Die richtige Dosis

  • Wenn man einem Text Geschwätzigkeit unterstellt, dann ist das bestimmt kein selten gemachter Anfängerfehler. Ich stelle bei mir gerade (mal wieder) das Gegenteil fest: den Wunsch, schnell von A nach B zu kommen und durch eine Szene zu hetzen. Das allzu Breite liegt mir nicht. Allerdings haben auserzählte Szenen, wichtige Ereignisse, die verdienen, dass man ihnen Zeit und Raum gibt, mehr als nur ihre Berechtigung, sie sind essentiell für einen traditionell erzählten Roman. Das immerhin ahne ich bei gewissen Szenen, durch die ich im Schweinsgalopp hetze. So geht das nicht, das muss erzählt werden, nicht nur die Information in ein paar hastigen Sätzen an den Leser gebracht!


    Wenn Joyce Carol Oates nun davon spricht „durch die Landschaften seiner Erfindung zu laufen wie ein Geist in einer wirklichen Umgebung“, dann vermute ich weiterhin, dass da der Hase quasi im Pfeffer liegt (neben einer Neigung zum Tempo, nicht Erzähltempo, sondern zack, zack-fertig-Tempo): Ich kenne meine Figur noch nicht gut genug und das, was ihr widerfährt, sehe ich nicht klar genug vor mir. Alles pure Behauptung, und je vager eine Behauptung ist, desto weniger kann man sich darin verheddern.


    Wie geht es Euch damit: Streicht Ihr am Ende mehr oder füllt mehr auf? Oder sitzt es quasi beim ersten Entwurf? Ach, da möchte ich hin: nicht zu dürftig, nicht zu ausschweifend, alles genau wie es soll, zack, zack-fertig! ")" Ja, ich weiß, das kommt meist nicht von alleine: Ich arbeite dran!

  • Hallo, Petra.


    Bei mir sitzt es meistens beim ersten Entwurf, aber das heißt längst nicht, dass das Ergebnis optimal ist. Ich habe große Schwierigkeiten mit Überleitungselementen und neige zum Geschwätz, aber ich lege insgesamt ein so hohes Tempo vor, dass man es meistens nicht merkt - außer vielleicht bei "Nachttankstelle", das war (ist) ein ziemlich geschwätziges Buch.

  • (...) außer vielleicht bei "Nachttankstelle", das war (ist) ein ziemlich geschwätziges Buch.

    Einspruch! "Nachttankstelle" erzählt in einigen Passagen ausladend, aber immer substantiell und ungemein einfühlsam - das genaue Gegenteil von Geschwätzigkeit. Es finden sich unwiderstehliche Bilder darin, deren Ausformulierung eben einfach etwas Epik braucht. Da gibt es andere Bücher von Herrn Liehr, die deutlich mehr an belangarmen Ausschweifungen enthalten. "Nachttankstelle" ist von A bis Z erzählerisch (fast) so genial wie "Sommerhit"


    gez. Ein Leser.


  • Wie geht es Euch damit: Streicht Ihr am Ende mehr oder füllt mehr auf? Oder sitzt es quasi beim ersten Entwurf? Ach, da möchte ich hin: nicht zu dürftig, nicht zu ausschweifend, alles genau wie es soll, zack, zack-fertig! Ja, ich weiß, das kommt meist nicht von alleine: Ich arbeite dran!

    Bei mir sitzen im ersten Durchgang immer nur ein paar Sätze. Sätze kann ich ziemlich gut. Einzelne. Zur Erzählung wird´s - wenn ich Glück habe - immer erst nach -zigfacher Überarbeitung (Streichungen UND Ergänzungen).

  • Ich füll eher auf - und das "durch die Szene hetzen", das Du beschreibst, Petra, das kenne ich gut! Bei mir hat es zwei Gründe: Entweder habe ich keine Lust, die Szene zu schreiben, weil sie zwar für die Handlung notwendig ist, mich aber nicht anmacht. Dann schreibe ich aus Faulheit viel zu wenig und sehe dann beim Überarbeiten, dass es noch zu karg ist und die gedanklichen Verbindungen nicht nahtlos sind. Oder aber ich habe zu viel Respekt vor einer Szene, weil ich noch nicht so recht weiß, wie ich sie schreiben soll. Zum Beispiel, wenn das Dargestellte meiner Lebenswelt völlig fremd ist. Beispiel Kneipenschlägerei (soeben völlig aus der Luft gegriffen): keine Ahnung, kenne ich nicht, habe noch nie an einer teilgenommen und auch im wahren Leben noch nie eine beobachtet. In solchen Fällen helfe ich mir erstmal mit stumpfen, langweilig hintereinandergeschalteten Hauptsätzen. A starrt B an. B weicht zurück. A. nimmt Bierkrug etc., solange bis B in den Nebentisch kracht. Ein Gerüst. Wenn es mir dann gelingt, einigermaßen entspannt vor mich hin zu schreiben, kommen die schmückenden Details irgendwann beim Schreiben angeflogen. Der Käserest in B.'s Bart, von der Pizza, die er gerade verdrückt hat. Und wie weh es an der Nase und den Zähnen tun muss, wenn man diesen Humpen ins Gesicht bekommt. Oder dass es zur Abwechslung mal nicht ein Tisch ist, in den A. scheppert, sondern der Ständer mit den Billardqueues. Und schon habe ich Lust auf die Szene.


    Manchmal ist es also eine Frage des Fleißes oder des Sich-Überwindens.


    Manchmal ist aber auch das Gegenteil der Fall. Redefluss des Erzählers. Dann ist es für die Story gerade mal wichtig, dass er sich vor einem halben Jahr von seiner Freundin getrennt hat. Aber unter welchen Umständen das Trennungsgespräch stattgefunden hat und wie dann beide auseinandergingen, sie in die eine Richtung und er in die andere blablabla - sowas streiche ich dann. Lustigerweise ist mein Ich-Erzähler viel weniger geschwätzig, seit er kein Ich-Erzähler mehr ist sondern ein Er-Erzähler! :evil

  • In der Beziehung habe ich eine seltsame Wandlung erlebt. Früher hatte ich damit gar keine Probleme, ich musste weder streichen noch dazudichten, aber jetzt stelle ich fest, dass ich extrem im Kleinklein hängenbleibe und das Bedürfnis habe, jede Sekunde haarklein zu Papier zu bringen. Idiotisch, das wird natürlich langweilig, aber ich muss erstmal wieder üben, das abzustellen. Früher hatte ich ein Fingerspitzengefühl dafür, was ich beschreiben sollte und was schlicht weggelassen werden sollte. Keine Ahnung, warum ich auf einmal so eine Lupe vor den Augen habe. Aber es ist echt schwer, das abzustellen!

  • Ich bin eine Quasselstrippe, wenn's ans Schreiben geht, deshalb überwiegt bei mir der Streichanteil. Ich hatte schon einen (Heft)Roman, den ich um die Hälfte gekürzt habe - und das war noch zu lang, die Lektorin brauchte ja auch noch was zum Streichen ;)


    Was du beschreibst, Karen, das kenne ich auch. Ich muss mich jedes Mal schwer zusammenreißen, nicht jeden Fitzel Handlung, der sich vor meinem geistigen Auge abspielt, auch zu beschreiben (mit allem Drum und Dran, wie die Luft riecht und das Auto brummt, in dem jemand sitzt ;) ) Das war bei mir aber von Anfang an so, ich muss den Teil mit der Schreib- und vor allem Erzählökonomie erst noch lernen. Dass du es mal konntest und jetzt wieder nicht, finde ich super schade. Aber du findest bestimmt wieder dorthin!

  • Wenn ich Joyce Carol Oates hier quer durch drei Beiträge zitiere, dann mag das daran liegen, dass ich das Buch so gut finde. "Beim Schreiben allein" schätze ich als eine wahre Fundgrube.


    In dem Essay „Der Künstler als Handwerker“ schreibt JCO u. a. von Hemingways (für brillant befundener) Miniatur „Hügel wie weiße Elefanten“, und dass Hemingway „den Leser rasch und sicher von Punkt A nach Punkt B bringen“ will. Den Leser! Nicht sich selbst als Autor (wie ich oben schilderte).

  • Ich bin eher auch zu kurz, zu sparsam, weil ich nichts Banales erzählen möchte, sondern verdichtet. Das kann dann zu karg werden. Muss eher üben, in die Breite zu gehen. Genau: Es geht darum, den Leser voranzubringen, nicht sich selbst als Autor aus Gründen, die dem Text fremd sein müssen.

  • Naja, isses nicht am Besten, sich auf das relevante zu Stützen?
    wenn z.B. jemand einen Raum betritt, isses doch völlig okay, das aus seiner Wahrnehmung zu beschreiben. Eine Reinigungskraft, ein Ermittler, ein mögliches Date oder ein Besucher beachtet völlig andere Dinge. Und je nach Relevanz der Umgebung, ist die Detailfülle entsprechend angemessen -oder auch nicht.


    Es gibt zu nichts ein Patentrezept. Man muss halt wissen, wie man die Dinge ausspielt, die einen zur Verfügung stehen oder nicht.
    Wichtig ist nur: Nicht ausschweifen, wenn es sich vermeiden lässt.


    Im Übrigen kann eine Umgebung auch zur Stimmung beitragen.