Erzählen im Präsens

  • Lisa Kuppler, Lektorin und Autorin (Putlitzer Residenzstipendiatin von 2012) gibt Hinweise zum Schreiben von Genreliteratur in der Erzählzeit des Präsens.


    Hier gehts lang.

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    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Danke, Horst-Dieter, für den Link.


    Mit dem Präsens als Erzählzeit habe ich auch so meine Probleme, vor allem dann, wenn es einen Ich-Erzähler gibt. Zuletzt erlebt beim hochgelobten "Die Falle" von Melanie Raabe. Mir ist die Figur dann oft zu larmoyant, zu - ja - Ich-bezogen, zu "Ich streiche mir eine Strähne hinters Ohr". Weinerlich, nennt Lisa Kuppler das, und ich finde, das trifft's.

  • Andrea
    "Ich streiche mir eine Stähne hinters Ohr" ist für mich auch ein No-Go und hat mit der Erzählzeit Präsens nicht mittelbar etwas zu tun. Das ist so etwas wie die Nennung der Teesorte, die gerade getrunken wird. Mit der Geschichte, die erzählt werdne soll hat das in den seltensten Fällen etwas zu tun. Natürlich - wenn eine lamoryante Person gezeigt werdne soll, dann geht so etwas oder wenn die Teesorte zur Geschichte gehört (z.B. weil das Gift darin versteckt ist).

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  • Was ist der Unterschied zwischen "Ich streiche mir eine Strähne hinters Ohr" und "Ich strich mir eine Strähne hinters Ohr"? Mag sein, dass das eine - im Präteritum - reflektiert ist, während das andere noch nicht reflektiert sein kann, aber das ist unerheblich, weil wir ja die Entscheidung treffen, dass es erzählt werden sollte, und damit ist die Frage gekillt.


    Unsinnige Diskussion, mit Verlaub. Lisa Kuppler ist eine nette, aber das mit dem Modetrend und der Social-Media-Sprache ist schlicht Unfug.

  • Das mit der Larmoyanz der Strähne ist doch - wenn überhaupt - auch eher eine Frage der (Ich-)Perspektive als eine der Zeit, oder verstehe ich gerade nicht, wovon hier die Rede ist? :kratz2 Ich weiß nämlich gar nicht, was an einer zurückgestrichenen Strähne schlimm ist?

  • Frau Kuppler kenne ich nicht, kann daher nicht beurteilen, ob sie nett ist. Das mit dem "Weinerlichen" einer Präsens-Erzählung vermag ich jedoch nicht nachzuvollziehen. Auch nicht die "Larmoyanz".


    Ich erinnere mich nur weniger gelungener Romane, die durchgängig im Präsens erzählt sind.
    Aus Beidem, dem lateinischen "Präsens" und der deutschen "Gegenwart", sind jedoch Begriffe entstanden, die in diesem Zusammenhang aufschlussreich sein können. Ein Text im Präsens nämlich wirkt - stilistisches Können vorausgesetzt - tatsächlich "präsenter", "gegenwärtiger" als einer im Präteritum. Vor allem, wenn er mit begrenzten Tempuswechseln daherkommt, weil`s spannend wird. Gern setze ich in meinen Romanen Pro- und Epilog ins Präsens. Der Leser wird so am Anfang dicht herangezogen (eben im Sinne von "gegenwärtig") und am Ende ebenso. Das hat sogar etwas Zwingendes, das sich der Autor hier mit dem Leser erlaubt.

    Ansonsten ist es völlig bedeutungslos, ob jemand etwas als Modetrend erkannt zu haben glaubt. 50 Shades ist aus anderen Gründen Mode als wegen seines Erzähltempus. Und wäre im Präteritum literarisch genauso zum Kotzen. Selbst im Futur II.

  • Das mit der Larmoyanz der Strähne ist doch - wenn überhaupt - auch eher eine Frage der (Ich-)Perspektive als eine der Zeit, oder verstehe ich gerade nicht, wovon hier die Rede ist? :kratz2 Ich weiß nämlich gar nicht, was an einer zurückgestrichenen Strähne schlimm ist?


    An einer zurückgestrichenen Stähne ist nichts schlimm, aber das Erzählen solcher Nebensächlichkeiten kann nervtötend sein. Wenn man als Autor oder Autorin bewusst die Entscheidung trifft, dass das zurückstreichen der Strähne erzählt werden soll, dann ist das nicht weiter zu kritisieren. Als reine Belanglosigkeit öden solche "Befindlich- und Nebensächlichkeiten" viele belletristische Texte aber an. Egal in welcher Erzählzeit.

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  • Ansonsten ist es völlig bedeutungslos, ob jemand etwas als Modetrend erkannt zu haben glaubt. 50 Shades ist aus anderen Gründen Mode als wegen seines Erzähltempus. Und wäre im Präteritum literarisch genauso zum Kotzen. Selbst im Futur II.


    Man könnte dafür ja das Futur III erfinden.

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  • Ich erinnere mich nur weniger gelungener Romane, die durchgängig im Präsens erzählt sind.


    Ich mich auch.
    Mir ging es ausschließlich um das Präsens kombiniert mit Ich-Perspektive.
    Was mir bei Raabe z.B. larmoyant erschien, weinerlich, jammerig, müsste ich jetzt heraussuchen, aber dazu habe ich im Moment keine Lust.


  • Was mir bei Raabe z.B. larmoyant erschien, weinerlich, jammerig, müsste ich jetzt heraussuchen, aber dazu habe ich im Moment keine Lust.


    Da bin ich aber gespannt. Raabe ist einer unserer großartigsten Erzähler. Das will nicht heißen, dass es keine Schwächen bei ihm gibt, aber ich bin doch neugierig, was Du uns da präsentieren wirst.

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  • Mir ging es ausschließlich um das Präsens kombiniert mit Ich-Perspektive.



    Aber auch da gibt es ganz hervorragende Romane! Skomsvold. Einzlkind. Ich glaube, auch Esther Freud erzählt "Mein Jahr mit Mr Mac" im Präsens. Hat allerdings nichts mit irgendwelchem Trend zu tun; bei allen diese Beispiel kann es aus dramaturgischen Gründen nur das Präsens sein. Zwei, drei Seiten lang ist es immer ungewohnt, aber dann merke ich es beim Lesen gar nicht mehr, und es funktioniert super. Ich kenne aber auch Leute (Kunden), die verweigern sich dem Ich-Präsens komplett und kategorisch. Ist wahrscheinlich Geschmacksache, aber ich finde, denen entgeht was.


    Auch bei Genre-Romanen würde es mich nicht stören. Tut es nicht. Ich glaube, "Girl on the train" ist im Präsens und aus der Ich-Perspektive geschrieben. Kann sein, es ist wirklich ein Trend, und Frau Kuppler hat sowas im Sinn.


    Futur III?? Ich werde mir eine Strähne hinters Ohr gestrichen haben werden? Coole Zeitform! :D

  • Im Jugendbuch gibt es tatsächlich den Trend zum Ich-Erzähler Präsens. Ich glaube, dass das mit den Tributen von Panem angefangen hat und deren Erfolg, kann mich aber täuschen. :D
    Meiner Meinung nach muss es einen guten Grund geben warum der Text unbedingt im Präsens erzählt werden soll. Bei den Tributen von Panem war das, weil so für den Leser bis Ende Band 1 offen bleiben konnte ob Katniss die Spiele überlebt oder nicht. Wäre die Geschichte in der Vergangenheit geschrieben gewesen, wäre von Vorneherein klar gewesen, dass sie überlebt haben muss.


    Warum der Ich-Erzähler im Präsens jetzt so wehleidig sein soll und was das mit dem Präsens zu tun haben soll, verstehe ich nicht. Wehleidige und Selbstzentrierte Ich-Erzähler findet man in jeder Zeitform.
    Tatsächlich ist ein gut geschriebener Präsenstext aber auf jeden Fall unmittelbarer und kann den Leser ganz dicht an den Protagonisten ranführen. Dass genau das manchen Lesern unangenehm ist, kann ich nachvollziehen, hat aber meiner Meinung nach nichts mit wehleidig zu tun.


    Ich hatte am Anfang Mühe bei meiner Trilogie im Präsens zu schreiben. Aber für eine Protagonistin, die sich an nichts mehr erinnern kann, gibt es nur eine Zeit, in der sie lebt. Auch wenn sie mit jeder Seite wieder ein bisschen mehr Vergangenheit hat, an die sie sich erinnern kann, wäre es seltsam gewesen während der Geschichte irgendwann die Zeitform zu wechseln. Aber dieses superdichte dran sein an den Gefühlen und im Moment kann schon auch anstrengend werden. :)


    Andere Gedanken zu dem Audiotext:
    Allwissender Erzähler finde ich persönlich auch sehr schwer zum selbst schreiben. Zwar merke ich es meist, wenn sich in einem allwissenden Text plötzlich ein personaler Erzähler einschleicht. Aber das selbst umzusetzen, damit habe ich echt Probleme. Wobei ich nicht glaube, dass das ein neuer Trend ist. Aber was weiß ich schon! :D
    Texte in der zweiten Person würde ich gerne mehr lesen. Oder im objektiven Erzähler, den finde ich auch sehr spannend. (Der ist auch einfacher zu schreiben als der allwissende, finde ich.)


    Grüße,


    Kryps


  • Futur III?? Ich werde mir eine Strähne hinters Ohr gestrichen haben werden? Coole Zeitform! :D


    Ich verstehe Futur III eher als die Zeitform: "es ist noch nichts passiert!". Zwischen den Buchdeckeln der grauen Schatten wären deshalb leere Seiten, was dem Buch mehr Anspruch geben würde.

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