Arno Schmidt: Der Platz, an dem ich schreibe 17 Erklärungen zum Handwerk des Schriftstellers

  • Arno Schmidt wird von vielen als verschroben und langweilig abgetan, oft genug, ohne ihn mal richtig probiert zu haben. Dabei war er einer der innovativsten deutschen Schriftsteller in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das er noch nicht einmal vollständig erleben konnte. Er starb am 3. Juni 1979 in Celle. Ein Mythos lautet zum Beispiel, dass Schmidts Prosa schwer zu verstehen sei, weil nicht jeder hinter seine vielen Anspielungen kommen würde. Muss man gar nicht. Es ist auch so ein Vergnügen, Arno Schmidt zu lesen, wenn man sich nur auf seine Prosa einlässt.


    Zu Lebzeiten hat er es nicht leicht gehabt, weil man ihm seine deutliche Sprache nicht verzieh. Sein Roman »Das steinerne Herz« erschien 1956, spielte sowohl in West- als auch in Ostdeutschland und stellte beide Seiten gleichermaßen kritisch dar. Veröffentlicht werden konnte nur eine zensierte Version, die politisch, religiös (Schmidt war Atheist) und sexuell entschärft war. Gerade die erotische Prosa Schmidts ist dabei wirklich lesenswert, wie wir heute feststellen können, da der Roman in seiner ganzen Pracht verfügbar ist. Ein Jahr zuvor wurde er schon für seine freizügige Erzählung »Seelandschaft mit Pocahontas« wegen Gotteslästerung und Verbreitung unzüchtiger Schriften angezeigt. Das Verfahren stellte man ein Jahr später ein.


    Schmidts Prosa ist ungewöhnlich, seine Interpunktion und Rechtschreibung auch. Aber es gehört nicht viel dazu, sich darauf einzulassen. Der Spaß bei der Lektüre kommt dann gewiss.


    Im Jahr 1993 kam im Haffmanns Verlag, Zürich, ein von der Arno-Schmidt-Stiftung in Bargfeld herausgegebenes kleines Büchlein heraus, in dem Beiträge von Arno Schmidt zum »Handwerk des Schriftstellers« zusammengestellt werden. Dieses Büchlein wiegt so manchen dicken Schreibratgeber auf, zumindest dann, wenn man bemüht ist, auch über den Tellerrand der eigenen Schreibe zu gucken.


    Im ersten Beitrag »Berechnungen« geht er das Problem der Umsetzung an. Er definiert Ort, Zeit und Handlung als primäre theoretische Elemente und prüft, in welchen Einheiten sie vorkommen. Je nach Konstellation beschreibt er »Erledigungsformen«. Für Kombination 8 (mehrere Orte, große Zeiträume, verschiedene gleichwertige Handlungen) ordnet er dem Themenkreis Zeitschilderung, also dem historischen Roman zu (der für ihn übrigens auch in der Zukunft liegen kann) und für diesen gilt für ihn als optimale Erledigungsform der Briefroman. Er geht aber auch auf die Interpunktion ein, auf die Fabel, die Zielgruppe (Leser). Am Ende steht ein Plädoyer für den »Wortwissenschaftler«, der seiner Meinung nach in unserer Gesellschaft verkannt wird.


    In »Gesegnete Majuskeln« nimmt er sich die Rechtschreibung vor und zwar, wie er schreibt, »vom Standpunkt des Pioniers aus, der Worte nicht nur verwendet, um beim Bäckerjungen verständlich seine Morgensemmel zu bestellen; sondern um die Fülle der Erscheinungen linguistisch einzuholen …«. Weitere Themen dieser Beiträge sind »Übersetzungen«, »Die aussterbende Erzählung«, die Situation des Schriftstellers (in: »Nebenberuf : Dichter?« und in »Die Brotarbeit«), über Literaturgattungen, die Situation des Dichters, der mit seinem eigenen Werk konfrontiert wird und manches mehr.


    Ein wichtiger Beitrag ist »Dichtung und Dialekt«. Schmidt nutzt selbst Dialekt in seiner Prosa, ohne deshalb als Mundartdichter zu gelten. Er hält die reine Dialektdichtung denn auch für regional beschränkt nützlich. Sein Ziel ist eher eine realistische Schreibweise, in der jede Figur die ihm angemessene Sprache (oder Dialekt) spricht. Er nennt diese Schriftsteller »die ›Realisten‹, die dem Leser nicht vorlügen, sie hätten auf ihren Kreuz- und Querzügen allerorten das reinste Hochdeutsch á la ›Duden‹ angetroffen.


    Auch das Thema »Der Dichter und die Kritik« ist Schmidt einen Beitrag wert. Dabei ist seine Intention in einem kurzen Absatz zusammengefasst: »Die Frage, auf wessen Seite das ›Recht‹ liegt, ist relativ einfach: grundsätzlich auf Seiten der Dichter !«


    In »Der Platz, an dem ich schreibe« zeichnet der Dichter ein plastisches Bild von seiner Arbeitsumgebung und seinen Arbeitsmitteln. In wieder einem anderen Beitrag gibt er eine Übersicht über seine Bibliothek.


    Dieses kleine Bändchen, heute nicht mehr im Buchhandel vorrätig, aber antiquarisch gut zu bekommen, ist kein Schreibratgeber, der verspricht, den nächsten Bestseller zu schreiben und den braven Autor zu (Geld)sorgenfreiem Leben zu verhelfen. Es kann aber jedem, der schreibt, die Augen öffnen für manchen Nebenweg und manches, was er bislang unbewusst – richtig oder falsch – getan hat. Oder anders gesagt: Man könnte dafür einen Schwung Schreibratgeber aus dem Regal fegen und nach und nach auf den freien Platz manches der in diesem Büchlein als Beispiel herangezogene Werke daneben stellen – nach dem Lesen natürlich.


    Ihr Horst-Dieter Radke