Lisa Genova: Still Alice – Mein Leben ohne Gestern

  • Alice ist Psychologieprofessorin an der renommierten Universität Harvard, glücklich verheiratet, Mutter dreier erwachsener Kinder. Sie ist beliebt bei ihren Studenten und, abgesehen von elementaren Meinungsverschiedenheiten mit der jüngsten Tochter, die dem Vorbild ihrer Eltern, eine akademische Karriere anzustreben, so überhaupt nicht nacheifern will, glücklich und zufrieden. Bis sie eines Tages an sich Dinge feststellt, die sie bis dahin so überhaupt nicht an sich kannte: Beim Joggen verläuft sie sich, weiß plötzlich nicht mehr, welchen Weg sie einschlagen muss, dabei ist es eine seit Jahren bekannte Strecke. Sie vergisst Dinge. Dinge, die ihr sonst leichtgefallen sind, fordern plötzlich viel mehr Energie von ihr. Gerade 50 Jahre alt geworden, schiebt sie dies zunächst auf die beginnenden Wechseljahre. Nachdem sich die beunruhigenden Vorfälle häufen, sucht sie einen Arzt auf. Der unterzieht sie Tests, deren Ergebnisse ihn aufhorchen lassen. Nach weiteren Untersuchungen muss er Alice eine niederschmetternde Diagnose verkünden: Alice ist mit hoher Wahrscheinlichkeit an früh einsetzendem Alzheimer erkrankt, einer tödlich verlaufenden degenerativen neurologischen Erkrankung und genetischem Defekt, der sich mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit an ihre Kinder vererbt hat.


    „Still Alice“ (mit Julianne Moore in der Titelrolle verfilmt, die dafür mit dem Oscar als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde) ist ein traditionell, chronologisch, in der dritten Person aus Sicht von Alice erzählter Roman. Mit fortschreitenden Datumsangaben begleitet man Alice auf ihrem Weg ins Vergessen, bekommt ihre Nöte nahegebracht, ihre sich steigernde Verwirrung und ihr Ringen um Halt in einer immer unsicherer werdenden Welt. Als (in Harvard promovierte) Neurowissenschaftlerin weiß die Autorin, wovon sie spricht. Der Roman geizt nicht mit Fachwissen, die entsprechenden Passagen fügen sich aber eins zu eins in die Handlung ein, wirken weder belehrend noch fehl am Platz. Wo Genova – wie ich annehme – die Grenzen des Wissens verlassen muss (weil die Wissenschaft letztendlich nicht erforschen kann, wie ein in späteren Stadien an Alzheimer Erkrankter denkt und fühlt), z. B. wenn sie Alice denken lässt, diese aber gleichzeitig weiß, dass sie nicht in der Lage ist, dieses Gedachte auszudrücken, erscheinen die Passagen glaubhaft – vielleicht möchte man es aber auch nur glauben. Der Kunstgriff, eine Universitätsprofessorin an Alzheimer erkranken zu lassen, bildet sicherlich nicht den „Normalfall“ ab, ist aber wohl nötig, um Alices Gefühls- und Gedankenwelt trotz fortschreitender Krankheit noch glaubhaft abbilden zu können.


    „Still Alice“ ist ein mitreißender, ergreifender Roman, mit mehr als nur einer Passage, die einen schlucken lassen. Letztendlich ist Alices Schicksal eines, das – wenn auch nicht in der frühen Form der Erkrankung – in einer immer älter werdenden Gesellschaft immer mehr Menschen ereilen wird.


    [buch]3404271157[/buch]


    PS:


    Dass Demenz ein Thema ist, mit dem sich durchaus bereits viele Schriftsteller auseinandergesetzt haben, manche davon wiederum als Angehöriger, Partner oder Freund nah am Thema, zeigt der Ratgeber:


    [buch]3407858620[/buch]


    Der Niederländer Huub Buijssen, Psychologe und Psychogerontologe, Sohn eines an Demenz erkrankten Vaters, ergänzt sein Buch durch Auszüge aus Romanen, vielen niederländischen, die (zumindest) nicht ins Deutsche übersetzt wurden, aber auch von über die Ländergrenzen hinaus bekannten Schriftstellern, wie Julian Barnes, J. M. Coetzee, Irene Dische, Fjodor Dostojewski, Umberto Eco, Annie Ernaux, Jonathan Franzen, Max Frisch, Gabriel García Márquez, Maarten ´t Hart, Elaine Kagan, Doris Lessing, Henning Mankell, Sándor Márai, Ian McEwan, Chuck Palahniuk, William Shakespeare, Georges Simenon, Nicholas Sparks, Martin Suter, Amy Tan, Leo Tolstoi, Barbara Vine.