Unfreiwillige Plagiate

  • "Unfreiwillige Plagiate" ist ein etwas schiefer Ausdruck für ein komisches Schreibphänomen, über das ich manchmal nachdenke (mich sorgen wäre übertrieben, aber es geht in die Richtung). Beispiel: Mir ist neulich die antiquarische Ausgabe einer Kinderzeitschrift aus den Siebzigern in die Hand gefallen, die ich damals gerne gelesen habe. In einem der harmlosen kleinen Texte fiel mir ein Satz aus, eine auffällige und drollige Formulierung, die ich vor einem Jahr (ironisch) in einer kleinen Alltagsglosse verwendet habe. Also vier Jahrzehnte später und glaubend, die Formulierung sei von mir. Es war Pipifax, aber hinterher dachte ich (und denke es noch), dass einem das vielleicht öfter passiert, als man glaubt, und dann auch bei größeren Dingen. Manchmal (selten) habe ich bei Sätzen, die ich schreibe und schön finde, den schwammigen Eindruck, ich hätte ihn so oder ähnlich schon mal irgendwo gelesen.


    Kennt Ihr das? Und kann man sowas irgendwie vermeiden?

  • Ja, ich kenne das. Mir ist das mit einem Eigennamen in einer Kurzgeschichte passiert, den ich sehr originell und passend fand. Bis ich bemerkte, dass ein Mann mit genau diesem Vor- und Zunamen Protagonist in einer populären Fernsehreihe war.


    Das Unterbewusstsein ist mächtig. Ich glaube nicht, dass sich so ein unfreiwilliges Plagiat vermeiden lässt.


  • Kennt Ihr das? Und kann man sowas irgendwie vermeiden?

    Ganz kann man das wohl nie ausschließen und ja, ich kenne das. Bei Namen würde ich mir keine Sorgen machen, denn es gibt einfach zu viele Menschen mit gleichem Namen. Man kann ja seine Figuren deswegen nicht Isidor Erigatorschleim oder Perdita Kotbeutli nennen. Dafür hat man ja die schöne Entlastungsformel von den Namen und sonstigen Ähnlichkeiten mit lebenden und bereits verstorbenen Personen, die zufällig und nicht beabsichtigt wären.


    Anders ist es mit Ausdrücken oder gar Sätzen. Da kann man nur hoffen, dass es ggf. niemandem auffällt. Ausschließen wird man es, wie gesagt, nie können.

  • Und jetzt mal die Frage: was macht man dann, wenn man den, wie Du sagst, schwammigen Eindruck hat, dass der Satz eventuell nicht von einem stammen könnte? Googelt man den dann? Und wenn man ihn nicht findet, kann man doch noch immer nicht sicher sein, dass man hier kein Zitat eingebaut hat. Wie oft passiert es, dass man einen Satz annektiert hat, weil man ihn so großartig fand. Das Gehirn ist schon ein unzuverlässiges Ding, merkt sich den Spruch, aber vergisst, wo es den her hat.

  • was macht man dann, wenn man den, wie Du sagst, schwammigen Eindruck hat, dass der Satz eventuell nicht von einem stammen könnte?


    Genau was Du schreibst: googeln. Und wenn ich nichts finde, dann gehe ich optimistisch davon aus, dass der Satz tatsächlich aus einem vier Jahrzehnte alten Mücke-Heft stammt und sich kein Mensch mehr bewusst daran erinnert. Denn es stimmt schon, was Didi und Ingrid schreiben - man kann es nicht vermeiden. Aber es beruhigt schon mal zu wissen, dass es anderen ebenso geht. Bei mir ging das (anfangs mehr, mittlerweile weniger) sogar soweit, dass ich versucht war, meinen Schreibstil dem Buch anzupassen, dass ich gerade las und von dem ich begeistert war. Aber das geschieht erstens einigermaßen bewusst und lässt sich daher steuern, und zweitens ist das schon wieder ein anderes Thema! :)



    @Didi: Isidor Erigatorschleim darf ich also übernehmen? =)

  • Mal ganz ketzerisch gefragt: Und wenn? Wäre das denn so schlimm?
    Ich meine, unsere Sprache besteht nun mal aus einer zwar sehr großen, aber doch irgendwo auch begrenzten Anzahl aus Worten. Die wiederholen sich auch, und kein Mensch denkt darüber nach, dass man, um dem Plagiatsvorwurf zu entgehen, am besten ständig neue erfinden sollte.


    Ich merke mir sogar bestimmte Wörter oder Wendungen ganz bewusst, wenn sie mir gut gefallen, ich betrachte das als eine Art Erweiterung meines Horizonts an Formulierungen. Sprache wandelt sich, Wendungen entstehen, werden zur Mode, geraten wieder in Vergessenheit.


    Entscheidend finde ich dabei vor allem, dass man nicht auf Modetrends anpringt. Es gibt bestimmte Wendungen, die werden von der Werbung erfunden, gelangen dann erst mal in die Medien und von dort aus weiter in den allgemeinen Sprachgebrauch. Die zu vermeiden, ist tatsächlich mein erklärtes Ziel. Auf solche Wendungen sollte man sich als Autor sensibilisieren, damit man nicht Gefahr läuft, in sprachlichen Versatzstücken zu schreiben.
    Alles andere ist nicht nur gar nicht so schlimm, finde ich, sondern fast unvermeidbar, erst recht dann, wenn die übernommene Wendung schon einige Jahrzehnte alt ist. Irgendwann gab es fast alles schon mal :)
    Ich denke, das kann man als Autor ganz gelassen sehen, solange man nicht einen Begriff kopiert, der sehr typisch für einen anderen Autor ist und der dessen Stil sogar geprägt hat. Mir fällt da etwa Wolf Haas' berühmtes "Und dings" ein, wenn sein Protagonist nicht mehr weiß, wie er weitermachen soll. Diese Wendung in diesem Kontext ist eine Art sprachliche Marke des Autors geworden, die sollte man nach Möglichkeit selber vermeiden.


    Liebe Grüße
    Anja

  • Mir fällt da etwa Wolf Haas' berühmtes "Und dings" ein, wenn sein Protagonist nicht mehr weiß, wie er weitermachen soll.


    Ha, gutes Beispiel! Wie gesagt, ernsthaft Sorgen macht mir das Thema auch nicht. Aber tatsächlich könnte es mir, die ich noch nie was von Haas gelesen habe, durchaus passieren, dass ich einen Protagonisten auch immer und dings sagen lasse. Liegt ja nicht so unnah, wenn einer nicht weiter weiß. Es könnte mir sogar (Stichwort Unterbewusstes) passieren, wenn ich ihn vor x Jahren mal gelesen und wieder vergessen hätte - was ja dann gleichermaßen peinlich wäre. Und immer noch ist die Antwort: Da man ja nicht die gesamte bestehende Literatur auf dem Schirm haben kann, lässt es nicht immer vermeiden.



    Aber stimmt schon - das sind so HätteWäreWenn-Sachen, über die man sich nicht allzu sehr den Kopf zerbrechen sollte.

  • Ich stimme Anja da zu: nicht nur unser Wortschatz ist begrenzt, sondern auch die Plots. Ich habe mal ganz stolz meiner Familie die Idee für ein neues Buch erzählt. Die Idee war in meinem Kopf bereits sehr weit fortgeschritten und ich fand sie *hüstel* großartig, weil ich sie so bisher noch nirgends gehört oder gesehen hatte. Zu dieser Zeit lebte ein kolumbianischer Student für ein Jahr bei uns und nachdem ich mit meinem "Vortrag" geendet hatte, teilte er mit mit, dass es in Kolumbien derzeit eine wahnsinnig erfolgreiche Serie gebe, die mehr oder weniger exakt den Inhalt meiner Romanidee verfolge. Ich war mega enttäuscht und recherchierte. Diese Serie war in Kolumbien neu und es gab noch keine Ausstrahlungen in irgendwelchen anderen Ländern oder in anderen Sprachen. Also die ganze Sache konnte kein Streich meines Unterbewusstseins gewesen sein. Es ist wohl eher ein Fall wie das "Phänomen" der Twin Strangers.

  • Genau auf diese Weise musste ich mal eine Schreibfreundin enttäuschen. Ähnliches Szenario, voller Begeisterung erzählte sie von dem Plot mit all seinen Wendungen und den Protagonisten und auf die Frage: Na, wie klingt das? konnte ich nur: Gibt's schon sagen - und da war er Plotzwilling nicht so weit entfernt. Sie hatte sich etwas ausgedacht, das Frank Schätzings "Lautlos" ähnelte, bloß hatte sie das Buch weder gelesen noch je davon gehört.


    In so einem Fall ist es wahrscheinlich wirklich gut, Testleser zu haben, bevor man sein Manuskript bei einem Verlag einreicht, oder? Obwohl: auch die können nicht den Inhalt aller Bücher auf dem Markt kennen.

  • Wir haben neulich ein Hörbuch vom vielgescholtenen Herrn Fitzek gehört. Man kann jetzt gegen ihn sagen, was man will, aber sein Handwerk beherrscht er.
    Wie auch immer. Seine Geschichte war im strengen Sinne nicht neu. In der einen oder anderen Form gibt es die schon zig mal. Die Elemente der Geschichte waren aus lauter gut funktionierenden Versatzstücken gebaut. Er hat, wenn man es so nennen will, einfach "gut kopiert" und neu zusammengesetzt.


    Das geht.


    Vermutlich ist es sogar unvermeidbar. Mal am Beispiel der Liebesgeschichte: Entweder das Paar bekommt sich am Schluss (Klischee bis Kitsch ...) oder es bekommt sich nicht (meist eher tragisch, kann aber auch Klischee sein ...). Oder sie bekommen sich, aber einfach wird es nicht ... Sehr viel mehr Varianten fallen mir da nicht ein :).


    Ich denke, es bleibt bei der alten Wahrheit, dass es alles schon mal gab, man muss es nur erzählen können. Das gilt auch für die (un)absichtliche Übernahme von Wendungen. Eine schöne Wendung "auszuleihen", heißt für mich noch nicht, dass man gleich "klaut".


    Liebe Grüße
    Anja

  • Also bei einem einzelnen Satz frage ich mich immer, ob das denn dann tatsächlich ein Plagiat sein kann. Immerhin müsste der Satz dann ja so ungewöhnlich sein, dass er auch vor diesem Autor noch nie verwendet wurde und nicht zum normalen Sprachgebrauch gehört.
    Bei dem Beispiel "Und dings" geht es ja nicht nur um diese zwei Wörter in dieser Reihenfolge, sondern auch darum, dass das eine wiederkehrende Eigenschaft einer Figur ist. (Wenn ich das richtig verstanden habe.) Wenn nun eine meiner Figuren einmal "Und dings" sagt, ist das doch kein Plagiat? Das wäre es doch erst, wenn auch meine Figur das ständig tut. Zumindest aus meiner laienhaften Sicht.
    Und wie unterscheide ich ob ein Satz ein Plagiat ist, eine Anspielung oder eine Hommage? Und geht es um den Inhalt oder um die exakte Übernahme der Wortfolgen?


    Also ich folge für mich der Devise, solange nicht ganze Passagen (also mehr als 3-5 Sätze am Stück/ in einem Absatz) aus meinem Text mit anderen Texten übereinstimmen würden (und dass das aus versehen passiert, halte ich für eher unwahrscheinlich), dann ist das für mich kein Plagiat. Und bei der Länge dürfte das eigentlich ja auch schon wieder nicht ungewollt passieren, einfach, weil Stile, Figuren und Settings sich doch letztlich immer unterscheiden und damit doch auch die Filter, die auf dem Text liegen. (Oder es zumindest sollten. Tun sie das nicht, wäre das für mich eher ein Hinweis, dass ich hier noch nicht sauber genug gearbeitet habe.)


    Und wie sieht es mit typischen handwerklichen Kniffen aus? Darf man eine bestimmte Stimmung im Text dann nicht mehr auf eine bestimmte Art umsetzen, weil das schon mal jemand anderes gemacht hat?

  • Ein Plagiat liegt vor, wenn man die geistige Leistung eines anderen als die eigene ausgibt. Eine solche Leistung muss urheberrechtlich relevant sein, also die berühmt-berüchtigte "Schöpfungshöhe" erreichen. Einzelne Sätze, Redewendungen usw. gehören in aller Regel nicht dazu. Neologismen sind auch nicht geschützt, es sei denn, man meldet sie als Marke an.


    Und dass wir alle immer wieder nur einen der zwanzig Masterplots neu schreiben, ist doch eine Binsenweisheit. Ideen sind nicht geschützt und auch nicht schützbar. Plots sind Ideen. Man muss sich höchstens lahme Nachahmerei vorwerfen lassen, um Plagiate handelt es sich aber nicht.


    Davon abgesehen: Diese Befürchtungen kenne ich auch, allerdings nicht so sehr im Hinblick auf ganze Sätze oder längere Formulierungen, sondern in Bezug auf Namen, Schauplätze, Neologismen (die ich liebe) und ähnliche Einfälle. In "Leichtmatrosen" benennen die Hauptfiguren das Schiff ja von "Dahme" (ein Nebenfluss der Spree) in "Tusse" (kein Nebenfluss der Spree) um. Am Ende, als sie die Reise wiederholen, chartern sie ein Boot namens "Nuthe" - und ich deute den Witz an, der sich hier anbietet. Irgendwie hatte ich beim Schreiben das Gefühl, genau diesen faden Witz woanders schon einmal gehört zu haben. Aber man kann das kaum prüfen, es ist unterm Strich auch höchstens ein bisschen peinlich, und sehr wahrscheinlich bemerkt es nicht einmal jemand. Insofern muss man sich davon einfach freimachen.


    Bei dieser Gelegenheit: Vorgestern habe ich Freunde besucht, die im Nuthetal leben, nicht weit von Potsdam entfernt, und als wir über die entsprechende Straßenbrücke fuhren, kam ich auf die Idee, mal zu schauen, ob man auf der Nuthe, die hübsch aussieht, eigentlich paddeln kann. Deshalb habe ich mein iPhone aus der Tasche gezogen und Siri gefragt: "Kann man auf der Nuthe paddeln?". Die Antwort von Siri: "Das ist aber nicht nett." ;)

  • Ehrlich gesagt, habe ich mich bei einzelnen Sätzen noch nie gefragt, ob die schon einmal von anderen verwendet wurden. Bei Plots ist es mir aber schon passiert, dass sich eine anfangs geniale Idee, als billiges unterbewusstes Plagiat entpuppt hat. Aber was soll man machen? Da geht es wohl (wie hier auch nachzulesen) scheinbar einigen Autoren so.

  • Ich denke, das kennen die meisten, die Schreiben. Mir ist es jedenfalls schon passiert, dass ich beim Schreiben vom Texten, ohne es beabsichtigt zu haben, recht nahe an dem dran war, was andere schon vor mir geschrieben hatten.
    Wenn es um ähnliche Inhalte geht oder die Phrasen nur kurz sind, dann ist das meiner Meinung nach eben so. Ein Plagiat ist es in meinen Augen erst dann, wenn man wirklich Gedankendiebstahl betreibt und das als seine eigene Leistung ausgibt.

  • :rofl Ja, im Suff passieren die seltsamsten Dinge ...