Erzählen im Präsens

  • Spannendes Thema!


    Helga Schütz schreibt im Präsens (u. a. "Erziehung zum Chorgesang"), ihre Texte sind sehr suggestiv. Und bezeichnenderweise kommt sie vom Film. [buch]B00AP50Y7E[/buch]


    Hilary Mantels wunderbare historische Romane [buch]3832161937[/buch] und [buch]3832162747[/buch] ...
    auch durchweg Präsens. Die entfalten einen richtigen Sog.


    Andererseits wettert Thomas Steinfeld gegen das Präsens [buch]342334699X[/buch] : In seiner Allgegenwart vernichte das Präsens sich selbst. Es sei ein fortwährendes Brüllen, der Erzähler trete komplett zurück, und das sei auf Dauer anstrengend.


    Meine eigene Erfahrung: Ich schreibe gerade ein Memoir - auf Wunsch des Verlages im Präsens! Und das erzeugt tatsächlich mehr Identifikation. Im Präteritum schreibt es sich leichter, die Dinge rollen mehr ab, da sie ein Stückchen weiter weg rücken. Aber es kann auch sein, dass das Präteritum einfach dazu verführt, sich nicht so tief hineinzubegeben. Um das herauszufinden, müsste ich mal eines der Kapitel ins Präteritium übertragen und mit Abstand noch mal lesen oder wen anderen lesen lassen. Mach ich mal, wenn alles fertig ist, und stelle es hier ein.


    Letztlich glaube ich, dass die Intensität eines Textes nicht von der Zeitform abhängt, sondern davon, ob er Identifikationsmöglichkeiten bietet. Und das läuft darüber, die Relevanz deutlich zu machen, die das Erzählte für die jeweils betroffene Figur hat. Also nicht nur erzählen, was passiert. Wobei ich mich gerade frage, wie man in der Auktorialen Perspektive eine solche Relevanz erzeugen will. Würde mich über eure Meinung dazu freuen.

  • Wobei ich mich gerade frage, wie man in der Auktorialen Perspektive eine solche Relevanz erzeugen will. Würde mich über eure Meinung dazu freuen.


    Ich habe diesen Sog im auktorialen Erzähler in "The name of the wind" von Patrick Rothfuss erlebt. Die Rahmenhandlung ist dort auktorial. Vor allem der Prolog "A silence of three parts" - ich kanns gar nicht oft genug sagen, das muss man einfach mal lesen. ;) Aber nicht in der Übersetzung. In der Übersetzung geht der ganze Zauber verloren, finde ich.


    Oder auch in "The Ice Dragon" von G.R.R. Martin.


    Aber stimmt schon, im allgemeinen empfinde ich den auktorialen Erzähler auch distanzierter. Hängt sicher von der Intension des Schriftstellers ab, und bestimmt auch von seinem Können. Die Distanz hat ja auch Vorteile.


    Grüße,


    Heidrun