Nochmal "Denglisch"

  • In unseren heiligen Hallen wurde wieder das Wort "Denglisch" benutzt, um den angeblichen "Sprachverfall" vor allem unserer Heranwachsenden zu beklagen. Die Gegenthese lautet ja, dass die sog. Anglizismen zum größten Teil Worte sind, die ihrerseits ins Englische eingewandert sind, mit dem Clou: eingewandert aus dem Alt-und Mittelhochdeutschen, dem Altfranzösischen und damit letztlich auch aus dem Lateinischen. Unsere jungen Sprecher beweisen also sehr viel Sprachgefühl und -tradition, indem sie unsere alten Worte aus dem modernen Englischen reimportieren.
    Ich habe fünf Minuten im Internet "recherchiert" (als Laie!) und Folgendes gefunden:
    1) shoppen, shopping, dies entlehnt aus altfranz. eschoppe, mhd. schopf
    2) chillen, chill, aus ahd. chalt, lat. gelidus
    3) crazy, aus altfranz. crasir
    4) shit, aus mhd. scheissen
    5) spacig, space aus lat. spatium
    Nur bei 6) fun ist die Herkunft unklar.

  • Ohne "unsere jungen Sprecher" kritisieren zu wollen (was wäre zum Beispiel am von den Nörglern benutzen Wort Denglisch besser als an shit und fun und chillen?): An so viel kollektivbewusstes Sprachgefühl nach dem Motto "Ich ignoriere getz mal die zweite neuhochdeutsche Lautverschiebung und nenne es wieder shit" glaube ich nun doch nicht!

  • Ohne "unsere jungen Sprecher" kritisieren zu wollen (was wäre zum Beispiel am von den Nörglern benutzen Wort Denglisch besser als an shit und fun und chillen?): An so viel kollektivbewusstes Sprachgefühl nach dem Motto "Ich ignoriere getz mal die zweite neuhochdeutsche Lautverschiebung und nenne es wieder shit" glaube ich nun doch nicht!


    Aber "Denglisch" ist kein Lehnwort, sondern ein Bezichtigungsbegriff, der die Vermischung zweier Sprachen an sich selbst vorführen soll (Deutsch + ENGLISCH). Dabei entsteht also eine Art Mischwesen, bei dem der fremde (englische) Anteil sogar noch die Überhand gewonnen hat (es bleibt ja vom ursprünglichen "Deutsch" nur das "D", höchstens "DE" übrig). Es liegt auf der Hand, dass hier eine biologistische etc. Denkfigur der schädlichen Blutvermischung Pate steht. In Wirklichkeit tut den Sprachen der gegenseitige Kontakt und die Durchlässigkeit gut: Die Weltsprache Englisch ist dafür das allerbeste Beispiel.
    (N.B: Wer das Wort "Denglisch" benutzt, ist damit natürlich nicht auch schon ein Biologist.)

  • Nur ganz am Rande und wenig zur Sache: Das Kunstwort "Denglisch" kenne ich von einer amerikanischen Kabarettistin, die ihre Bühnenshow in Deutschland in ihrem stark englisch-amerikanisch-akzentuierten Sprachmischmasch abhielt. Sie sprach Deutsch Englisch, wenn ihr versteht, was ich meine ;)
    Ah, jetzt fällt mir wieder ein, wer das war: Gayle Tufts ;)

  • Ach je, seid froh, dass euer Sohn kein Gamer ist. Wenn mein Sprössling mir erzählen will, was er just an seiner Spielkonsole so getrieben hat, versteh ich nicht mal die Hälfte. "Der hat gelaggt ohne Ende, ich war so was von getilted. GG, sag ich dir. Den Lude konntest du vergessen und meine ELO ist völlig down."

  • Ergänzend zu Petra: Wenn es irgendeinen Ausdruck gibt, der genau das Gegenteil von dem erreicht, was er als Aufforderung beinhaltet, dann ist es das neudeutsche "Chill mal!"


    Es ist mir eigentlich ziemlich egal, aus welcher Sprache das wiederentdeckt wurde, meinetwegen könnte es auch aus dem Isländischen kommen, es treibt mich zumindest in kürzester Zeit ins exakte Gegenteil von "chillen".


    "Mach jetzt bitte endlich deine Hausaufgaben!"
    "Jetzt chill mal, Mama!"


    "Du hast deine Klamotten aufs ganze Haus verteilt. Wegräumen!"
    "Chill mal runter!"


    Ich bin dann normalerweise ausgesprochen unentspannt, also gar nicht sehr "runtergechillt". Zugegebenermaßen bezweifel ich allerdings, dass mir ein altmodisches "jetzt sieh das doch mal entspannt" zu mehr Ausgeglichenheit in puncto Unordnung, Schulschlamperei etc. verhelfen würde :)


    Woher haben die Kinder diesen sprachlichen Blödsinn, und wieso ist das eine Art Universalantwort auf jegliche Art von Ermahnung :D?

  • Woher haben die Kinder diesen sprachlichen Blödsinn, und wieso ist das eine Art Universalantwort auf jegliche Art von Ermahnung ?


    Vielleicht ist ihnen ein Labiallaut wie in Ents-p-annen zu anstrengend! Chillen bietet insgesamt weniger Sprechwiderstand, und in dem Alter geht es viel ums Energiesparen.


    Nein, im Ernst: Ich glaube, diese "Blödheiten" sind der Preis für das andere: dass es nämlich in der Sprache Jugendlicher viele geradezu geniale Wort- und Ausdrucksschöpfungen gibt, die von einer Menge Witz zeugen und richtig Spaß machen!

  • "Denglisch" ist ein weites Feld. Es kann für kreative Wortschöpfungen stehen. Oft ist das aber nicht der Fall.


    Eine Voraussetzung für kreativen Umgang mit Sprache ist meines Erachtens, dass man deren Bausteine versteht.


    Oft liegen "denglischen" Begriffen aber nur rudimentäre Englisch-Kenntnisse zugrunde. Oder man sucht einen vorgeblich hippen Begriff. Der muss natürlich zumindest englisch angehaucht sein. Und dann landet man bei Quatsch wie "public viewing" (Leichenschau) bei einem Fußballspiel oder "body bag" (Leichensack) als Werbung für eine Umhänge-Tasche.


    Zum weiten Feld des Experimentierens bei "Denglisch" gehört auch, dass viele Experimente in die Hose gehen. Das ist in den Naturwissenschaften auch nicht anders. Experimente mit Sprache sind ergebnisoffen. Manchmal ist das Ergebnis auch scheiße.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)