Wieso schreibe ich eigentlich?

  • Der Gedanke: Wenn „ich“ das nicht schreibe, schreibt’s niemand. Falsch oder richtig. Im Wissen, dass die Welt sich trotzdem weiterdreht, auch, wenn es ungeschrieben bliebe. Den Stoff nicht zu ernst nehmen, aber ernst genug. „Sendungsbewusstsein“, ja, aber auf eine nüchterne Art. Spielt dieser Gedanke in Eurem Schreiben keine Rolle?


    Gerade, da es bei mir bzw. meinem Manuskript hakt, denke ich, bin ich zu blöde, kapiere ichs nicht, warum fresse ich mich an dieser Geschichte fest? Hab deswegen gestern nichts daran getan, obwohl und auch die Zeit drängt- meine schlechte Laune, aus dem Schreibtraining geworfen zu sein, die war heftig. Sendungsbewusstsein. Ja. Da ist etwas dran. Die laufende verdammte Geschichte hat auch so etwas. Deshalb will ich sie zu Ende bringen. Klar, das Thema hat grad sicher auch jemand anders aufgegriffen. Aber eben anders, nicht, wie ich es haben möchte. Und Sendungsbewusstsein steckt auch in anderen Romanen - ja, bei dem Begriff geht mir eine winzige Lampe auf, denn längst wühlt seit Wochen ein Thema mit großem Sendungsbewusstsein in mir. Es wäre so anstrengend, ja, ist aber 'aha' und gleichzeitig wahr, verrückt und spannend, da ich die realen Fakten hier liegen habe. Natürlich dreht sich alles weiter. Und trotzdem. Dieser Gedanke von Petra spielt hier eine verflixt große Rolle.

  • … und manchmal schon ... ähm irritiert, ratlos, ich weiß nicht, was das wirklich richtige Wort ist ... bin ob der Anspruchslosigkeit aktueller Literatur, die nur unterhalten will …


    Literatur, die nur unterhalten will, ist keineswegs anspruchslos. Bücher, die gut unterhalten, erfüllen durchaus Ansprüche. Vieles was veröffentlicht wird, unterhält nämlich durchaus nicht. Und in guter Unterhaltung steckt meistens auch mehr.


    Andererseits wird Literatur, die Sendungen erfüllen will, diesem Anspruch auch nicht immer gerecht.


    In einer Rezension über die Neuveröffentlichung des letzten Beatles Album "Let it be" schrieb ein Kritiker in der Süddeutschen Zeitung vor einigen Jahren allerhand Blödsinn, u.a. das der Song "One After 909" zusammengeschustert sei. Da hat mich schon die negative Konnotation des Begriffs "schustern" gestört. Schuster üben ein Handwerk aus, das gelernt werden muss und wer das beherrscht, der macht gute Schuhe. Es sollte eigentlich eine positive Bedeutung haben. Zudem stimmt es auch mit dem Song nicht. Das ist zwar ein einfacher Rocksong, aber keineswegs zusammengeschustert. Der Popkritiker hatte davon - wie übrigens viele - keine Ahnung weil ihn nur Vordergründiges interessierte. Warum ich das hier erwähne?


    Erstens: Mir kam damals in den Sinn, dass der richtige Begriff "zusammengestoppelt" lauten müsste, denn dies meinte der Kritiker vermutlich. Zusammengestoppelt kommen mir heute viele Veröffentlichungen vor. Man liest etwas, findet das gut, möchte selber so etwas schreiben und stoppelt dann Angelesenes und Vorgestelltes kunstlos zusammen. Egal ob es sich um Fantasy, Krimi, Thriller, Erotik oder was weiß ich handelt. In diesem Zusammenhang wird dann oft gesagt, dass man zur Unterhaltung schreibt. So etwas Zusammengestoppeltes ist dann oft anspruchslos, darf aber m.E. nicht generell über alles, was unterhalten soll, gestülpt werden.


    Zweitens: Nun ja, habe ich eigentlich schon gesagt. Dass Unterhaltung nicht zwangsweise auch anspruchslos ist wie ein Schuster eben nicht grundsätzlich schlechte Schuhe macht.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Zitat

    Nun ja, habe ich eigentlich schon gesagt. Dass Unterhaltung nicht zwangsweise auch anspruchslos ist wie ein Schuster eben nicht grundsätzlich schlechte Schuhe macht.


    Aber wird unter Schuhmachern nicht derjenige als Schuster verspottet, der das geringste Talent hat und seine Schuhe... na eben zusammenschustert? ;)

  • Dafür, dass man beim Schreiben ein "Sendungsbewusstsein" verfolgt, gleichzeitig aber populär und spannend schreiben kann, ist Jack London ein gutes Beispiel. Am Samstag lief auf ARTE eine Dokumentation über ihn, die noch ein paar Tage in der Mediathek zu sehen sein wird. Sehenswert.


    Karl May ist ein anderes Beispiel für diesen Typ Schriftsteller. Sendungsbewusstsein zeigt er schon in seinen frühen Abenteuererzählungen. Aber als es ihn dann so richtig gepackt hat und das Sendungsbewusstsein sich in den Vordergrund drängte, wurde er literarisch besser, aber die Massen langweilten sich. Immerhin lobt Arno Schmidt Mays Spätwerk.

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  • Aber als es ihn dann so richtig gepackt hat und das Sendungsbewusstsein sich in den Vordergrund drängte, wurde er literarisch besser, aber die Massen langweilten sich.

    So absolut verständlich es ist, dass die Leserschaft sich mit Grausen gelangweilt abwendet, wenn sie von einem Autor erzogen, belehrt oder etwa "weltverbessert" werden soll, so sehr wage ich zudem zu bezweifeln, dass sich die literarische Qualität eines Schriftstellers dadurch verbessert, dass seine Arbeit "Sendungsbewusstsein" erkennen lässt - das genaue Gegenteil ist der Fall. "Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt" (Goethe).

  • sich die literarische Qualität eines Schriftstellers dadurch verbessert, dass seine Arbeit "Sendungsbewusstsein" erkennen lässt


    Soweit ich die Ausgangsfrage verstanden habe, geht es nicht darum, ob ein Sendungsbewusstsein die Qualität verbessert oder verschlechtert,
    sondern die Frage war die, ob wir hier die 42Autoren und die Teilnehmer des Forums so etwas in sich verspüren...

  • Jetzt dürft Ihr alle gerne lachen, aber ich glaube, bei mir hat das Schreiben auch damit zu tun, dass ich keine Kinder habe. Die meisten Leute, und da gehöre ich anscheinend dazu, wollen ja, dass irgendwann mal was von ihnen bleibt. Da kann man schon mal - in den meisten Fällen wohl eher unbewusst - auf komische Ideen kommen, nämlich auf die, ein paar "Ersatzbabys" zu produzieren. Wäre doch mal eine interessante Statistik: fangen mehr Kinderlose an zu schreiben? Und ist das nur darauf zurückzuführen, dass sie familiär nicht so eingespannt sind? Hm.

  • Soweit ich die Ausgangsfrage verstanden habe, geht es nicht darum, ob ein Sendungsbewusstsein die Qualität verbessert oder verschlechtert,
    sondern die Frage war die, ob wir hier die 42Autoren und die Teilnehmer des Forums so etwas in sich verspüren...

    Das mag stimmen, hat aber mit meinem Posting nichts zu tun. Das bezog sich hierauf:


    Zitat von »Horst-Dieter«
    Aber als es ihn dann so richtig gepackt hat und das Sendungsbewusstsein sich in den Vordergrund drängte, wurde er literarisch besser, aber die Massen langweilten sich.

  • @Didi
    Ich will Dir gar nicht widersprechen, meistens ist das so, wie du es sagst. Aber so generalisierende Aussagen haben dann auch wieder den Nachteil, dass sie auf Einzelfälle nicht zutreffen.

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  • Kristin
    Ich lache da jedenfalls nicht. Ich nenne oft meine Prpjekte "Babys", die in die Welt entlassen werden oder so. Ich habe ja Kinder, aber die geschriebenen machen wenigstens, was ich will. Womit sich ein Kreis schließt. Aber leider auch nicht immer!
    Und im Ernst erlebe ich es oft auch bei den Frauen in der Wirtschaft, dass Projekte wie Kinder sein können (die dem Chef geschenkt werden...). Ganz schlimm ist es dann, wenn dieses starke Motiv instrumentalisiert wird.

  • Ich habe ja Kinder, aber die geschriebenen machen wenigstens, was ich will.


    Da sind meine häufig ganz anders drauf. Im Exposé hab ich ihnen noch klare Vorgaben gegeben, aber dann machen sie, während ich schreibe, auf einmal, was sie wollen. Zum Beispiel haben sich der Verdächtige und die Kommissarin gegen meinen Willen ineinander verliebt, was ich überhaupt nicht vorgesehen hatte. Solche Sachen macht mein Personal ständig. Da kann man dann nur noch hinterherschreiben. Wer schafft es schon, den Leuten ihre Liebe zu verbieten ... :rofl


    Im Ernst: Das sind die wirklich guten Stunden des Schreibens, wenn die erfundenen Figuren sich als so stark, so real, ja, so präsent erweisen, dass sie sogar ein Eigenleben entwickeln. DAS sind die Momente puren Glücks, derentwegen ich schreibe, um mal wieder auf die Ausgangsfrage zurückzukommen.

  • @Didi
    Ich habe das auch schon lange beobachtet und manches Mal auf solche FIguren geschimpft. In letzter Zeit beschleicht mich aber der Verdacht, dass die letzten Endes doch tun, was ich will. Oder anders gesagt: Sie tun, was ich mich nie zu tun getraut habe. :evil

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    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Das sind die wirklich guten Stunden des Schreibens, wenn die erfundenen Figuren sich als so stark, so real, ja, so präsent erweisen, dass sie sogar ein Eigenleben entwickeln. DAS sind die Momente puren Glücks, derentwegen ich schreibe


    :high Ja, genau!

  • Ja, das ist herrlich, wenn Figuren sich verselbständigen. Sie brauchen eben Wurzeln und Flügel.  
    Aber das andere stimmt auch: Meine Figuren wissen einfach besser, was ICH will. Das ist das mit dem Unbewussten. Ein Schreibprozess ohne Unbewusstes ist eine lahme Ente, glaube ich.

  • Und wenn man das böse Wort auseinandernimmt? Nach dem Motto: "Ich" (wer auch immer) „habe möglicherweise eine gewisse Begabung zum Schreiben. Ich bin mir jener Sache bewusst, von der ich meine, dass es sich lohnen könnte, darüber zu schreiben.“ Bewusstsein -> Sendung.


    Ich will hier nicht in die 150. Diskussion über U und E einsteigen. Wenn ich meine Miete bezahlen muss oder den nächsten Urlaub bezahlen will, tue ich selbstverständlich gut daran, mich gerade nicht auf ein Thema zu stürzen, das womöglich nur wenige Leute interessiert. Ich vermute weiterhin, dass schon genug Papier mit Dingen (z. B. Lebenserinnerungen) bedruckt ist, die keinen Menschen außer dem, der sie aufgeschrieben hat, interessieren. An der Wirklichkeit (oder dem, was man dafür hält) zu kleben, tut wahrscheinlich keinem Roman gut. Romane aber wie „Léon und Louise“ von Alex Capus oder „Der Himmel ist ein Fluss“ von Anna Kaleri sind für mich gelungene Beispiele: der eine lässt sich vom Leben des Großvaters inspirieren, die andere von dem der Großmutter (und nennt es „ein Nachspüren“) – und es sind in beiden Fällen – wie ich finde – sehr gute Romane dabei rausgekommen. Einzigartigkeit der Ereignisse ist dabei keine Voraussetzung (wann passiert das schon!).


    Dorit, Dorrit und Monika vielen Dank!
    Nein, die „Welt verändern“ kann ein Roman nicht. Aber die Leselandschaft bereichern, wie ich finde. Mir fielen gerade nur die o. g. beiden ein (Nachtrag: Bücher der flämischen Schriftstellerin Marita de Sterck), aber es gibt mit Sicherheit viel mehr. Wenn ich als Autor aus meiner Geschichte oder der meiner Familie schöpfen kann, kann das viel wert sein, finde ich – auch wenn nichts dagegen einzuwenden ist, es nicht zu tun.

  • Zitat

    "Wenn den Scheiß jemand liest, liest meinen auch jemand."

    So ähnlich denke ich manchmal auch, nur mit der verstörenden Erkenntnis-, dass es eher der Schrott ist, der gelesen wird.


    Warum ich schreibe:
    Tat ich schon immer. Ich habe ständig Ideen für Geschichten, Szenen oder Themen, die ich benennen möchte. Es ist so ein innerer Zwang, der mich rund um erfüllt. Und obwohl erst knapp 10% von dem, dass ich schrieb veröffentliche wurde (weil an vielen Stellen die Verlage einfach nicht aus dem Allerwertesten kommen - oder andere Umstände einen Verlag am weiterkommen hindern), schreibe ich unermüdlich weiter.


    Und dann kommt es wieder zu dem "scheiß" meiner Vorredner:
    Auf meiner Fahne steht "Qualität" in Großbuchstaben, direkt darunter "Niveau, Anspruch und Authentizität". (in roter Farbe)
    Es ist auch sicher nett, wenn man mir das auch so zurück gibt, ärgerlich wird es nur, wenn sich eben jenes Fähnchen einfach nicht durchsetzt und zeitgleich anspruchsloser Müll (aka Gewaltexzessen, Pornographie, unlogischer und faktenbefreiter Murks) eimerweise über die Ladentische gegossen wird ...


    Nicht erst einmal dachte ich darüber nach, unter einen Pseudonym einfach mal anspruchslose und gewalt(ige) Pornos zu schreiben, um einen vergleich ziehen zu können. Irgendwie läuft was falsch ... oder ist das von mir falsch empfunden?

  • Ja, das ist herrlich, wenn Figuren sich verselbständigen. Sie brauchen eben Wurzeln und Flügel.
    Aber das andere stimmt auch: Meine Figuren wissen einfach besser, was ICH will. Das ist das mit dem Unbewussten. Ein Schreibprozess ohne Unbewusstes ist eine lahme Ente, glaube ich.


    Ich finde es interessant zu beobachten, wohin mich die Figuren ziehen wollen. Es gibt Lebensthemen, die sich in jede Geschichte schleichen und zum Beispiel aus Krimis heimliche Liebesromane machen. Darüber habe ich sogar in einem Artikel gelesen, weiß aber nicht mehr, wo.


    Didi, vielleicht solltest du eine Liebesgeschichte schreiben. Den Versuch wär's wert.