Regeln beugen, Regeln brechen

  • Wer Lust hat, kann hier laut überlegen, wo er oder sie grammatische Regeln bricht, und welche Wirkung damit jeweils erzielt wird. Einer der bekanntesten Regelbrüche ist die in anderen Threads schon mehrfach genannte Technik, eine Rückblende nicht durchgehend im korrekten aber auf Dauer sperrigen Plusquamperfekt zu schreiben, sondern nach zwei oder drei Sätzen ins Präteritum zu gleiten und darauf zu vertrauen, dass der Leser sich bis dahin schon in der Vorvergangenheit angekommen ist. Das ist aber inzwischen so gängig, dass es mindestens drauf und dran ist, die neue Regel zu werden. Nee, eigentlich ist das schon Regel.


    Also, habt Ihr irgendwelche Marotten, Techniken usw., was Grammatik angeht? Macht Ihr bewusst was "falsch", als Stilmittel, um irgendwas zu verdeutlichen, vielleicht einfach nur aus ästhetischen Gründen? Mein Beispiel: ich schalte manchmal gerne Haupt- oder Nebensätze ohne Subjekt hintereinander, mit der Absicht oder in der Hoffnung, dass eine gewisse Dramatik reinkommt. Also etwa so:


    Frau L. haut Sätze in die Tastatur. Stutzt. Starrt dann minutenlang darauf. Löscht das Geschriebene, flucht hässlich und verbeißt sich in den Nadelfilz.


    4 Sätze, weit und breit nur ein Subjekt. Also grottenfalsch. Ich weiß nicht genau, warum ich das mache, wahrscheinlich habe ich es mal in anderen Romanen gelesen und es hat mir gefallen. Vielleicht gibt es sogar eine Bezeichnung dafür.


    Also: habt Ihr auch solche Beispiele? Würde mich freuen!

  • Diese kurzen Sätze, in denen Satzteile fehlen, mache ich auch gerne. Nennt man das nicht Ellipsen? Sie erhöhen das Tempo, und wenn der Rhythmus stimmt, entsteht im besten Fall ein guter Sound.


    Wenn ich sehr in einer Figur bin, nutze ich manchmal grammatikalische Fehler, weil eben nicht alle Menschen grammatikalisch richtig denken oder sprechen. Auch in der Wut zum Beispiel oder mit viel Angst, da fragmentiert das Denken, und eine allzu richtige Sprache wäre evtl. unglaubwürdig. Das muss dann aber gut passen, sonst wirkt es sofort künstlich und aufgesetzt. Und der Duktus und schiefe Grammatik muss dann auch ziemlich stringent durchgehalten werden.

  • Frau L. haut Sätze in die Tastatur. Stutzt. Starrt dann minutenlang darauf. Löscht das Geschriebene, flucht hässlich und verbeißt sich in den Nadelfilz.


    Hier sind eigentlich nur die Satzzeichen "falsch". Es handelt sich um eine Aufzählung von Handlungen mit ein und demselben Subjekt, eigentlich müsste ein Komma stehen. Aber die Punkte bringen die Einzelhandlungen stärker zur Geltung. Und das wolltest du ja auch bezwecken - wieder ein Beispiel für "die Form folgt der Funktion."

  • Zitat

    Ich weiß nicht genau, warum ich das mache, wahrscheinlich habe ich es
    mal in anderen Romanen gelesen und es hat mir gefallen. Vielleicht gibt
    es sogar eine Bezeichnung dafür.

    Eine Bezeichnung kenne ich nicht. Aber es scheint mir eine Mode zu sein, die oft in Thrillern verwendet wird. Irgendein Autor wird es angefangen haben, mittlerweile machen es viele. Blöd wird es halt, wenn man versucht, langweilige Passagen damit zu pimpen. An spannenden wirkt es atemlos, aber langweilige macht es nicht spannender.


    Ich verwende gerne Gedankenstriche, sie geben dem Satz etwas Strukturiertes.

  • Diese kurzen Sätze, in denen Satzteile fehlen, mache ich auch gerne. Nennt man das nicht Ellipsen? Sie erhöhen das Tempo, und wenn der Rhythmus stimmt, entsteht im besten Fall ein guter Sound.


    Da bin ich mir nicht sicher, weil es eigentlich eine Reihung von Prädikaten mit einem identischen Subjekt ist. Eine Ellipse ist stark verkürzt und manchmal auch grammatisch "falsch", z.B." Wir sind Papst" oder "Ich kann Kanzler" , "Ende gut, alles gut"
    Stilmittel, rhetorische Figuren sind das Werkzeug des Schriftstellers, insofern sollte man sich als Autor schon damit beschäftigen, um eine besondere Wirkung zu erzielen. Natürlich geschieht das oft unbewusst und intuitiv, aber gezielt eingesetzte Stilmittel können die Wirkung erhöhen.

  • Was haltet ihr hiervon?:


    Beispiel 1:
    Für die meisten meiner Kunden war ich Luft, wenn ich das Grundstück betrat. Sie aßen einfach weiter, Schalen mit Obst und Brot vor sich auf dem Tisch.


    Beispiel 2:
    Er betätigte immer wieder den Hebel, vergeblich.


    Oder: Er betätigte immer wieder den Hebel. Vergeblich.


    Ich vermute, beides ist nicht durch die Schulgrammatik abgedeckt. Ich finde aber beides ok, das zweite sogar noch viel oker, als das erste.


    Welche Wirkung damit erzielt wird, weiß ich nicht. Die Absicht ist immer die gleiche: Das, was in meinem Kopf ist, so gut wie möglich in Worte zu fassen.

  • Laut Duden.de setzt man ein Ausrufezeichen bei Ausrufesätzen, die die Form einer Frage haben.
    Es folgen diese Beispiele hier:

    • Wie lange soll ich denn noch warten!
    • Ist denn das zu fassen!

    Diese Regel ignorieren glaube ich die meisten und wägen einfach selber ab. Das mache ich ebenfalls.


    Genauso wie bei dem Vorschlag der neuen deutschen Rechtschreibung, nach Imperativsätzen grundsätzlich erstmal ein Ausrufezeichen zu setzen. Das kann zu ziemlichen Ungetümen führen und wenn man das eisern befolgt nimmt man sich die Möglichkeit, die Lautstärke / Intensität einer Aussage selbst zu steuern. Darum halte ich das für eine unnötige Regel und damit für Blödsinn.

  • Dies ist keine besonders rebellische Einstellung zur Grammatik, und besonders originell ist sie auch nicht - aber ich versuche, Verben am Satzende zu vermeiden (wenn es nicht etwa um die Pointe in einem Witz geht oder um besonderen Spannungsaufbau). Das gilt für Nebensätze wie bei "Er sagte, er sehe die EM im Fernsehen.", statt "Er sagte, dass er die EM im Fernsehen sehe." und für Konstruktionen mit Hilfsverben, z. B. im Perfekt: "Schalke hat heute ... im Finale des DFB-Pokals ... im Spiel gegen Dortmund ... nach kampfbetonter Partie ... durch Entscheidung in der 88. Minute ... gewonnen." Da kann man das Präteritum nehmen und hat das Verb vorn. Ist jetzt aber nicht wirklich Anti-Grammatik.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Schulgrammatik und rhetorische Figuren sind zwei Paar Schuhe. Aber sie schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich.

    Vielleicht stimmt das, ja. Es liest sich wie ein Angebot, sich trotz aller Freiheiten doch noch mit "der Grammatik" aussöhnen zu können (und zu sollen ). Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Vor allem aber glaube ich nicht, dass dieser Ansatz für einen kreativ Schreibenden der geeignetste ist. Wichtiger sind mir persönlich solche Dinge wie Klarheit, Verständlichkeit, Melodie, Rhythmik usw. und eben das Bemühen, für das zu sagende die möglichst passende, angemessene Ausdrucksweise zu finden. Sprachrichtigkeit erfolgt bei mir wohl eher "nach Gefühl". Ich habe durch ausgiebiges Lesen viel an Grammatik aufgenommen und fühle mich auch ziemlich sicher darin. Ganz oben auf meiner Liste steht aber das Bemühen, das, was ich erzählen will, möglichst gut aus meinem Kopf auf's Papier zu bringen. Und da ist korrekte Grammatik manchmal im Weg. Und wenn man das merkt, dann plädiere ich erstmal für's mutige Weiterschreiben. Ich glaube, das ist wichtig für die eigene Entwicklung.

  • das, was ich erzählen will, möglichst gut aus meinem Kopf auf's Papier zu bringen. Und da ist korrekte Grammatik manchmal im Weg. Und wenn man das merkt, dann plädiere ich erstmal für's mutige Weiterschreiben.


    Das hast Du schön gesagt, Christoph :blume


  • (...) Wichtiger sind mir persönlich solche Dinge wie Klarheit, Verständlichkeit, Melodie, Rhythmik usw. und eben das Bemühen, für das zu sagende die möglichst passende, angemessene Ausdrucksweise zu finden. Sprachrichtigkeit erfolgt bei mir wohl eher "nach Gefühl". Ich habe durch ausgiebiges Lesen viel an Grammatik aufgenommen und fühle mich auch ziemlich sicher darin. Ganz oben auf meiner Liste steht aber das Bemühen, das, was ich erzählen will, möglichst gut aus meinem Kopf auf's Papier zu bringen. Und da ist korrekte Grammatik manchmal im Weg. Und wenn man das merkt, dann plädiere ich erstmal für's mutige Weiterschreiben. Ich glaube, das ist wichtig für die eigene Entwicklung. (Hervorhebung von mir)


    Gibt es dafür ein Beispiel?

  • Das wäre jetzt auch ein Verstoß gegen die korrekte Grammatik, aber klar. Alles andere hört sich bescheuert an. Man kann nicht einmal "das Mädchen " schreiben und dann eine Seite lang mit "es" weiterschreiben. Spätestens beim zweiten Mal heißt es "sie", genauso wie man es beim Plusquamperfekt macht und zum Präteritum wechselt.
    Abgesehen davon ist im Rheinland "et Gilla, oder "dat Maria" gang und gäbe. Das ist jetzt der umgekehrte Fall. Dort zeigt Frau Schmitz mit dem Finger auf dat Maria und ruft empört:
    "Dat dat dat darf!"

  • Bettina. Das Mädchen hat ihre Puppe verloren.


    Diese Konstruktion, bei der das natürliche Geschlecht dem grammatischen vorgezogen wird, ist schon so verbreitet, dass sie zur Norm geworden ist. Vergleiche die auf die schon mehrfach hingewiesene Constructio ad sensum

  • Diese kurzen Sätze, in denen Satzteile fehlen, mache ich auch gerne. Nennt man das nicht Ellipsen? Sie erhöhen das Tempo, und wenn der Rhythmus stimmt, entsteht im besten Fall ein guter Sound.

    Soweit ich weiß, sind das Nominalsätze in verschiedenen Formen, also grammatikalisch bekannt und betitelt.
    Diese Verkürzungen nutze ich auch gerne. z.B. hier:
    ...Journalisten!
    Der ganze Jägerzaun voll mit ihnen. Daneben, das nimmt sie kurz und
    sehr zufrieden wahr: Qualmende, eingestürzte Mauern, Reste von
    Dachbalken mit schwarzen verkohlten Enden, zersplittertes Glas. Das
    Blitzen erlischt. Nun Donner: Die Journalisten, wie Krähen auf dem
    Zaun. Sie alle reden auf sie ein. Fordernde, überwiegend männliche
    Stimmen. Zögernd geht sie ihnen entgegen. So nah, dass sich aus dem
    Stimmendonner einzelne Sätze heraushören lassen. Wie in einem Traum
    die Frage: "Warum, um Himmels willen, haben Sie das
    getan?"
    Leise und lächelnd ihre Antwort: "Es nahm
    meinem Garten die Sonne".


    Ganz gerne und für mein Empfinden dann unverzichtbar, lasse ich manchmal Satzzeichen aus.
    Das "brauchte" ich z.B. in diesem Text, in dem das lyrische Ich schläfrig, quasi ohne Punkt und Komma vor sich hin sinniert. Nur den gefassten Vorsatz mache ich durch einen Doppelpunkt fest.


    Unsere Nacht



    So will ich einmal sterben:
    beinah verkrochen in deiner Achsel
    Harzig warm der Duft
    Manches Haar schon silberweiß
    Weiter werden wir uns verändern
    und auch wieder nicht
    Der stete Tropfen Zeit ist langsam
    Weiter zueinander wachsen
    wie heller Kalk in dunklen Höhlen


    Vielleicht sterbe ich gerade schon
    unter deiner warmen Hand



    Regelbruch ist das wohl. Aber ein bereits so "etablierter" oder "elaborierter?" ;) , dass ich das nicht mehr nutzen mag. :) Der Text ist schon viele Jahre alt.

    [buch]3866855109[/buch]


    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

  • Diese Konstruktion, bei der das natürliche Geschlecht dem grammatischen vorgezogen wird, ist schon so verbreitet, dass sie zur Norm geworden ist. Vergleiche die auf die schon mehrfach hingewiesene Constructio ad sensum


    Was für ein schönes Wort: constructio ad sensum. Das erinnert mich an die Lausbergsche Rhetorik, die wir armen Romanisten in seinen Seminaren runterbeten mussten. Nur ein Quäntchen davon ist hängen geblieben.