonden Haare habe ich an keines meiner Kinder weitergegeben...die Jüngste war anfangs blond...aber auch sie hat jetzt eher rotblond...bin gespannt, ob ein Enkelkind mal so ein "Blässchen" wird wie ich. Ganz entschieden werde ich das dann aber nicht mit roher Leber und Eigelb "füttern" wie meine Oma das immer meinte, machen zu müssen. Alle dachten stets, ich wäre blutarm, dabei hat mein Paps mir einfach nur seine Gene vermacht.
    Ganz rechts auf dem Bild, der kleine, helle Knirps...so sah ich als Kind auch aus :)

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    [buch]3866855109[/buch]


    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

  • Ich war den Gestrengen der Familie nicht schön genug.


    das glaub ich dir nicht, Monika. Du hattest hier mal irgendwo ein Jugendbild, das war wunderschön. Und heute musst du dich auch nicht verstecken.
    Stefanie: Knirps-Foto, sehr niedlich.
    Wir könnten ja mal schriftliche Bilder unserer Ahnen verfassen, unsere Anfänge sind doch schon ganz gut. Und so kämen wir auch wieder auf den Sinn unseres Forums, die Literatur.